Nach dem überraschenden Ausgang der Parlamentswahl in Frankreich beginnen am Montag die politischen Gespräche über das weitere Vorgehen. Nachdem bei der Wahl am Sonntag kein Bündnis die absolute Mehrheit errungen hat, zeichnet sich nicht ab, wer die nächste Regierung anführen wird. Premierminister Gabriel Attal hatte noch am Wahlabend angekündigt, am Montag bei Präsident Emmanuel Macron seinen Rücktritt einzureichen.
Gleichzeitig signalisierte Attal seine Bereitschaft, bis zur Bildung einer neuen Regierung weiter im Amt zu bleiben, zumal in Paris in drei Wochen die Olympischen Spiele beginnen.
Nachdem in der ersten Runde der Parlamentswahl vor einer Woche der rechtspopulistische Rassemblement National (RN) vorn gelegen hatte, waren der Partei von Marine Le Pen gute Chancen vorausgesagt worden, auch in der zweiten Runde zu triumphieren. Stattdessen wurde jedoch das links-grüne Wahlbündnis Neue Volksfront laut Prognosen stärkste Kraft. Der RN landete lediglich auf dem dritten Platz hinter dem Regierungslager von Präsident Macron.
Offen ist, wer neuer Regierungschef werden könnte. Das links-grüne Wahlbündnis konnte sich bislang nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen. Frankreich muss sich auf eine Zeit großer politischer Instabilität einstellen: Die drei großen Blöcke in der Nationalversammlung könnten sich gegenseitig blockieren, die Regierung lähmen und das Land in eine politische Krise stürzen. Das links-grüne Bündnis ist mit dem Macron-Lager verfeindet und auch intern uneinig.
Der frühere Parteichef der linkspopulistischen Partei La France Insoumise (LFI), Jean-Luc Mélenchon, erhob noch am Wahlabend Anspruch auf die Regierungsbildung für sein Wahlbündnis. LFI bildet die größte Gruppe innerhalb des Bündnisses, Mélenchon ist bei den anderen beteiligten Parteien aber unerwünscht.
Linkspopulisten, Sozialisten, Kommunisten und Grüne hatten vor der ersten Runde der Parlamentswahl trotz vieler Differenzen überraschend ein Bündnis geschmiedet. Auf einen gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Premierministers konnten sie sich aber nicht einigen.
„Ist das die größte Krise der Fünften Republik?“, kommentierte Gael Sliman vom Umfrageinstitut Odoxa. Präsident Macron habe sich durch die von ihm einberufenen Neuwahlen Klarheit erhofft; „nun befinden wir uns in totaler Unklarheit – in einem sehr dichten Nebel“. Macron hatte die vorgezogene Parlamentswahl nach dem schlechten Abschneiden seines Regierungslagers und dem Erfolg des RN bei der Europawahl einberufen.
Den Hochrechnungen zufolge stellt das Wahlbündnis Neue Volksfront künftig zwischen 177 und 198 Abgeordnete und verfehlt die absolute Mehrheit von 289 Mandaten damit deutlich. Die LFI-Abgeordnete Clémentine Autain rief die Parlamentarier des Wahlbündnisses auf, bereits am Montag zusammenzukommen, um einen Premierminister zu bestimmen.
Zweitgrößter Block im künftigen Parlament ist das bisherige Regierungslager mit 152 bis 169 Mandaten. Der Rassemblement National errang zwischen 135 und 145 Mandate und damit so viele wie noch nie.
Fraktionschefin Le Pen betonte, der Sieg ihrer Partei sei „nur aufgeschoben“. RN-Spitzenkandidat Jordan Bardella prangerte mit Blick auf die Neue Volksfront und das Regierungslager ein „Bündnis der Schande“ an, das die Franzosen einer „Politik des Aufschwungs“ beraubt habe. Der RN sei mehr denn je die „einzige Alternative“.
In der zweiten Wahlrunde hatten zahlreiche Kandidaten des Linksbündnisses und des Regierungslagers zugunsten des jeweils anderen auf eine erneute Kandidatur verzichtet, um so einen Durchmarsch der Rechtspopulisten zu verhindern.
Tausende Menschen feierten am Wahlabend im Zentrum von Paris erleichtert die Niederlage der Rechtspopulisten. Auf dem Place de la République erklangen Freudenschreie, als kurz nach Schließung der Wahllokale die ersten Prognosen veröffentlicht wurden.