Alec Baldwin ist seit den 90ern ein Hollywoodstar. Warum es seine Brüder – Stephen, William und Daniel – mit ihren Karrieren nicht soweit gebracht haben. Eine kleine Familiengeschichte.
Es gibt eine kleine Szene in dem Film „Clueless“, einer Teenagerkomödie aus dem Jahr 1995, die fast vergessen ist, die aber ein fein ironischer Hieb war. Da sitzen Alicia Silverstone und ihre Freundinnen auf dem Schulhof und checken die Jungs durch, die vorübergehen, und als ein schönes Exemplar vorbeikommt, seufzt eines der Mädchen: „Hmm, schaut mal, ein Baldwin“.
Die Regisseurin des Films Amy Heckerling erzählte später, dass sie sich den Slang „Baldwin“ für schöne Jungs komplett ausgedacht hätte, aber ganz so aus der Luft der Fantasie war das natürlich nicht. Im Kino der 90er Jahre machten zu der Zeit vier Brüder aus Long Island bei New York von sich reden, oder besser, von sich sehen, die in Posterboyposen und mit Schlafzimmerblick sehr überzeugt von ihrer Wirkung und ihrem Können waren.
Die Baldwins – in den USA wurde das zu einem Begriff für dieses Brüderquartett, das sich, angeführt vom Ältesten, Alexander Ray Baldwin, aufmachte, das Kino, das Fernsehen und den Rest der Entertainmentwelt zu erobern. Dass zu den vier Brüdern auch noch die Schwestern Elizabeth und Jane gehören, ging immer etwas unter, weil die die beiden ganz andere Wege gingen.
Es gibt eine Baldwin-Bucht und einen Baldwin-Hafen
Erwähnenswert ist aber noch die Tatsache, dass die Baldwins auf eine 404 Jahre alte Familiengeschichte verweisen können. Ihre Ur-Ur-Vorfahren stammten von den englisch-irischen Siedlern John Howland und Elisabeth Tilley ab, die 1620 in Cape Cod als erste Siedler aus der alten Welt von Bord des Schiffes „Mayflower“ gingen.
STERN PAID Fall Alec Baldwin. Die Tragödie spaltet die USA 15.38
Da sich aber auch die anderen Passagiere des Schiffes über die Generationen fleißig fortpflanzten, wird die Zahl der „Mayflower“-Nachkommen heute auf weit jenseits der Millionen geschätzt. Ebenso verbreitet ist in den USA heute auch der Name Baldwin, nicht weit westlich vom Geburtsort der Brüder in Massapequa bei New York gibt es auch die Baldwin Bucht und den Baldwin Hafen.
In Massapequa, einem dieser typischen Pendlervororte New Yorks mit Straßen im Schachbrett-Muster und Häusern mit Vorgarten, wurden Alec, Daniel, William und Stephen zwischen 1958 und 1966 geboren. Ihr Vater Alec Sr. war Lehrer für Geschichte, ihre Mutter arbeitete in der Marktforschung. Zusammen mit den beiden Schwestern war die Familie zu acht, was selbst das schönste Haus eng und einen mittelständischen Geldbeutel schmal machte.
Alec Baldwin wollte nicht so leben wie sein Vater
Sie hatten nicht viel, wie Alec Baldwin oft erzählte. „Bei mir ging das ganze Leben nur um: Ich muss Geld verdienen, ich muss Geld verdienen. Ich will nicht so leben wie mein Vater.“ Über das Leben mit seinen drei Brüdern sagte er einmal: „Wir hatten nichts, wir mussten uns selbst amüsieren und deshalb wurden wir amüsant.“ Es gibt ein undatiertes Foto, das wahrscheinlich aus den früheren 80ern stammt, auf dem das Quartett mit freiem Oberkörper posiert und beinahe rührselig ihr einziges Kapital vorzeigen, um aus der Tristesse ihrer Vorstadt herauszukommen: Sich selbst.
Die Pose passt in die Schweißigkeit und den Bodykult der 80er Jahre, dennoch verweist schon die Coolness in ihrer Anstrengung auf die Imitation. Wie sie da so stehen, wirken sie wie gute, aber eben nachgemachte Rolex-Uhren, wie man sie auf New Yorker Straßenmärkten kaufen konnte. Nur aus einem von ihnen wurde bald „der Fluss, aus dem dann alle tranken“, wie sich Alec einmal selbst beschrieb.
Durchbruch im U-Boot: Alec Baldwin an der Seite von Sean Connery in „Jagd auf Roter Oktober“ (1990)
Alec Baldwin studierte zunächst Politik in New York, wechselte aber bald an die Schauspielschule und spielte ab 1980 erste Rollen in TV-Produktionen am Broadway auf der Bühne. Sein Durchbruch im Kino kam 1990 als CIA-Analytiker Jack Ryan in „Jagd auf Roter Oktober“ an der Seite von Sean Connery. Baldwin baute seine Hollywood-Karriere aus mit Rollen, die immer unübersehbare amerikanische Prototypen waren – Agenten, Firmenbosse oder Familienväter – und die er mit seiner Leinwandpräsenz füllte ohne exaltiert zu sein.
Alecs Problem ist sein Jähzorn
Im echten Leben stolperte Baldwin mehr als einmal über seine Rüpelhaftigkeit. Er prügelte sich mit Fotografen, wurde wegen Beleidigung verhaftet, trunken aus seinem Auto gezogen, und eine Fluggesellschaft verwies ihn aus dem Flugzeug, weil er sich weigerte, ein Spiel am Handy zu beenden. Alles Kleinigkeiten, die aber in der Summe einen jähzornigen Vulkan in Person erahnen lassen, jemand, der erst etwas anrichtet und dann nachdenkt. Oder selbst das nicht.
