Auf Friedhöfen in Deutschland bleibt immer mehr Fläche ungenutzt – Wissenschaftler warnen allerdings davor, diese Flächen angesichts der Wohnungsnot in den Städten kurzerhand in Bauland umzuwidmen. Friedhöfe verfügten oft über ein einzigartiges Ökosystem, hieß es am Mittwoch in einer Mitteilung der Technischen Universität (TU) Berlin.
Allein auf den Berliner Friedhöfen gibt es demnach rund 340 Hektar Fläche, die nicht mehr für Gräber benötigt werden. „Grund dafür ist eine sich verändernde Trauer- und Bestattungskultur seit den 1980er Jahren“, erklärte Sylvia Butenschön von der TU. So lassen sich Menschen heute oft in Friedwäldern oder auf See bestatten.
„Im Laufe der Jahrhunderte haben sich die Friedhöfe so ausgedehnt, dass sie vor den Toren der Siedlungen und Städte angelegt werden mussten“, erklärte die Landschaftsarchitektin. „Heute haben wir zum ersten Mal die Situation, dass die Friedhöfe zu viel Fläche haben.“
Für Butenschön und andere Wissenschaftler sind Friedhöfe daher längst nicht mehr nur Begräbnisstätten, sondern „Orte der Naturerfahrung und des kulturellen Gedächtnisses und ein Hotspot der Artenvielfalt“, wie der ehemalige TU-Professor Ingo Kowarik auf einer Fachtagung zur Transformation historischer Friedhöfe im Februar in Berlin betonte.
Auf Friedhöfen findet sich nach Angaben der Experten unter anderem oft ein guter, humusreicher Gartenboden, der von Pilzen, Bakterien, Würmern und Insekten bevölkert ist und Nährstoffe, Wasser und CO2 speichert. „Aus der Sicht von Fauna und Flora sind die Orte des Todes sehr lebendig“, erklärte Butenschön. Denn auf den Friedhöfen wüchsen neben 150 Jahre alten Bäumen auch Gehölze, Sträucher, Stauden, Blumen und Gräser, die auf anderen Grünflächen nicht zu finden seien, zum Beispiel immergrüne Pflanzen.
Frei werdende Friedhofsflächen möglichst als Grünflächen zu erhalten, ist demnach in Wissenschaft und Stadtgesellschaft weitgehend unstrittig. Wichtig wäre es aber nach Ansicht der Experten, die Qualitäten der einzelnen Friedhöfe zu untersuchen, um daraus geeignete Umgestaltungsideen zu entwickeln und die Biodiversität zu erhalten.
Auch eine gärtnerische Nutzung nicht mehr genutzter Friedhofsflächen könnte in Betracht gezogen werden. Inwieweit es aber pietätlos sei, alte Gräber mit Kohl zu bepflanzen – diese Diskussion müsse in der Gesellschaft noch geführt werden, betonte Butenschön.