Nach den Ansagen des Kanzlers zeigen sich die Sozialdemokraten irritiert, verunsichert, verägert. „Die SPD wird diesen Sparkurs auf keinen Fall mitmachen“, heißt es. Über eine Partei im Stresstest.
Nach außen stehen die Genossen geschlossen, aber nach innen längst nicht auf einer Linie. Der zuletzt ungewöhnlich klare Kanzler hat die Reihen der SPD ordentlich durchgeschüttelt, mit seinen jüngsten Aussagen bisweilen irritiert.
Plötzlich tritt Olaf Scholz ein Bullenduell mit Verteidigungsminister Boris Pistorius los, zwingt seiner Partei via stern-Interview eine Mindestlohn-Debatte auf und ruft die Sozialdemokraten im Haushaltshandgemenge auch noch zum Schwitzen auf – damit die missliebigen Liberalen keine Fluchtfantasien entwickeln. Gesucht, überall: eine gemeinsame Haltung der SPD.
In der Partei lodern nun viele kleine Feuerchen – die in Summe das Potenzial haben, zum unkontrollierten Großbrand zu werden. Ausgerechnet jetzt, wo doch die Europa- und drei Landtagswahlen im Osten der Republik anstehen. „Die SPD wird diesen Sparkurs auf keinen Fall mitmachen“, warnt der Bochumer Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer, einer der erfahrensten Genossen in der Fraktion, im stern. „Gegen die permanenten Sticheleien der der Liberalen müssen wir uns wehren.“ Nicht nur er hat die Faxen dicke, viele andere auch.
Was ist da los?
Schulterschluss mit Bremsspuren
In der SPD geben sie sich alle Mühe, die eisernen Liberalen in Sachen Schuldenbremse doch noch weichzukriegen. In der Fraktion wurde sogar eine Arbeitsgruppe eingerichtet, um Ideen zu sammeln, wie die leidige „Zukunftsbremse“ reformiert werden kann. Schon jetzt fordern die Sozialdemokraten pausenlos, das Instrument wiederholt auszusetzen oder wenigstens ein Reförmchen, würden sich die vielen Herausforderungen doch nicht mit weniger Geld lösen lassen – wie es dem FDP-Finanzminister Christian Lindner für den Haushalt 2025 vorschwebt.
Schade nur, dass er dabei die Rückendeckung vom Kanzler genießt. Nicht?
„Der Finanzminister hat den Ressorts Limits genannt. Das war mit mir abgesprochen“, betonte Scholz im stern-Interview. Insbesondere SPD-geführte Ministerien hatten Mehrausgaben angemeldet, obwohl schon eine Milliardenlücke von bis zu 30 Milliarden Euro im Etat klaffen soll. Also ran an die Schuldenbremse? „Wir sollten uns das Leben nicht zu leicht machen“, findet Scholz. „Jetzt ist erstmal schwitzen angesagt.“
Einige Genossen spielen Scholz‘ Positionierung (hinter dem Finanzminister) demonstrativ herunter. Als erwartbare Aussage. Die Verhandlungen zum Haushalt stünden ja noch ganz am Anfang. Zumal der Kanzler alle im Boot halten müsse. Subtext: Auch die FDP, die schonmal mit einer Havarie flirtete.
STERN PAID 21_24 Olaf Scholz IV
Andere fragen sich, auf welcher Seite der Kanzler eigentlich stehe. Der Unmut über die FDP ist jedenfalls groß. In der Fraktionssitzung am Dienstag soll Fraktionschef Rolf Mützenich verärgert gewesen sein und sinngemäß gesagt haben, dass man sich die liberalen Querelen nicht mehr gefallen lassen werde. Auslöser war das Rentenpaket II, das eigentlich im Kabinett beschlossen werden sollte – von der FDP aber wegen der hohen Ausgabenwünsche der Ministerien blockiert wurde. Trotzdem soll noch im Mai weißer Rauch aufsteigen.