Seine ganz schlimmen Jahre waren da schon vorbei, sagte Baldwin mal, die jungen Jahre, als er „täglich auf Droge war und täglich betrunken“. Seit 1985 sei er davon weg, keine Drinks und keine Drogen mehr. Nur sein Hang zum Jähzorn war geblieben. Den konnte 2007 das ganze Land mitanhören, als eine Voicemail-Nachricht öffentlich wurde, auf der Baldwin seine damals 11-jährige Tochter Ireland als „blödes, gedankenloses Schwein“ beschimpfte. Es sollte Jahre dauern, bis Vater und Tochter wieder ein Wort miteinander sprachen.
Auch Alecs Brüder schafften es vor die Kameras von Film und Fernsehen. Warum genau, ist nicht mehr ganz nachvollziehbar, es war damals die Zeit, als Amerika das family business liebte: Beau und Jeff Bridges, Peter und Jane Fonda oder die Arquette-Geschwister. Es war wohl so, dass Produzenten glaubten, wenn Alec Baldwin an den Kinokassen funktionierte, und der noch drei ganz ähnlich aussehende Brüder hat, würden die auch funktionieren.
Stephen Baldwin: Wir schaffen auch den Planeten
An Selbstbewusstsein mangelte es jedenfalls in der Familie nicht, wie es Stephen Baldwin einmal beschrieb: „Das Lustige ist, dass wir alle schon ziemliche Lokalberühmtheiten waren, bevor wir richtig bekannt wurden. Das lag daran, dass unsere Freunde meinen Vater als Lehrer hatten, und wir so sehr viel über alle in unserer Umgebung wussten. Und Alec war Studenten-Präsident und Quarterback im Football. Wir waren eine bekannte Familie. Das hat uns damals gezeigt, wenn wir Massapequa erobern können, dann schaffen wir auch den Planeten.“
William Baldwin und Sharon Stone im Sex-Thriller „Sliver“ (1993), ein vergeblicher Versuch, an den Erfolg von „Basic Instinct“ anzuknüpfen
© Mary Evans
Den Planeten, nun ja. William Baldwin hatte zunächst überschaubaren Erfolg als Model und stand in einer Nebenrolle in Oliver Stones „Geboren am 4. Juli“ erstmals vor der Kamera. Es folgten Hauptrollen in Filmen wie „Backdraft“, „Sliver“ und „Fair Game“, die bemerkenswert sind, weil sie ein Nachspiel hatten. „Fair Game“, der Versuch eines Action-Thrillers mit dem damaligen Super-Model Cindy Crawford, sammelte diverse Auszeichnungen als schlechtester Film und die Akteure als schlechtestes Paar auf der Leinwand.
William Baldwin war immer seltener im Kino zu sehen
Über „Sliver“ (1993) erzählte Sharon Stone 30 Jahre nach dessen Entstehung, dass Produzent Robert Evans ihr nahelegte, doch bitte mit William Baldwin ins Bett zu gehen, damit der endlich besser spielen würde. Baldwin schimpfte in den sozialen Medien heftig zurück: „Ist sie immer noch in mich verknallt, oder ist sie nach all den Jahren immer noch verletzt, weil ich ihre Annäherungsversuche abgelehnt habe?“ Und: „Ich habe so viel Dreck über sie, dass ihr der Kopf schwirren würde, aber ich habe geschwiegen.“ Im Kino war William bald nur noch selten zu sehen, dafür bis heute in TV-Produktionen wie „Supervolcano“ oder „Ice Storm“.
Auch Daniel Baldwin schaffte es mehrmals vor die Kamera, meist aber in B-Movies wie „Angriff der 20-Meter-Frau“ oder „Fallout – Gefahr aus dem All.“ Mit größerer Leidenschaft war er im Reality-TV zu sehen, wo er aus einem Fitnessclub oder eine Kur in einer Entzugsklinik moderierte. 2015 tauchte er auch in der britischen Fassung von „Promi Big Brother“ auf. Prozess gegen Alec Baldwin startet – diese Straft droht dem Hollywood-Star_1301
Vier schlichte Sportsleute aus Long Island
Bleibt noch Stephen Baldwin, der immerhin 1995 in Bryan Singers Erfolgsthriller „Die üblichen Verdächtigen“ an der Seite von Kevin Spacey mitspielte. In dieser Liga hielt er sich allerdings nicht lange auf, und war dann in Trash wie „Sex Monster“ oder „Snake Man“ unterwegs. Dafür sorgte er außerhalb des Kinos für Aufmerksamkeit, als er sich nach den Anschlägen vom 11. September zu den „wiedergeborenen Christen“ bekannte, einer Glaubenssekte, die unter anderen die gleichgeschlechtliche Ehe streng ablehnt, weil sie den Zerfall Amerikas bedeuten würde.
Einer von Stephen Baldwins wenigen Volltreffern: „Die üblichen Verdächtigen“ (1995), hier mit Pete Postlethwaite
Es ist keine große Überraschung, dass Stephen zu den Unterstützern Donald Trumps zählt, im Gegensatz zu Alec, der leidenschaftlicher Demokrat ist. Anzumerken wäre noch, dass Stephens Tochter Hailey die Frau des Popstars Justin Bieber ist. Und: Stephen ist der einzige der drei Brüder, der bei der Eröffnung des Prozesses gegen Alec wegen des tödlichen Schusses auf eine Kamerafrau 2021 im Gerichtssaal war.
„Seit ich und die Jungs in Hollywood bekannt sind, mögen die es nicht, wie ich es sehe, aber aus meiner Perspektive sind wir nur vier schlichte Sportsleute aus Long Island“, sagte Stephen Baldwin im Jahr 2012.