EM 2024: Kane und Southgate verkörpern das ewige Scheitern der Engländer

England ist auf dem Weg zum Titel erneut gescheitert. Trainer Gareth Southgate und Kapitän Harry Kane sind die Gesichter der Niederlage – aus ganz unterschiedlichen Gründen.

Der Gang durch das Spalier der Sieger gehört zu den brutalen Ritualen des Fußballs. Die Verlierer müssen an den Gewinnern vorbei, ehe sie sich bei der Siegererhrung auf dem Podium die Silbermedaille um den Hals hängen können. Es ist ein als faire Geste getarnter Spießrutenlauf, so dürften es auch die englischen Nationalspieler empfunden haben an diesem Abend im Berliner Olympiastadion. Harry Kane ging als Kapitän voran, mit erstarrter Miene. Als letzter machte sich Trainer Gareth Southgate auf den Weg durch das Spalier der siegreichen Spanier und holte sich ein paar warme Worte von Prinz William und Uefa-Präsident Aleksander Ceferin ab.

Southgate und Kane dürften die beiden Protagonisten sein, an denen sich die erneute Niederlage der Three Lions in einem großen Finale am besten festmachen lässt. Southgate, der unglückliche Trainer, der zwei Mal nacheinander das Finale der Europameisterschaft erreichte und jeweils scheiterte. Kane, bald 31 Jahre alt, einer der besten Torjäger der Welt, aber immer noch ohne Titel. Die beiden verkörpern mehr als andere das ewige Scheitern der Engländer, endlich einen zweiten großen Titel zu gewinnen. Seit dem WM-Titel vor 58 Jahren im eigenen Land wartet das Königreich auf einen weiteren Erfolg. Jetzt müssen sich die Engländer zwei Jahre gedulden, ehe sie bei der WM in Mexiko, USA und Kanada die nächste Chance erhalten.

Nie zuvor war der Titel für England wahrscheinlicher

Nie zuvor erschien der zweite Titel wahrscheinlicher als im Sommer 2024. England kam als einer der großen Favoriten nach Deutschland, scheiterte aber an sich, der sichtbaren Erschöpfung seiner Spieler und der eigenen Taktik, die auf Defensive und Sicherheit setzte und die Offensive hemmte.Gareth Southgate vor dem Finale 13:03

Kane schleppte sich mehr durch das Turnier als zu brillieren und das Team zu führen. Dennoch erzielte er wichtige Tore und wurde mit fünf weiteren Spieler mit drei Treffern Torschützenkönig. Beim 1:1 gegen Dänemark in der Vorrunde schoss er sein Team in Führung, gegen die Slowakei im Achtelfinale erzielte er in der Verlängerung den Siegtreffer und im Halbfinale beim 2:1-Sieg über die Niederlande verwandelte er einen Strafstoß sicher zum Ausgleich. 

Er hat damit die vorgesehe Rolle teilweise erfüllt, aber in Erinnerung bleibt ein Kapitän, der Schwierigkeiten hatte, das Tempo mitzugehen, der oft abtauchte oder keine Anspiele bekam, die er verwerten konnte. Zuletzt wechselte Southgate seinen Kapitän mehrmals vorzeitig aus, um mehr „Frische“ in die Offensive zu bekommen, wie er sagte. Das funktionierte im Halbfinale gegen die Niederlande hervorragend: Kane-Ersatz Ollie Watkin erzielt kurz vor Schluss den Siegtreffer. Im Finale war von Kane wenig zu sehen, in der 61. Minute war für ihn Schluss. Die Leistungen von Watkins oder Cole Palmer machte die Schwäche des Torjägers umso deutlicher.

Gareth Southgate gilt nicht als großer Taktiker

Das Kane-Problem führt aber direkt zum Trainer. So schwerfällig der Auftritt des Bayernstars war, so schwerfällig waren Taktik und Umstellungen von Southgate, auch wenn er später für seine Einwechslungen Lob erhielt. Im Grunde korrigierte er aber immer nur seine Fehler in der Aufstellung. Das Experiment, Außenverteidiger Alexander Trent-Arnold im defensiven Mittelfeld einzusetzen, ging komplett schief. Im dritten Spiel reagierte Soutgate und brachte zunächst Conor Gallagher, der sich als weiterer Ausfall erwies. Erst im Achtelfinale beorderte Southgate den von den Medien geforderten Kobbie Mainoo in die Startelf, wodurch das Spiel der Engländer belebt wurde. Offenbar traute er dem erst 19-Jährigen zunächst nicht zu, die Rolle im defensiven Mittelfeld neben Declan Rice erfolgreich auszufüllen. Southgate ist einer, der mehr auf Erfahrung setzt als auf aktuelle Form.Bilderstrecke Finale Spanien England

Er hatte auf dem Papier eine der besten Offensivreihen der Welt zur Verfügung. Ihm gelang es aber zu keinem Zeitpunkt, sie zu entfesseln, was auf der Insel zu massiver Kritik führte. Das Quartett aus Bukayo Saka, Phlil Foden, Jude Bellingham und Kane harmonierte selten, es waren immer nur wenige Momente, in denen die Engländer die ganze Offensivpower auf den Rasen brachten. Dem Spiel fehlte Tiefe und der Vertikalpass zwischen die Ketten (in die Tiefe) scheint Southgate unbekannt zu sein. Warum er im Finale wieder auf die Viererkette setzte, obwohl er in den beiden Spielen zuvor erfolgreich auf eine Dreierkette umgestellt hatte, bleibt ein Rätsel. Als großer Taktiker galt der 53-Jährige nie.

Es bleibt die Frage, wie sehr die Erschöpfung der Nationalspieler nach einer langen Saison beim EM-Auftritt der Engländer eine Rolle spielte. Es wirkte teilweise, als wären die Batterien komplett leer. Am Ende der Finalpartie konnte England nicht mehr zulegen. Stattdessen zogen sie sich an den eigenen Strafraum zurück und agierten viel zu passiv. Die Spanier hingegen ließen einen Angriff auf den nächsten folgen, bis sie schließlich die Lücke in der englischen Abwehr fanden. Die Mannschaft von Trainer Luis de la Fuente war deutlich fitter, fast so, als wäre sie gerade erst aus der Vorbereitung gekommen. 

Fußball-England darf sich jetzt zwei Jahre die Wunden lecken. Die wichtigste Frage lautet: Bleibt Southgate Trainer? Sein Vertrag läuft Ende des Jahres aus, bis dahin hat er Zeit zu überlegen, ob er verlängern möchte. Schon vor der EM war die Unterstützung für ihn im englischen Verband groß, er allein entscheidet über seine Zukunft. Im Verband wissen sie nur zu genau, dass Southgate nach Sir Alf Ramsey, dem Weltmeister-Coach von 1966, der erfolgreichste Trainer in der Geschichte der Three Lions ist. Auch das gehört zur Wahrheit.

Quellen:kicker„, „Frankfurter Allgemeine Zeitung„, „The Athletic„, „The Guardian