Einmal den Saal mit dem berühmten Balkon des Buckingham Palastes betreten: König Charles III. macht es möglich. Aber nicht alle in der britischen Königsfamilie sind begeistert.
Oft haben wir schon neugierig der Royal Family auf dem Balkon des Buckingham Palastes aus der Ferne beim Winken zugeschaut. Doch jetzt sind erstmals in der Hauptstadtresidenz und auch im schottischen Balmoral nie gekannte, fast intime Blicke hinter die Kulissen möglich.
Diesen Sommer hat das Königshaus während der üblichen Sommeröffnung der royalen Staatsgemächer im Buckingham Palast auch den Ostflügel zur Prachtmeile „The Mall“ zugänglich gemacht. Dort gibt es unter anderem den „Centre Room“ mit Austritt auf den berühmtesten Balkon der Welt zu sehen. Die chinesischen Seidentapeten aus dem 18. Jahrhundert, der mächtige Kronleuchter und der goldgerahmte Spiegel über dem Kamin haben so ziemlich alle britischen Royals seit Queen Victoria vor ihr Volk treten sehen. Aber sonst hat den Raum und den Balkon aus der Innen-Perspektive noch nie jemand zu Gesicht bekommen. Das ist nun anders.
König Charles III. gibt sich volksnah
Schon länger hatte König Charles wohl mit dem Gedanken gespielt, dass es nun an der Zeit sei, seinen Untertanen einen ausgedehnteren Blick hinter die königlichen Kulissen zu gewähren. In dem Moment, wo er seiner verstorbenen Mutter Elizabeth II. auf den Thron folgte, schien er sofort ein deutlich transparenteres Gebaren für die Monarchie anzustreben: Nicht nur, dass er als allererster britischer Monarch im September 2023 seine Proklamation zum König live im Fernsehen übertragen ließ und seien Krebsdiagnose öffentlich bekannt gab.
Bei öffentlichen Auftritten sprach er sogar mit Schaulustigen darüber, wie er seine Chemotherapie vertrage – ganz im Gegensatz zu seiner Schwiegertochter Kate, die ebenfalls an Krebs erkrankt ist. Die war sich mit ihrem Mann Prinz William bislang völlig einig, immer nur so viele private Informationen wie nötig preiszugeben.Queen Bildband Taschen 9.40
Balmoral-Führungen bieten intime Einblicke
Der König aber traf dieses Jahr noch eine weitere Entscheidung, die für Aufsehen sorgt: Neben dem neuen Flügel im Buckingham Palast öffnet er auch erstmals einige der Privaträume der königlichen Familie in Schloss Balmoral, der privaten Sommerresidenz in Schottland. Wo Besucher bislang nur den weitläufigen Park am Fluss Dee mit seinen Wäldern, Seen und Denkmälern für verstorbene Familienmitglieder und Haustiere sowie den als Seitenflügel ans Schloss angebauten Ballsaal besichtigen konnten, gibt es jetzt unerwartet intime Einblicke in das Leben der Royals im Urlaubsmodus.PAID Stern Extra 02_22 Gemächer der Windsors 0625
Während der ab 100 britischen Pfund teuren Führungen im kleinen Kreis ist zu erfahren, dass der neue Hausherr persönlich überwacht hat, was in den noch bis Anfang August zugänglichen Räumen zu sehen ist. Von den royalen Porträts und Landschaftsansichten an der Wand bis zu auf seine Anweisung hin extra erneuerten Teppichböden – alles von ihm kuratiert.
Von royalen Angelruten und alten Krimis
Und zu sehen gibt es eine Menge berührender Details. Von den königlichen Angelruten samt Gummistiefeln des Königs in einer Ecke der Eingangshalle über notdürftig verstaute, angerostete Klappgartenstühle unter einer Treppe bis hin zum überraschend kleinen Speiseraum mit poliertem Mahagonitisch und lederbezogenen Stühlen. Dort finden sich unter der Anrichte unauffällig platziert drei samtene Sitzkissen, für den Fall, dass die royalen Enkelkinder mal am Dinner teilnehmen. Alles wirkt wie im Ferienhaus einer wohlhabenden Großfamilie und atmet gediegene Ferienstimmung. So auch nebenan im elegant-gemütlichen Salon, in dem vielbenutzte Gartenbücher ebenso griffbereit im Bücherregal stehen wie zerlesene Krimis. Charles und Camila sind beide bekennende Leseratten.
