Der US-Präsident hat sich dem Druck gebeugt und kandidiert nun doch nicht für eine zweite Amtszeit. Wie geht es weiter – und vor allem: Wer folgt ihm?
Der Druck auf US-Präsident Joe Biden, sich aus dem Rennen um die Präsidentschaft zurückzuziehen, ist zu groß geworden. Die Bedenken wegen seines Alters und wegen Zweifeln an seiner mentalen Fitness sind immens, auch bei seinen engsten Vertrauten. Nun hat sich der US-Präsident tatsächlich aus dem Wahlkampf zurückgezogen. Nur wenige Monate vor der Wahl brauchen die Demokraten einen neuen Präsidentschaftskandidaten.
Joe Biden geht von Bord – Vizepräsident Kamala Harris wäre logische Nachfolge
Bidens Vizepräsidentin, Kamala Harris, gilt als natürliche Nachfolgerin. Auch für den US-Präsidenten selbst: Er hat sie bereits vorgeschlagen.
Dabei galt die 59-jährige Harris in ihrem Amt lange als blass und hatte mit schlechten Umfragewerten zu kämpfen. Angesichts von Bidens Hängepartie gewann sie zuletzt aber an Zuspruch.
Harris ist die erste Frau und die erste Schwarze, die den Eid als US-Vizepräsidentin abgelegt hat. Ihr Vater wanderte einst aus Jamaika ein, um Wirtschaft zu studieren. Ihre Mutter, eine Krebsforscherin und Bürgerrechtlerin, kam aus Indien. Die Demokraten bräuchten gute Gründe, Harris einfach zu übergehen. Analyse: Anschlag Donald Trump
Außerdem ist sie durch ihre Rolle national bekannt, sie hat alle Checks für Weiße Haus bereits durchlaufen und könnte wohl auf den Wahlkampfapparat und vermutlich auch auf gesammelte Spenden von Biden zugreifen, weil sie als Vize schon Teil von dessen Wiederwahlkampagne war. Allerdings: Würde Harris aufrücken, bräuchte sie bis zum Parteitag noch einen Vizekandidaten an ihrer Seite.
Parteitag könnte zum Abstimmungsdrama werden
Biden hat die internen Vorwahlen seiner Partei gewonnen und sich eigentlich die nötigen Delegiertenstimmen für den Nominierungsparteitag gesichert, der vom 19. bis 22. August in Chicago im Bundesstaat Illinois stattfindet. Eigentlich sollte der 81-Jährige dort offiziell als Präsidentschaftskandidat gekürt werden. Nach seinem Rückzug sind die Delegierten in Chicago aber nicht mehr an den Ausgang der Vorwahl in ihrem Bundesstaat gebunden, sondern frei in ihrer Entscheidung.
Die Demokraten dürften so kurz vor der Wahl kein Interesse haben, einen offenen Konkurrenzkampf mehrerer Ersatzkandidaten zu starten und den Parteitag zum Austragungsort für ein Abstimmungsdrama zu machen. Auch wenn einflussreiche Stimmen wie Nancy Pelosi, die ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses, sich offenbar genau dafür ausgesprochen haben. Wie die „New York Times“ berichtet, habe Pelosi bei einem Treffen ihrer Delegation aus Kalifornien kürzlich betont, sie würde einen „Wettbewerb“ bevorzugen, statt sich einfach hinter Harris zu versammeln.
Zwar sei sie ein Fan der Vizepräsidentin, aus Pelosis Sicht würde eine offene Wahl zu Gunsten Harris sie als Kandidatin deutlich stärken. Und das könnte auch nötig sein. Denn laut einer Umfrage im Auftrag der „Washington Post“ sind die Mitglieder der Demokraten sehr unsicher, ob Harris bei der Wahl besser abschneiden wird als es Biden getan hätte.
Ob es nun Harris oder jemand Anderes: Wahrscheinlich ist, dass die Demokraten versuchen werden, die Partei vorab hinter einer neuen Spitzenperson zu versammeln.
Gäbe es noch Alternativen zu Harris?
Neben Harris fielen zuletzt am häufigsten die Namen Gavin Newsom und Gretchen Whitmer. Newsom (56) ist Gouverneur des mächtigen Bundesstaates Kalifornien. Er hat sich national einen Namen gemacht und intensiv an seinem politischen Profil gearbeitet, zuletzt unter anderem mit viel beachteten Auslandstrips. Whitmer (52) ist Gouverneurin von Michigan und gilt seit Längerem als aufstrebende Kraft in der Partei. Vor der Wahl 2020 hatte Biden sie als seine Vize in Erwägung gezogen. US-Medien zufolge sollen beide intern klargemacht haben, dass sie für die zweite Reihe als mögliche Vizes für Harris nicht zur Verfügung stehen.
Warum war Joe Bidens Rückzug vor dem Parteitag so wichtig?
Wäre Biden erst nach seiner offiziellen Nominierung aus dem Rennen ausgestiegen, wäre die Parteiführung am Zug gewesen. Das Democratic National Committee (DNC) hat mehrere Hundert Mitglieder – mit Vertretern aus allen Bundesstaaten. Es wäre damit zwar kein ganz kleiner Vorstandszirkel, dem die Entscheidung zufallen würde, wer ihm nachfolgen soll. Dennoch könnte es Experten zufolge übel aufstoßen, wenn allein in einer solchen Runde beschlossen worden wäre, wer für die Partei antritt. Um das zu verhindern, wäre es theoretisch auch möglich gewesen, dass außer der Reihe ein gesonderter Parteitag einberufen worden wäre – falls das zeitlich und logistisch überhaupt noch machbar gewesen wäre.
Quellen: DPA, New York Times, Washington Post