Nationalmannschaft: Nagelsmann als Bundesmotivator: Probleme lösen bleibt Maxime

Das war ein bemerkenswerter Schlussakkord. Mit einem Appell ans ganze Land verlässt der Bundestrainer die EM-Bühne. Seine Tränen beweisen, was ihm der Job bedeutet. Ein Goldpokal ist das neue Ziel.

So menschlich, so emotional und mit so einem klaren Appell für einen Ruck zu einem besseren Miteinander im gesamten Land hat man einen Bundestrainer noch nicht erlebt. Mit einem bemerkenswerten Auftritt hat Julian Nagelsmann sein ganz persönliches Turnierfazit nach dem so bitteren EM-K.-o. in einem epischen Kampf gegen Spanien gezogen und die Fußball-Fans mit Tränen in den Augen aufgefordert, die positive Sommerstimmung rund um die Nationalmannschaft jetzt auch in den Alltag fortzutragen. 

„Ich glaube, wir können alle anpacken, dass es nicht so traurig ist, wie es gerade wirkt und nicht alles schwarzgemalt werden muss, wie es gerade schwarzgemalt wird. Man kann immer Probleme sehen – und wir haben Probleme im Land. Man kann aber auch immer von Lösungen sprechen“, sagte Nagelsmann bei der Abschlusspressekonferenz im Teamquartier in Herzogenaurach. Wie so oft wählte der sichtlich angefasste Bundestrainer ein alltägliches Beispiel. „Wenn ich dem Nachbarn helfe, die Hecke zu schneiden, ist er schneller fertig.“ Anpacken, gemeinsam. Mit Freude. Das solle das Motto für alle sein. 

Nationalmannschaft als Beispiel für Problemlösungen

Probleme nicht beklagen, sondern nach Lösungen suchen. Genau diesen eigenen Ansatz wünscht sich der Bundestrainer für ein Land, das er in „ewiger Tristesse“ verortet. Die DFB-Elf steht nun mit ihm als dem großen Bundesmotivator als Beispiel dafür, was möglich ist, wenn man aus schweren Zeiten kommt. Auch wenn der Titel-Coup diesmal noch misslang. „Wir hätten gerne den Fans mehr gegeben“, versicherte der Bundestrainer, eine Woche mit gutem Fußball hätte es als Zugabe geben sollen. Und: „Wir hätten gerne den Titel geholt.“

Nagelsmann begann seine Rede mit einem „Dank an die Fans“ und ging mit seinen Worten weit über den Fußball hinaus. Er wurde zeitweise nahezu staatstragend, wie man es von Spitzenpolitikern mit so viel Verve lange nicht gehört hat. Die Niederlage gegen Spanien durch den späten Treffer zum 1:2 ganz am Ende der Verlängerung beschäftigte den 36-Jährigen aber am Samstag weiter immens. Und nicht nur ihn. Viele Tränen – auch von den Spielern – habe es gegeben im Teamquartier. Bis tief in die Nacht. 

Lange hätten die Spieler noch zusammengesessen – ohne Alkohol – und hätten gesprochen. Der sehnlichste Wunsch, die letzten fünf Minuten gegen Spanien nochmal spielen zu dürfen, bleibt natürlich unerfüllt. Nagelsmann selbst hatte sich bald nach der nächtlichen Rückkehr nach Franken zurückgezogen. Alleine müsse er die Dinge verarbeiten, nach möglichen Fehlern suchen. 

Ein ganz neuer Typ Bundestrainer

Viele werde er nicht finden, versicherten DFB-Präsident Bernd Neuendorf und Sportdirektor Rudi Völler. „Er hat das Amt des Bundestrainers für mich auch ein Stück weit neu definiert in den vergangenen Wochen, so wie er aufgetreten ist. Er hat eine unglaubliche Energie ausgestrahlt, einen unglaublichen Spirit“, sagte Neuendorf. Der Verbandschef konnte es an seinem 63. Geburtstag noch als Geschenk empfinden, mit Nagelsmann einen völlig neuen Typ Bundestrainer für die DFB-Elf verpflichtet zu haben. 

