Man ahnt das Potenzial, man sieht positive Ansätze: Aber wie im ganzen Land dauert auch bei der Nationalmannschaft alles etwas länger. stern-Reporter Nico Fried zieht EM-Bilanz.
Die deutsche Mannschaft hat sich als Team im Umbau präsentiert und damit angemessen ein Land vertreten, das sich verändert: in der Wirtschaft, der Energieversorgung, der gesellschaftlichen Modernisierung. Nach Jahren einer gewissen Selbstgerechtigkeit und wachsenden Misserfolgs arbeitet sich Deutschland wieder heran, im Fußball wie im richtigen Leben.
Es dauert eben länger – wie bei der Bahn
Man ahnt das Potenzial, man sieht viele positive Ansätze. Aber einiges dauert eben länger. Nichts hat diesen Prozess so eindrucksvoll erlebbar gemacht wie die Deutsche Bahn, die zum Gespött der Fans wurde: Mit ihrer absoluten zuverlässigen Unzuverlässigkeit hat sie bei den Besuchern aus ganz Europa das Bild vom perfektionistischen Deutschland widerlegt.
Deutsche Fangesänge und ihre Geschichte 19.13
Ein wenig ähnelte sie damit auch der Ampelregierung: großer Anspruch, Fortschritt nur in kleinen Schritten. Der Zustand, in dem die Europäer dieses Land zwischen Verspätungen, Funklöchern und verstopften Stadionzugängen erlebt haben, hat auch eine positive Seite: Es ist für die europäischen Nachbarn durchaus beruhigend, wenn Deutschland nur so einigermaßen funktioniert.
Deutschland meistens sympathisch
Nette Gastgeber waren die Deutschen trotzdem, wie ein Journalist der „New York Times“ vermerkte, dessen Artikel tagelang durch die sozialen Netzwerke gereicht wurde. Hunderttausende Gäste erlebten so ein Deutschland zwischen Rückständigkeit und Aufbruch, auf dem Spielfeld und im Land. Aber meistens sympathisch.
Nico Fried wäre gern dabei, wenn Olaf Scholz demnächst die Nationalmannschaft im Kanzleramt empfängt.