Jahrelang kämpfte Anne-Sophie Mutter für einen neuen Konzertsaal in München. Nach dem Hin und Her der Staatsregierung aber kann sie nur noch „einen Trauermarsch summen“.
Um die Kultur in Bayern ist es nach Ansicht von Star-Geigerin Anne-Sophie Mutter nicht gut bestellt. „Kultur in Bayern schwächelt“, sagte die 61-Jährige der Deutschen Presse-Agentur und empfahl der Staatsregierung, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken: „Es wäre zielführend, mal in andere Regionen Deutschlands zu schauen – auf die Philharmonie in Essen zum Beispiel – und nicht nur bis nach Nürnberg.“
Hintergrund ihrer Kritik ist vor allem das Hin und Her um einen neuen Konzertsaal für München. Nachdem Ministerpräsident Markus Söder (CSU) dem Vorhaben, das zu einem Milliardenprojekt zu werden drohte, erst eine Denkpause verpasste, soll der Saal nun neu geplant werden, so in etwa bei der Hälfte der zuletzt auf 1,3 Milliarden Euro geschätzten Kosten bleiben und 2036 fertig sein.
„Eine passende Schlagzeile dazu lautet: spät, billig, blöd“, sagte Mutter der dpa. „Zusammenfassend kann man da nur sagen: zu spät, zu wenig. Ich glaube nicht, dass das, was in den letzten 40 Jahren nicht geschafft wurde, dass das in 12 Jahren wirklich wahr wird. Es ist schade für München und für das Einzugsgebiet Münchens und für Deutschland.“
„Es ist ein Trauerspiel“
Mutter hatte sich jahrelang für den Konzertsaal eingesetzt. Als sie 1989 nach München zog, habe der Diskurs für sie begonnen. „Was ist denn daran falsch, eine Begegnungsstätte zu schaffen, in der man einfach Spaß hat? Das hat München einfach komplett verpasst“, kritisierte sie. „Ich empfinde den Umgang damit als lieblos und antriebslos. Es ist ein Trauerspiel, dass man das so hat versanden lassen im Kies. Was diesen Saal in München angeht, kann man einfach nur einen Trauermarsch summen.“
Dabei sei es gerade in Krisenzeiten so wichtig, die Kultur nicht zu vernachlässigen. „Wir stecken derzeit so wahnsinnig viel Geld in Aufrüstung und da muss man doch ein Gegengewicht schaffen, indem man zeigt, dass es nicht nur ums Aufrüsten geht, sondern auch um Begegnung“, sagte Mutter. „Wir müssen mehr miteinander erleben: runter vom Sofa, rein ins Gemenge. Reden, feiern, Musik hören. Denn wir sind nicht so weit weg voneinander, wie es manchmal scheint und gerade jetzt wäre es wichtig, dafür ein Zeichen zu setzen und einen Raum zu schaffen.“
„Ich liebe ein Publikum, das sich nicht geniert“
An diesem Wochenende will Mutter bei dem Open-Air-Event „Klassik am Odeonsplatz“ mit den Münchner Philharmonikern und deren neuem Chef Lahav Shani auf der Bühne stehen. Am Samstag präsentiert sie dort Filmmusik von John Williams. Bereits am Freitag wird das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit seinem Chefdirigenten Simon Rattle auf dem Odeonsplatz Passagen aus Richard Wagners „Walküre“ spielen – und Johannes Brahms.
„Der Odeonsplatz reizt mich, weil wir bei den Philharmonikern einen wunderbaren neuen Chef haben und es so etwas wie sein Einstandskonzert ist. Außerdem haben Open-Air-Events immer wieder auch dieses tradierte Konzertpublikum aufgebrochen. Es gibt da ein sehr viel gemischteres Publikum“, sagte Mutter.
„Ich liebe ein Publikum, das sich nicht geniert, auch mal zum falschen Zeitpunkt zu applaudieren – nach einem Satz zum Beispiel und das sich traut, seiner Freude mal Platz zu schaffen und eine Stimme zu geben, weil ich weiß, wie sehr das wiederum die Künstler auch freut. Das Publikum ist in einer sehr positiven Festlaune. Dieses Fröhlich-Offene schätze ich.“
„Für viele existiert klassische Musik schlicht nicht“
Insgesamt sei es wichtig, Schwellenängste abzubauen, betont die Violinistin: „Ich glaube, dass die Schwierigkeit, die klassische Musik mehr und mehr hat, in unserem Mangel an Umgang mit ihr liegt. Sie ist einfach fremd für die meisten von uns. Für viele existiert klassische Musik schlicht nicht.“
Seit 40 Jahren verfolge sie „mit Schrecken, dass man immer ganz gerne sofort bei der Kunst und bei der Musik den Rotstift ansetzt und es eklatante Mängel in der schulischen Ausbildung gibt“. Inzwischen komme es auf das Engagement von Einzelpersonen an und all das habe auch Auswirkungen auf den musikalischen Nachwuchs.
„Wir haben wahnsinnig viele Nachwuchskünstler aus Fernost in meiner Stiftung: Südkorea, Japan, China, Taiwan. Dazu kommen einige ganz wenige Osteuropäer – und ein/zwei Deutschsprachige“, sagte Mutter. „Die meisten Nachwuchskünstler kommen aus Ländern, für die europäische Kultur noch eine herausragende Rolle spielt – und das sind nicht die europäischen Länder“.