In Thüringen verhinderte die AfD-Landesführung unter Björn Höcke, dass zwei nominierte Direktkandidaten zur Landtagswahl zugelassen wurden. Dahinter steht mal wieder der Streit um Posten.
Die Warnung aus der Parteizentrale erreichte die Mitglieder der Thüringer AfD am Wochenende. Es gebe „eine bewusste Sabotage“ des Landtagswahlkampfs, ließ der Landesvorstand wissen. Man werde „in Kürze“ über „angemessene Maßnahmen“ entscheiden. Das Rundschreiben, das per E-Mail verschickt wurde, liegt dem stern vor.
Der neuerliche Streit in der Landespartei betrifft zwei verhinderte Direktkandidaten für die Landtagswahl am 1. September. Die Parteispitze unter Björn Höcke wollte ihre Nominierung im Wahlkreis nicht akzeptieren. Zuerst focht sie die Wahl an, woraufhin das Landesschiedsgericht eine erneute Aufstellungsversammlung vorschlug, wogegen jedoch die gewählten Kandidaten erfolgreich gerichtlich vorgingen. Schließlich griff der Landesvorstand zum letzten Mittel: Er verweigerte die gemäß Wahlgesetz nötigen Bestätigungsunterschriften unter den Kandidaturen, womit diese nicht beim Landeswahlleiter registriert wurden – und verfielen.
Das Ergebnis: Die AfD tritt im Wartburgkreis nur mit einem von drei möglichen Direktkandidaten an. Die zwei von der Partei unbesetzten Wahlkreise dürften mit hoher Wahrscheinlichkeit an die CDU gehen.
Landesvorstand spricht von „intrigantem Vorgehen“
Am Samstag eskalierte der lokale Machtkampf. Der Westthüringer AfD-Bundestagsabgeordnete Klaus Stöber griff Höcke frontal und öffentlich an. Wer eine ordnungsgemäße Wahl rückgängig mache, weil ihm die gewählten Kandidaten nicht passten, der „disqualifiziert sich nicht nur als Landesvorsitzender, sondern auch als möglicher Ministerpräsident“, schrieb Stöber in einer lange Mitteilung in den sozialen Netzwerken. Der Landesvorstand reagierte wenig später mit seiner Rundmail, in der er dem Abgeordneten „intrigantes Vorgehen“ vorwarf.
So ungewöhnlich der Konflikt wirkt, so passgenau ordnet er sich in eine seit Monaten zu beobachtende Entwicklung ein, die sich so zusammenfassen lässt: Höckes Macht erodiert.
Denn es läuft schon seit Längerem nicht mehr gut für den Thüringer Landeschef. Seinem erratischen Auftritt im TV-Duell mit dem Thüringer CDU-Chef Mario Voigt folgten gleich zwei Verurteilungen, weil er eine NS-Parole skandiert hatte. Sogar hochrangige Parteikollegen zeigten sich intern irritiert über die teils larmoyanten, teils aggressiven Ansprachen Höckes vor dem Landgericht Halle.
Parallel dazu wurde bundesweit darüber berichtet, dass sich die AfD bei der Kreistagswahl im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt mit zwei Listen selbst Konkurrenz machte. Der Landesvorstand reagierte mit Parteiausschlussverfahren, die wiederum die Renegaten mit Rücktrittsforderungen an Höcke beantworteten.
Überhaupt wirkte das Thüringer Ergebnis der Europa- und Kommunalwahlen eher ambivalent. Zwar lag die Thüringer AfD im ostdeutschen Durchschnitt. Aber es gelang ihr nicht, einen einzigen Landrats- oder Oberbürgermeisterposten zu erringen.
Das hat Folgen in der Bundespartei. So war es auffällig, dass Höcke auf dem Parteitag in Essen erstmals seit 2015 kaum noch Einfluss bei inhaltlichen und personellen Entscheidungen ausüben konnte.