„Ich wünsche mir einen Befreiungsschlag vom Kanzler“, sagt der SPD-Abgeordnete Schäfer.
Weniger drastisch, aber ebenso deutlich äußert sich auch Wirtschaftspolitiker Sebastian Roloff, der Mitglied im Parteivorstand ist. „Mir fehlt langsam endgültig die Phantasie, wie man unter den gegebenen Umständen einen vernünftigen Haushalt aufstellen will“, sagte Roloff dem stern. Es wäre fatal, nun beispielsweise bei Investitionen, Integrationsmaßnahmen und Konsulaten zu sparen. „Im Gegenteil: Dieses Land braucht dringend Investitionen.“
Fehde um die Wehr(nicht)pflicht
Stillgestanden, Augen gerade aus – da geht’s lang: Verteidigungsminister Boris Pistorius gibt voller Tatendrang die Marschrichtung vor, um Deutschland wieder „kriegstüchtig“ zu machen. Dazu gehört nach seinem Dafürhalten auch die Rückkehr zu einem Wehrpflichtmodell, um den Personalmangel in der Bundeswehr zu begegnen: Die Truppenstärke soll bis 2031 von derzeit 182.000 auf 203.000 Soldaten anwachsen. Nach allem, was man weiß, eine Riesenherausforderung.
Doch der Kanzler tritt auf die Bremse, redet Pistorius‘ Pläne, die gerade im Bendlerblock erarbeitet werden, noch vor ihrer Präsentation klein. Und damit im Grunde genommen auch den Verteidigungsminister selbst, der wegen seiner Beliebtheitswerte als Reservekanzler gehandelt wird. Bei einem Besuch in Stockholm erklärte Scholz den Personalmangel zur „überschaubaren Aufgabe“ und ließ durchblicken, was er von einer Verpflichtung zu einem Wehrdienst hält: wenig. Er setzt offenbar auf ein freiwilliges Modell.
Bahnt sich da ein offener Konflikt an? Auch Pistorius‘ Forderung, die Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse auszunehmen, hat Scholz im Grunde genommen eine Absage erteilt. Siehe oben. Außerdem ermahnte der Kanzler seine Minister, sich bei ihren Ausgabenwünschen zu zügeln. Pistorius verlangt für seinen Etat eine Erhöhung von 6,5 Milliarden Euro, nicht zuletzt, weil der 100-Milliarden-Euro-Sondertopf bald ausgeschöpft ist.
Mehrere Genossen sehen in einem neuen Sondertopf oder neuen Schulden den einzigen Weg, gleichzeitig die Ukraine-Hilfen aufrechtzuerhalten und den Verteidigungsetat zu erhöhen, ohne auf anderen Feldern (wie der Sozial- und Innenpolitik) für sie unverantwortliche Einsparungen zu machen. Davon profitieren würden nur Populisten.
Ist das wirklich lohnenswert?
Selbst beim Thema Mindestlohn, seit seiner Einführung 2015 der ganze Stolz der Sozialdemokraten, werden Konfliktlinien sichtbar. Anders lassen sich die unterschiedlichen Signale aus der Partei kaum deuten.
Scholz hatte eine schrittweise Erhöhung von zunächst 14 Euro auf 15 Euro gefordert und der Mindestlohnkommission einen „Tabubruch“ vorgeworfen, weil sie bei der letzten Empfehlung keine einvernehmliche Entscheidung getroffen hatte. Der Vorstoß kam in der SPD zwar grundsätzlich gut an, als wichtiges Signal ans eigene Wählerklientel. Doch zwang er den Genossen auch eine Debatte auf. Der Kanzler hatte die Partei mit seinem Vorstoß offenbar völlig überrumpelt.
