Drei Milliarden Streams später: Die Band Glass Animals forscht mit ihren neuen Album nun in unendlichen Weiten.
Kann man Pink Floyd, Dr. Dre und einen Bilderbuchklassiker namens „The Zabajaba Jungle“ zusammenschmeißen und daraus guten Pop machen? Der Indie-Band Glass Animals gelang es. Vor zehn Jahren schufen sie mit diesen Zutaten ihr Debüt „Zaba“, unterlegten ihren Elektropop mit bizarren Texten und Klangexperimenten. Sänger Dave Bayley nahm etwa Naturgeräusche in der Nähe seines Hauses auf. Fantasievoll waren auch die Videos. In einem sprießen Pflanzen und kreuchen Tiere in einer psychedelischen Dschungel- und Unterwasserwelt aus Knete.
Dave Bayley, heute 35, war als Teenager mit seinen Eltern von Texas, USA, nach Oxford, England, gezogen. Später studierte er Neurowissenschaften, gründete eine Band, begann in schlaflosen Nächten mit dem Songschreiben. Auch für die Alben zwei und drei dachte er sich Rahmenhandlungen aus, erfand für „How To Be A Human Being“ verschiedene Figuren. Da gab es ein Lied über ein Mädchen, das tagelang auf dem Sofa gammelt und Mayonnaise aus einem Glas löffelt. In einem anderen singt Bayley, dass er „Ananas im Kopf“ habe. Fans liebten die Zeile, schleppten die Frucht mit zu den Konzerten der Band. Die Glass Animals standen für schrulligen Art-Pop, für intelligenten Spaß.
Glass Animals: „I Love You So F***ing Much“
Aus der Nische ging es bald ganz hoch in die Charts: Seit ihrem Album „Dreamland“ von 2020 gelten die Glass Animals als eine der wichtigsten britischen Bands, standen mit der Single „Heat Waves“ rekordverdächtig lange in den weltweiten Hitparaden. Bis heute kommt der Song auf mehr als drei Milliarden Abrufe bei Spotify. Entsprechend gespannt warteten die Fans darauf, welche kleine Welt sich die Glastierchen als Nächstes ausdenken würden. Auf „I Love You So F***ing Much“, erneut einem Konzeptalbum, geht es um Liebe, was zunächst nicht originell klingt. Aber natürlich gibt es einen Twist: Die Band schießt die Herzensangelegenheit ins All.
Dave Bayley erreicht der Videocall in seinem Londoner Zuhause. Er ist gerade umgezogen, auf dem Boden liegen Dinge, unausgepackte Kisten stehen herum. Das Chaos mache ihn nervös, sagt er: „Ich bin ein Ordnungsfreak.“ Bayley erzählt, wie sich nach dem Erfolg von „Heat Waves“ Türen öffneten. Er schrieb für andere Musiker, produzierte Alben, schritt über viele rote Teppiche. Und verlor sich dabei. „Ich bin ein introvertierter Mensch, verbringe gern Zeit allein, mache Musik in meinem Schlafzimmer.“
Wer bin ich in diesem Universum?
Im Frühjahr 2022 hätte er zur Grammy-Verleihung gehen sollen, bekam aber Covid. Er steckte in einem Airbnb-Zimmer in Kalifornien fest, als ein Sturm aufzog, der das Holzhaus auf Stelzen fast von einer Klippe fegte. „Als ich vom Fenster aus beobachtete, wie gleich nebenan Bäume von einem Berg stürzten, dachte ich, ich würde sterben.“ Im Angesicht der Gefahr habe er sich gefragt: Wer bin ich? Was mache ich hier eigentlich?
Wo sich existenzielle Fragen im Kopf ausdehnen, sind auch solche nach dem Universum nicht weit. Und da Bayley immer schon aus Sternenstaub Musik machen wollte, führte er zwei Themenwelten zusammen, die komplexer nicht sein könnten: das Weltall und die Liebe.
STERN PAID 27_24 Camila Cabello 18.52
Einer der zehn neuen Songs handelt etwa von der kindlichen Sicht auf Erwachsenenbeziehungen, ein anderer von dem einen Moment, der den Blick auf die Liebe für immer verändert. „Das Universum mag uns das Gefühl geben, überwältigend klein zu sein, aber wir haben diese menschliche Verbindung, die viel mächtiger und tiefer ist“, sagt Bayley.
Um spacige Soundeffekte zu erzeugen, suchte Bayley im Internet und auf Flohmärkten nach alten analogen Geräten „die wie Zukunft klingen“, baute ein neues Studio. Der Bassist Edmund Irwin-Singer und er bastelten so lange an den Instrumenten herum, bis sie einen galaktischen Sound herausbekamen. „Ich könnte die nächsten eineinhalb Stunden über die Anspielungen sprechen, die sich im Album verstecken“, sagt er. „Dark Side of the Moon“ und „Per Anhalter durch die Galaxis“, aber auch das Lehrbuch „Cosmic View“ aus dem Jahr 1957. In dem gibt es eine Illustration, in der in 42 Bildern aus dem Weltraum auf die Erde gezoomt wird, auf ein Mädchen mit Katze. Der Zoom geht immer tiefer, bis unter die Haut. Von astronomisch riesig bis atomar winzig.
Während die Popwelt von heute nicht immer für Überraschungen und Originalität steht, verbreiten die Glass Animals weiterhin einen Hauch Magie. Leider verzaubern die Songs auf dem neuen Album aber nicht mehr so wie die früheren Werke der Band. Zu wenige Irritationen, manche Songs wirken glatt wie eine Raumkapsel.
Guter Pop bleibt es dennoch, besonders, wenn man tiefer in die Materie einsteigt.