Dieses Wohnzimmer war der historische Schauplatz, an dem das allerletzte offizielle Bild mit der verstorbenen Queen entstand, als sie im September 2022 die neue Premierministerin Liz Truss im Amt begrüßte. Der Raum ist zusammen mit dem Arbeitszimmer der verstorbenen Queen im ersten Stock des Schlosses der einzige, von dem bisher Innenaufnahmen öffentlich zugänglich waren.
Prinz William war gegen die Öffnung
Und wäre es nach dem Prinzen von Wales gegangen, hätte das auch so bleiben sollen. Wie über das private Umfeld von William bekannt wurde, konnte der sich nicht wirklich für Charles‘ neue Vision einer transparenteren Monarchie erwärmen. Er kommt da mehr nach seiner Großmutter, der allzeit super-diskreten Elizabeth II. Vor allem der Gedanke, Touristen durch den geschützten Raum Balmoral stapfen zu lassen, in dem seine Kinder George, Charlotte und Louis bislang in den Ferien unbefangen herumgetollt sind, habe ihm gar nicht gefallen. Aber der König hatte das letzte Wort.König Charles: Spurensuche in Balmoral 16.09
Ein Freund von Charles sagte der britischen Presse, dieser sei nicht so sentimental veranlagt wie sein Ältester. Mit Ausnahme von Highgrove und Birkhall, dem kleinen Landhaus nahe Balmoral, in dem er mit Camilla in Schottland meist wohnt, habe Charles seine Residenzen immer nur als vorübergehende Unterkunft und nicht als Heim gesehen, in denen er sich zuhause fühlen könne. Und Charles sei von Natur aus jemand, der den Menschen Türen öffne.
Vision der offenen Paläste
Des Königs Vision sieht wohl langfristig vor, dass die königlichen Paläste und Schlösser, die er mittlerweile eher als öffentliche Orte denn als private royale Räume sieht, „in angemessenem Rahmen“ immer mehr zahlenden Besuchern zugänglich gemacht werden sollen, was gerade junge Zielgruppen schrittweise näher an die Monarchie heranführen und natürlich auch dazu beitragen soll, dass die hohen Unterhaltskosten für Gebäude und Personal wieder reinkommen.
Walter Bagshot, der britische Verfassungstheoretiker aus Zeiten Queen Victorias, formulierte zwar einst, die Monarchie dürfe nie zu viel Tageslicht auf die Magie fallen lassen, damit diese nicht an Faszination verliere. Daran hatten sich alle folgenden Monarchen auch gehalten. Nun will Charles III. aber andere Wege gehen. Er fürchtet wohl, dass die alte Taktik nicht mehr ausreichen könnte, eine stabile Verbindung zwischen König und Volk aufrecht zu erhalten, von der das weitere Bestehen des steuerfinanzierten Königshauses doch stark abhängt.
Er hofft, durch gezielte Einblicke hinter die Kulissen das Königshaus mit einer Art royaler „Glasnost-Strategie“, als Monarch moderner und relevanter zu wirken. Zumal es in Zeiten von allgegenwärtigen Smartphones und Social Media-Posts sowieso kaum möglich ist, irgendwelche Details zum Leben der Windsors lange geheim zu halten.Prinzessin Kate Wimbledon Finale 18:24
Wo liegt die Zukunft Monarchie?
Ob König oder Thronfolger am Ende recht behalten mit ihrer jeweiligen Strategie, ob eine Transparenzerweiterung oder die traditionelle Abschottung des Privatlebens von der Öffentlichkeit der richtige Weg für die Zukunft der britischen Monarchie ist, kann nur die Zeit zeigen.
Aber vielleicht liegt die Lösung ja, wie so oft, in der Mitte – und Williams Frau Kate könnte für Vater und Sohn gleichermaßen als Vorbild dienen: Wo sie zunächst ihre eigene Erkrankung lange strikt im engsten Familienkreis geheim hielt, entschied sie schließlich angesichts der völlig außer Kontrolle geratenen falschen Geschichten, die über sie im Umlauf waren, auf eigene Initiative, in einem Video sehr offen von ihrer Erkrankung zu erzählen und die Öffentlichkeit um Geduld zu bitten.
Wider Erwarten hat sie sich seitdem dann doch zweimal bei wichtigen nationalen Ereignissen öffentlich gezeigt: Im Juni bei der Geburtstagsparade für den König und jüngst am letzten Wochenende beim Herren-Finale in Wimbledon – und wurde frenetisch bejubelt. „Glasnost light“ könnte die Monarchie vielleicht moderner machen.