James, Curry, Durant: In London bekommt Basketball-Weltmeister Deutschland die ultimative Standortbestimmung. Eine Niederlage könnte sogar ein gutes Omen sein.
Als Weltmeister Franz Wagner auf die US-Superstars um LeBron James angesprochen wird, erinnert er sich an seine Kindheit und aufregende Basketball-Nächte. „Auf jeden Fall bin ich nachts aufgestanden. Ich hatte ein Trikot von LeBron, er war eines meiner Vorbilder. Ich habe mir unzählige Stunden von seinen Highlights angeschaut“, sagte der 22 Jahre alte Wagner über den 39-jährigen James. „Natürlich ist ein Teil von mir noch Fan, aber wenn wir gegeneinander spielen, will ich natürlich gewinnen.“
„Wir sind ja keine Fans“
Wenn am Montag (21.00 Uhr MESZ/ProSieben) in der ausverkauften Arena in London die Olympia-Generalprobe gegen Goldfavorit USA ansteht, erwartet Weltmeister Deutschland um Kapitän Dennis Schröder die ultimative Standortbestimmung. Und Wagner ist längst kein Teenie mehr, der nach Trikots oder Unterschriften giert. Im Gegenteil. „Am Ende des Tages ist das nur ein Team. Wir sind ja keine Fans – wir müssen gucken, dass wir gut spielen“, stellte der Profi von den Orlando Magic klar.
318 Tage nach dem mitreißenden WM-Halbfinale von Manila, bei dem Deutschland den Topfavoriten USA mit 113:111 aus dem Turnier warf und der Deutsche Andreas Obst zum Helden wurde, hat das NBA-Ensemble die Chance zur Revanche. Und fährt dafür und das folgende olympische Turnier in Lille und Paris die größten Namen der Sportart auf: Neben James sind unter anderen auch Kevin Durant, Stephen Curry und Joel Embiid dabei. „Es ist ein perfekter Gradmesser für uns“, sagte Bundestrainer Gordon Herbert wenige Tage vor dem Olympia-Auftakt gegen Japan an diesem Samstag.
Wo steht das US-Team im historischen Kontext?
Eine Niederlage muss dabei kein schlechtes Omen sein. Vor dem einmaligen WM-Lauf mit acht Siegen in acht Spielen hatte Deutschland ebenfalls die Generalprobe gegen die USA absolviert – und in Abu Dhabi trotz deutlicher Führung knapp verloren. Für Herbert geht es auch dieses Mal mehr um die Eindrücke als um das Ergebnis. „Es ist gut, dass wir jetzt gegen die USA spielen“, sagte der 65-Jährige. „Sie sind zwar der Favorit auf die Goldmedaille, aber uns kommt es entgegen, jetzt gegen einen physisch starken Gegner zu spielen.“
Dass die USA selbst nach dem verpatzten Test gegen Südsudan (101:100 nach deutlichem Rückstand) klarer Goldfavorit für Olympia sind, steht außer Frage. Die Frage ist eher: Wo steht dieses Team im historischen Kontext? Im Vergleich zum Dream-Team, das 1992 in Barcelona durch das Turnier pflügte? Im Vergleich zu 2008 und 2012, als Kobe Bryant und James an der Spitze standen?
Für US-Trainer Steve Kerr liegen die Unterschiede nicht im eigenen Team, sondern in der Konkurrenz. „Von dem, was sie erreicht haben, ist dieses Team genauso hochdekoriert wie das Team von 1992. Der große Unterschied ist, die Welt war 1992 bei weitem nicht so gut wie sie es jetzt ist“, sagte Kerr.
Schwäche der USA ist Deutschlands Stärke
Die Konkurrenz mit Teams wie Frankreich um Supertalent Victor Wembanyama, Serbien mit NBA-Star Nikola Jokic und dem geschlossen starken Deutschland sei inzwischen eine ganz andere. „Es ist eine komplett andere Basketball-Welt als 1992“, merkte Kerr an. Bester Beweis dafür war die WM in Asien im vergangenen Jahr. Die USA verloren nicht nur das Halbfinale, sondern zwei weitere Spiele und flogen am Ende ohne Medaille nach Hause.
Das erscheint bei Olympia nahezu ausgeschlossen. Denn die USA haben ihr Team nicht nur namhaft, sondern auch sinnvoll ergänzt. Center Embiid und Anthony Davis beheben die größte WM-Schwäche, als die USA vor allem in der Spielfeldmitte extrem anfällig waren.
„Unsere Stärke ist die Tiefe an Qualität, die wir haben. Unser Problem ist, dass wir jeden Sommer einen anderen Kader haben. Die anderen Nationen haben mehr Kontinuität in ihren Teams“, sagte Kerr. Die deutsche Auswahl, die nach 2022 und 2023 zum dritten Mal in Serie mit dem gleichen Kern antritt, ist dafür das beste Beispiel.
Schröder schielt auf Gold
Auch Deutschlands Kapitän Schröder sieht die USA in der Favoritenrolle. „Es ist klar, wofür die spielen. Das sind die zwölf besten Spieler der Welt. Das ist das größte Turnier der Welt“, sagte der 30-Jährige, der vor dem Turnierauftakt in Lille gerne noch die deutsche Fahne bei der Eröffnungsfeier tragen möchte und dafür zur Auswahl steht.
Angesichts von James und Curry nur Silber anzupeilen? Kommt für Schröder nicht infrage. „Natürlich würden wir mit jeder Medaille Geschichte schreiben. Aber jeder sollte Gold anstreben, sonst zeige man Schwäche.“