Beinahe wäre Donald Trump bei einem Attentat gestorben. Auch deutsche Spitzenpolitiker leben gefährlich. Wer sorgt für ihre Sicherheit?
Als Thomas Matthew Crooks am Samstag den Abzug seines Gewehrs drückte, stand fest, dass auf den Secret Service unangenehme Wochen zukommen. Die US-Behörde verantwortet den Schutz des amtierenden Präsidenten und seiner Vorgänger. Also auch den von Donald Trump, dem Ziel von Crooks Schüssen.
Zwar kam der ehemalige US-Präsident mit einem Streifschuss am Ohr glimpflich davon. Trotzdem stellt sich die Frage, ob die Sicherheitsbeamten versagt haben. Schließlich hätte der Schütze niemals auf das Dach des Gebäudes neben Trumps Kundgebung im US-Bundesstaat Pennsylvania gelangen dürfen – geschweige denn zum Schuss.
Das Attentat bestätigt die Bedrohungslage, in der sich US-amerikanische Spitzenpolitiker schon immer befanden. Auf sieben Präsidenten wurden Anschläge verübt, vier überlebten die Verletzungen nicht.
Doch auch die führenden Köpfe der deutschen Politik leben gefährlich. Erst im vergangenen Oktober nahm die Polizei fünf Verdächtige fest, die geplant haben sollen, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zu entführen. Im Mai schlug ein Mann der Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (beide SPD) von hinten auf den Kopf. Wie werden Spitzenpolitiker in Deutschland beschützt?
Selbst beim Joggen ist der Kanzler nicht allein
Die Sicherheit der Verfassungsorgane des Bundes verantwortet die Abteilung „Sicherungsgruppe“ des Bundeskriminalamts (BKA). Es schützt den Bundeskanzler und die Minister, den Bundespräsidenten sowie die Mitglieder des Bundestages, Bundesrates und des Bundesverfassungsgerichts. Auf Landesebene sind die Landeskriminalämter (LKAs) zuständig, normalerweise werden dort die Ministerpräsidenten und Innenminister bewacht. So waren bei dem Angriff auf Giffey keine LKA-Beamten vor Ort.
Fachleute teilen die Bedrohungslage in drei sogenannte Gefährdungsstufen ein. In der dritten Stufe („mittel“) begleiten BKA-Beamte Politiker „anlassbezogen“, wie es im Beamtensprech heißt, so etwa bei Wahlkampfauftritten. In der zweiten Stufe („hoch“) erweitert die Behörde die Schutzmaßnahmen.
Die erste Stufe („sehr hoch“) gilt nur für Personen, gegen die jederzeit mit einem Anschlag zu rechnen ist. Sie werden rund um die Uhr von Personenschützern begleitet, im Dienst wie im Urlaub. Zu ihnen gehören – qua Amt – Bundeskanzler und Bundespräsident. Aber auch Vizekanzler Robert Habeck (Grüne), Innenministerin Nancy Faeser (SPD) oder Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) werden intensiv durch das BKA geschützt.
Die Höhe der Gefahr bewertet die Behörde selbst. Die Einschätzung richtet sich nach dem Amt, das ein Politiker bekleidet, aber auch nach der konkreten Bedrohungslage. Entscheidend ist dabei nicht unbedingt, ob ein Auftritt öffentlich oder nicht-öffentlich, dienstlich oder privat ist. Vielmehr richtet sich der Umfang der Schutzmaßnahmen nach der „Bewertung der individuellen Gefährdung“. Deshalb waren auch bei der Hochzeit von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) auf Sylt BKA-Leute dabei.
Eine Personenschützerin hält Robert Habeck die Autotür auf: Auch der Bundeswirtschaftsminister wird eng beschützt
© Bernd von Jutrczenka
Doch was bedeutet ein Schutz „rund um die Uhr“ in der höchsten Gefährdungsstufe konkret? Bundeskanzler Gerhard Schröder scherzte einst, seine Personenschützer gingen mit ihm „weder ins Bett noch aufs Klo“. Sein Nachnachfolger Olaf Scholz (beide SPD) wurde sogar schon beim Joggen mit seinen Leibwächtern gesichtet.
Scholz‘ Personenbeschützer öffnen für ihn die Tür, wenn er aus seiner gepanzerten Limousine steigt. Sie folgen ihm auf Schritt und Tritt, sichern Räume, bevor der Kanzler sie betritt. Hält Scholz eine Rede im Bundestag, behalten sie ihn von den Seiteneingängen des Plenarsaals aus im Blick.
Eine schwere Panne leisteten sich seine Beschützer vor rund einem Jahr. Damals konnte ein Mann ungehindert auf dem Rollfeld des Frankfurter Flughafens an den Kanzler herantreten und ihn umarmen.
Im Zweifel zahlen sie mit dem Leben
Von den Leibwächtern wird erwartet, im Zweifel ihre Gesundheit für den Dienstherrn zu riskieren. Die „Grundvoraussetzung“ für den Dienst sei, „sich so zu verhalten, dass die Person geschützt wird, notfalls mit dem eigenen Leben“, sagte Rainer Schanz, der ehemalige Personenschützer von Gerhard Schröder und Angela Merkel, kürzlich dem stern. Sie müssen sich in die Schusslinie werfen und vor einen heranstürmenden Angreifer stellen – und zwar ohne zu zögern.
In ihren dunklen Anzügen, immer mit Knopf im Ohr, Bundesadler am Revers und Pistole am Gürtel, sind die Personenschützer leicht zu erkennen. Das BKA nutzt aber auch verdeckte Beamte, die sich bei Auftritten von Politikern unter das Publikum mischen.
Auch der Innenschutz von Gebäuden, in denen sich Politiker dauerhaft aufhalten, ist Aufgabe des BKA. Also sowohl Dienstorte wie das Bundeskanzleramt, aber auch private Wohnsitze. Dazu gehört zum Beispiel der Einbau von Fensterscheiben aus Panzerglas.
Auch AfD-Politiker bekommen Personenschutz
Sogar Bundestagsabgeordnete können Personenschutz erhalten. In Deutschland sind etwa auch Spitzenfunktionäre der AfD auf Staatskosten geschützt. Etliche Politiker der teils rechtsextremistischen Partei sind in unregelmäßigen Abständen das Ziel von Morddrohungen.
Nicht nur die Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla werden auf öffentlichen Terminen permanent von Personenschützern begleitet. Auch Thüringens AfD-Landeschef Björn Höcke erhält seit mindestens sieben Jahren einen ähnlichen Schutz wie Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). Selbst Höckes Familie wird bewacht.
Unmittelbar vor der Bundestagswahl 2021 wurde auf einer linksextremistischen Internetseite eine Liste von Zielpersonen mit ihren Wohnadressen veröffentlicht. Auch Höcke stand darauf. „Töten wir die Schweine der AfD mittels Sprengstoff“, hieß es dort.
Der Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Hans-Georg Engelke, erklärte im März 2021 im Bundestag auf die Anfrage eines AfD-Abgeordneten das Prozedere: „Die allgemeine Gefährdungslage der Amts- und Mandatsträger wird regelmäßig durch das Bundeskriminalamt überprüft und fortgeschrieben. Dies gilt auch für die Mitglieder der Fraktion der AfD im Deutschen Bundestag.“ Dabei werde die „spezifische Bedrohungslage“ durch politisch motivierte Kriminalität „ausdrücklich berücksichtigt“.