Björn Höcke wechselte taktisch den Wahlkreis
Und nun die Blamage im Wartburgkreis. Folgt man dem Bundestagsabgeordneten Stöber, steht hinter dem Konflikt die Angst der Höcke-Getreuen, im Herbst keinen Landtagssitz abzubekommen. Denn wenn die Landespartei mehr Direktmandate gewinnt, als ihr per Zweitstimmen zusteht, zöge die Landesliste nicht. Im Extremfall säße selbst Spitzenkandidat Höcke nicht im Parlament.
Um dies zu vermeiden, tritt diesmal der Landes- und Fraktionschef nicht wieder in der CDU-Bastion Eichsfeld an, sondern wich taktisch nach Ostthüringen aus. Auch der Co-Landesvorsitzende Stefan Möller kandidiert nicht in Erfurt, wo er zuletzt mit seiner Bewerbung als Oberbürgermeister scheiterte. Stattdessen hat er sich im ländlichen Unstrut-Hainich-Kreis aufstellen lassen.
Bundestagsabgeordneter kritisiert „Kandidatentourismus“
Laut Stöber ist dies nur der sichtbare Teil eines größeren Plans. Der Landesvorstand, schrieb er, habe einen „regelrechten Kandidatentourismus“ organisiert, um „Mitglieder des Landesvorstandes inklusive enger Mitarbeiter und Vertrauter auf aussichtsreiche Wahlkreise zu verteilen“.
„Rund ein Dutzend“ Höcke-Vertrauter seien „in interessante Wahlkreise als Direktkandidaten dirigiert“ worden, kritisierte der Abgeordnete. Als dies im Wartburgkreis nicht funktionierte, habe der Landesvorstand die beiden demokratisch aufgestellten Kandidaten auf „niederträchtige Art“ unterlaufen.
Co-Landeschef Möller widerspricht dieser Darstellung. Dass im Wartburgkreis mehrere dem Landesvorstand vorgeschlagenen Kandidaten durchfielen, sei nicht das Problem. „Das Problem ist, wenn im Vorfeld andere Kandidaten in übler Art und Weise niedergemacht werden“, sagte er dem stern. Es habe keine faire Abstimmung gegeben, weshalb es nur konsequent sei, dass die Kandidaturen nicht eingereicht wurden.
Der frühere Sozialdemokrat Klaus Stöber sitzt für die Thüringer AfD seit 2021 im Bundestag.
Auch im Schreiben des Landesvorstands werden Stöber und anderen „verdeckte Aktivitäten“ vorgeworfen, um die „vom Kreisverbandsvorstand und Landesvorstand vorgeschlagenen Kandidaten zu diffamieren und demontieren“. Die Aufstellungsversammlung sei „zur Farce“ verkommen.
Der Bundestagsabgeordnete Stöber wiederum will sich die Anschuldigungen nicht gefallen lassen und kündigt ein „rechtliches Nachspiel“ an. Zudem sollten Mitgliedschaft und Bundesvorstand nach der Landtagswahl „die Reißleine“ ziehen: „Für viele Bürger ist die AfD die letzte Hoffnung auf eine politische Wende, und das dürfen wir uns von Egozentrikern wie Björn Höcke nicht kaputt machen lassen.“
„Wir wählen AfD nicht wegen Höcke, sondern trotz Höcke“
Am Ende echot Stöber, der einst in der SPD war, eine Einschätzung, die schon seit Längerem in Teilen der Bundesparteiführung zu hören ist. „Ich bin immer wieder auf Björn Höcke angesprochen worden“, schreibt der Bundestagsabgeordnete. „Der Tenor war meist: Wir wählen AfD nicht wegen Höcke, sondern trotz Höcke.“
Was wird der Landesvorstand tun? Co-Landeschef Möller gab sich auf Nachfrage bedeckt. Denkbar seien Parteiordnungsmaßnahmen, sagte er.
Unabhängig davon Druck wächst der Druck auf ihn und Höcke weiter. Auch wegen der neuen Konkurrenz durch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ist die AfD aktuellen Landtagswahlumfragen unter 30 Prozent gerutscht. Das sind bis zu acht Punkte weniger als vor einem halben Jahr.