Dieser Bundestrainer braucht nun eine kleine Auszeit, wie er anmerkte. „Ich bin sehr glücklich, dass ich verlängert habe. Ich freue mich auch, wieder anzugreifen, aber ein paar Tage müsst ihr mir schon geben, die brauche ich“, sagte Nagelmann. Die WM 2026, das versicherte er aber nochmals, spukt schon in seinem Kopf. „Ein goldener Pokal ist auch ganz schön“, merkte er an, als die größten Emotionen sich auch bei ihm etwas gelegt hatten. 

Möglich scheint tatsächlich viel, wenn nicht gar alles. So hat sich die Grundstimmung gewandelt. Völler sieht die Nationalelf wieder sehr nahe an den Besten. „Es war unser Wunsch, uns an die Weltspitze heranzuspielen. Ich glaube schon, dass uns das gelungen ist“, sagte er. Zwar sei die DFB-Auswahl „noch nicht da, wo wir hin möchten, sonst wären wir ein, zwei Runden weitergekommen“. Die Auftritte seien aber „bemerkenswert“ gewesen.

Weiter so Richtung WM

Völler sieht „eine Basis an guten, jungen Spielern“ für die kommenden Monate in der Nations League und der folgenden Qualifikation für die WM 2026 in den USA, Mexiko und Kanada. Es gebe die „Verpflichtung“ den Fans gegenüber, „weiterhin solchen Fußball“ zu spielen. Es werde zwar Rückschläge geben, aber alle hätten sich geschworen, „dass wir genau in der Art und Weise weitermachen“, sagte Völler.

Genau so denkt Nagelsmann. Er hat sein anfängliches Fremdeln im Amt längst abgelegt, den Reiz des Bundestrainer-Amtes spürt und genießt er inzwischen. Mit dieser Wandlung hat er auch sein ihm oft unterstelltes Ego-Image abgelegt. Er kommt nicht mehr so ich-bezogen daher, sieht das große Ganze und will aber wie immer das Maximale. 

Personell kündigte Nagelsmann für die kommenden sportlichen Aufgaben zwar personelle Ergänzungen an. Man werde die Mannschaft aber „nicht neu zusammenwürfeln“. Die Spieler müssten sich in ihren Vereinen nun beweisen. Der Tag nach dem Aus war aber noch nicht derjenige für konkrete Entscheidungen. 

Noch keine Personalentscheidungen

Nagelsmann rechnet damit, dass Kapitän Ilkay Gündogan weiter auflaufen wird. „Klar freue ich mich, wenn er weitermacht. Stand jetzt, gehe ich auch davon aus, dass er weiter zur Verfügung steht. Aber das soll Ilkay am Ende selbst entscheiden und auch selbst verkünden“, sagte Nagelsmann. Mit dem Karriereende von Toni Kroos breche schon „ein Pfeiler weg“, sagte der Bundestrainer. 

Ungewiss ist dagegen die DFB-Zukunft des Münchner Weltmeister-Duos Manuel Neuer (38) und Thomas Müller (34). „Wir haben jetzt noch keine Entscheidung, in welche Richtung es für sie weitergeht, getroffen“, sagte Nagelsmann, nachdem die deutschen EM-Spieler am Samstag in Kleinbussen noch vor den Nagelsmann-Worten aus Herzogenaurach abgereist waren. 

Nagelsmann will anscheinend den älteren und sehr verdienten Akteuren im DFB-Team die Zeit im anstehenden Urlaub geben, selbst ihre Situation zu reflektieren und einzuschätzen. „Am Ende finde ich, sind solche großen Spieler auch absolut selber im Lead, das auch selbst für sich zu bewerten und zu entscheiden, was das Beste für ihre Karriere ist“, sagte er.