Generalsekretär Kevin Kühnert schränkte prompt ein, dass die Kommission der „prädestinierte Ort“ für die Weiterentwicklung des Mindestlohns sei und auch bleibe. Auch Co-Parteichef Lars Klingbeil betonte, das Gremium nicht grundsätzlich infrage zu stellen, sprach sich aber ebenfalls für eine Erhöhung aus – die „nur bei 14 Euro liegen“ könne.
Kritik Scholz Mindestlohn 12:48
Scholz bietet der Opposition (und der FDP) Angriffsfläche. Die Union wirft dem Kanzler Wortbruch vor, weil er von seinem Versprechen abgerückt sei, dass die politische Anhebung des Mindestlohns offenbar doch keine einmalige Sache bleiben sollte. Auch Finanzminister Lindner wies den Vorstoß brüsk zurück: Es sei legitim, dass sich der Kanzler als Wahlkämpfer betätige. „Der Koalitionsvertrag regelt aber klar, dass die Lohnfindung keine Sache der Parteien ist“, sagte er.
Ranghohe Sozialdemokraten, ob Fraktionsmanagerin Katja Mast oder Arbeitsminister Heil, ziehen daher den neuen CDU-Vize Karl-Josef Laumann als unfreiwilligen Kronzeugen dafür heran, wer hier in Wirklichkeit die Mindestlohnkommission infrage stelle: „Die Mindestlohnkommission hat ausgedient“, sagte das sogenannte soziale Gewissen der Christdemokraten. Allerdings schon im Sommer vergangenen Jahres. Trotzdem wird der Satz nun wieder hervorgeholt und in die aktuelle Debatte eingespeist – als hätten sich die Genossen auf eine Sprachregelung verständigt, um von der heiklen Debatte abzulenken.
Wie man die Wirtschaft wendet
Nicht alle Genossen können mit der „Wirtschaftswende“ etwas anfangen, die Christian Lindner rauf und runter fordert. Die SPD hat sogar einen eigenen Zehn-Punkte-Plan vorgelegt. Ist nur leider in all der Aufregung um Mützenichs Überlegung, wie der Ukraine-Krieg perspektivisch eingefroren werden könne, klanglos untergegangen.
Auch der Kanzler will Bürokratie abbauen, Fachkräfte gewinnen und in die Digitalisierung investieren – so, wie es sein Parteivorstand im Zehn-Punkte-Plan niedergeschrieben hat. Okay, die Sache mit der Schuldenbremse gestaltet sich bekanntlich schwierig. Allerdings drängt sich nicht der Eindruck auf, dass der Kanzler es damit furchtbar eilig hätte. Seine Botschaft lautet: Läuft doch, nicht kirre machen lassen. Man solle den Standort nicht schlechtreden, findet er, die vergangen zwei Jahre seien „Turnaround-Jahre unter schwierigsten Bedingungen“ gewesen. Und keine „verlorenen“ Jahre, wie BDI-Chef Siegfried Russwurm gemotzt hatte.
Selbst nach der drastischen Anhebung der US-Strafzölle auf E-Autos aus China zeigte sich der Kanzler vor allem zurückhaltend, zeigte sich skeptisch zu EU-Zöllen. Stattdessen betonte er den „wechselseitigen Austausch“ zwischen Brüssel und Peking.
Co-Parteichef Klingbeil ist deutlich alarmierter. Im Podcast „Apokalypse und Filterkaffee“ warnte er, dass die Europäer am Ende nicht die Dummen sein dürften – und plädierte für eine Gegenreaktion, wenngleich ihm dieser Weg nicht gefalle. Aber: „Wir können nicht da stehen und zugucken, wie die anderen uns Steine in den Weg schmeißen, oder die Hürden aufbauen, und wir sind da irgendwie stillschweigend und sagen: Wir lassen das alles zu.“ Da habe man auch eine Pflicht, „uns sehr stark zu positionieren.“ Er erwarte jetzt innerhalb kürzester Zeit Vorschläge von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Aber hier etwas Klartext vom Kanzler wäre ihm sicher auch Recht.