Hat das Heidelberger KI-Start-up Aleph Alpha Ende 2023 wirklich eine Kapitalspritze über 500 Mio. Dollar von Investoren bekommen? Interne Unterlagen wecken Zweifel.
Die Geschichte schien perfekt: Jonas Andrulis, ehemaliger Apple-Manager und KI-Experte, baut in Deutschland an der großen Hoffnung für generative Künstliche Intelligenz, an einem europäischen Champion, der es mit den dominanten US-Playern aufnehmen kann. Sicher, verlässlich, leistungsstark.
Ein Ausrufezeichen setzte die Firma, als sie Ende des vergangenen Jahres eine Finanzierungsrunde über 500 Mio. Dollar verkündete, eingesammelt beim Who’s who der deutschen Wirtschaft: Beteiligt waren unter anderem Lidl-Eigentümer Dieter Schwarz über sein neu gegründetes KI-Zentrum Ipai, der Softwarekonzern SAP sowie der Industriegigant Bosch. Das passte perfekt zu Andrulis’ Story: ein deutscher KI-Herausforderer, eng verdrahtet in die deutsche Wirtschaft, finanziert mit deutschem Kapital.
Es gibt nur einen Haken bei der Geschichte: Eine Finanzierung über 500 Mio. Dollar ist so nie geflossen. Stattdessen erhielt das Unternehmen deutlich weniger Kapital als die halbe Milliarde, die Aleph Alpha Öffentlichkeit und Medien glauben ließ. Interne Unterlagen, die Capital vorliegen, belegen, dass in der Finanzierungsrunde etwas mehr als 100 Mio. Euro in das Start-up gesteckt wurden. Das geht etwa aus dem bislang unveröffentlichten Jahresabschluss 2023 hervor. Demnach befanden sich zum Jahresende 2023 – kurz nach der Finanzierungsrunde – rund 108 Mio. Euro auf dem Konto des Start-ups, eine Erhöhung von 102 Mio. Euro im Vergleich zum Vorjahr. In der Bilanz lassen sich auch sonst keine weiteren Spuren des restlichen Geldes finden.
Capital-Recherchen erhärten Verdacht
Laut einer Präsentation für Investoren der betreffenden Finanzierungsrunde, die Capital ebenfalls vorliegt, war Aleph Alpha ohnehin nur auf der Suche nach 100 Mio. Dollar. Erste Zweifel an dem tollkühnen Announcement hatte der Blogger Thomas Knüwer Ende Juni geäußert. Die Capital-Recherchen erhärten den Verdacht nun.
PAID – Katharina Zweig über Künstliche Intelligenz 18:21
Auf Anfrage will sich das Unternehmen nicht konkret zu der offensichtlichen Diskrepanz äußern. Stattdessen verweist ein Firmensprecher auf zwei Zeitungsartikel, die „zu den Besonderheiten und der Zusammenstellung der Finanzierungsrunde“ Auskunft gäben: Zum einen ist das ein „Handelsblatt“-Text aus dem vergangenen Sommer, der über eine Zusammenarbeit von Aleph Alpha mit dem Heilbronner Ipai-Zentrum berichtete und in dem es über die Finanzierungsvorhaben des Ipai hieß: „Über die nächsten zehn Jahre sollen mehr als 300 Mio. Euro investiert werden, die Aleph Alpha indirekt zugutekommen werden.“ Davon könnten allerdings auch andere Firmen profitieren, „da alle gemeinsamen Forschungsergebnisse offengelegt werden sollen“.
Zum anderen ist das ein Artikel aus der britischen „Financial Times“ über die eigentliche Finanzierungsrunde im November, in dem es schon damals hieß, nur rund ein Viertel des Geldes sei eine Eigenkapitalbeteiligung – der Rest setze sich „aus Forschungszuschüssen und Zusagen für die gemeinsame Geschäftsentwicklung zusammen, die die Aktionäre nicht verwässern werden“, schrieb die Zeitung unter Berufung auf Personen aus dem Firmenumfeld. Es war also schon damals zumindest im Ansatz bekannt, dass es beim großen Aleph-Alpha-Funding nie wirklich um 500 Mio. Dollar an frischem Kapital ging. Trotzdem verbreitete die Firma das Narrativ der halben Milliarde.
„Großer PR-Stunt“
Unter Start-ups, insbesondere im boomenden KI-Bereich, ist es nicht unüblich, das eigene Funding etwas größer darzustellen – etwa, wenn Rechenpower gegen Anteile getauscht werden. Das Training der eigenen Sprachmodelle ist extrem kostspielig, dafür benötigen die KI-Anbieter Rechenleistung, die sie einkaufen müssen – oder im Tausch gegen Anteile bekommen.
Im Fall von Aleph Alpha wurde allerdings offenbar sehr großzügig gerechnet, wie das Beispiel mit der Ipai-Kooperation zeigt. „Man wollte hier dem Anschein nach unbedingt zeigen, dass man auch in Deutschland KI-Megarunden zusammenbringt“, sagt Tech-Experte Philipp Klöckner darüber. Für „einen großen PR-Stunt“ habe die Firma offenbar „sämtliche Finanzmittel, Umsatz- und Lizenzzusagen, Leistungsversprechen und sonstige Förderungen aufaddiert“. Damit, so Klöckner, habe man „vor allem das genaue Gegenteil bewiesen: Nämlich dass es nicht möglich ist, in Deutschland derlei Mittel zu mobilisieren“.
CAPITAL Analyse Aleph Alpha Deal
Der Aleph-Alpha-Chef beharrte dabei noch Anfang des Jahres auf den offiziellen Angaben zur 500-Millionen-Runde: „Das Geld wird komplett fließen und ist auch nicht durch zum Beispiel Rechenleistung oder Ähnliches eingeschränkt oder künstlich großgerechnet“, sagte Andrulis der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. „Aber wir haben natürlich auch nicht alles am Tag null auf dem Konto.“ Von dieser Aussage scheint Aleph Alpha nun offenbar Abstand zu nehmen, wie die Reaktion des Sprechers zeigt.
Umsatzziele weit verfehlt
Mit dem aufgeblasenen Announcement hat die Firma den eigenen Erfolgsdruck unterdessen selbst hochgeschraubt – und muss sich nun daran auch messen lassen. Aktuell, so scheint es, wird das zum Problem. Wie mehrere Medien berichten, sind viele Anwender mit der Qualität des Aleph-Alpha-Sprachmodells Luminous überhaupt nicht zufrieden. Das schlägt sich offenbar auch in den Geschäftszahlen nieder: Wie interne Unterlagen zeigen, visierte das Unternehmen Anfang 2023 für das laufende Jahr einen Umsatz von 6 Mio. Dollar (5,5 Mio. Euro) an, für 2024 prognostiziert die Firma 20 Mio. Dollar (18,5 Mio. Euro). Tatsächlich knackte Aleph Alpha ausweislich des Jahresabschlusses im vergangenen Jahr nicht einmal die Grenze von 1 Mio Euro, bei rund 18,9 Mio. Euro Verlust.
Dabei setzt Aleph Alpha – im Gegensatz zu OpenAI und dessen frei zugänglichem ChatGPT-Produkt – ausschließlich auf zahlende Großkunden. Nun liegen alle Erwartungen auf der Präsentation eines neuen Sprachmodells, das Aleph Alpha seit Längerem angekündigt hat. Zusätzlich arbeitet das Unternehmen an einem Umbau des Geschäftsmodells: Seit Kurzem will man neben der eigenen KI namens Luminous auch Sprachmodelle anderer Anbieter anbinden.