Ein märchenhaftes Karriere-Ende mit dem EM-Pokal bleibt Toni Kroos verwehrt. Aber er sieht seine Comeback-Mission beim Heimturnier erfüllt: „Wir sind wieder auf Augenhöhe mit den Besten!“
Das Schlussbild seiner glorreichen Fußball-Karriere hatte sich Toni Kroos anders ausgemalt. Aber der anfangs verwegene und dann gegen Spanien mit dramatischer Wucht beendete Traum vom finalen Triumph mit dem EM-Pokal in Händen erfüllte sich nicht für den großen deutschen Titelsammler. Weltmeister 2014 und sechsmaliger Champions-League-Sieger ist Kroos, aber nach seinem allerletzten Spiel als Fußballprofi fehlt die Auszeichnung als Europameister in der Vita des wahrlich Königlichen von Real Madrid.
„Was geht in mir vor?“, sagte Kroos, als er traurig und kaputt, aber auch gefasst in den Gängen des Stuttgarter Stadions nach dem späten und schmerzhaften spanischen K.-o.-Hieb zum 1:2 in der Verlängerung seine Gefühle und Gedanken beschreiben sollte.
„Eine gewisse Leere, ehrlich gesagt“, antwortete der 34-Jährige. „Das ist auch normal, angesichts der weitreichenden Konsequenzen nach dem Spiel. In erster Linie ist es eine Enttäuschung über das Turnier-Aus“, erzählte Kroos. Es zählte der Moment, das verpasste Halbfinale, der unvollendete Weg nach Berlin ins Endspiel. Dass seine Karriere hart und abrupt endete, das werde bei ihm „erst in den nächsten Wochen sacken“.
„Spanien ist ganz schön geschwommen“
Kroos wollte „nicht groß jammern“, aber es tat auch ihm weh, gerade wegen der Art und Weise der Niederlage. „Wir waren absolut auf Augenhöhe mit Spanien“, sagte er mit fester Stimme. Und das gelte auch als sein Resümee dieser stimmungsvollen Heim-EM: „Wir sind wieder auf Augenhöhe mit den Besten!“ Zurück in die Weltspitze, das war ja das Ziel nach den vermurksten Turnieren 2018, 2021 und 2022 – und nach seiner DFB-Rückkehr.
Im 114. Länderspiel musste Kroos körperlich noch einmal weit über seine Grenzen gehen. 120 Minuten, so lange hatte er lange nicht mehr auf dem Platz gestanden. Die Kraft ging ihm aus, Krämpfe plagten ihn, der Tank war leer: „Bei mir auf jeden Fall“, sagte Kroos: „Aber fürs Elfmeterschießen hätte es noch gereicht.“ Er hätte auch da Verantwortung übernommen, aber kurz davor schlug Spaniens Joker Mikel Merino mit dem Kopf zu. „Das Gegentor ist brutal nach dem Spielverlauf. Spanien ist ganz schön geschwommen“, befand Kroos.
Ein Comeback, das die Mannschaft mitriss
Der Real-Grande hat ein beachtliches, wenn auch nicht herausragendes letztes Turnier gespielt. Noch wichtiger war aber überhaupt seine Rückkehr im EM-Jahr, die in tiefster Tristesse eine Aufbruchstimmung im DFB-Team auslöste, die beim Turnier weit trug.
An Kroos als Fixpunkt konnte sich diese Mannschaft aufrichten. Und der Weltmeister von 2014 erfuhr in der Spätphase seines Schaffens auch von den Fans in seinem Heimatland endlich höchste Wertschätzung. „Toni, Toni“, hallte es überall durch die Stadien.
Kroos beeindruckte es, „wie die Mannschaft aufgestanden ist“ nach den Tiefschlägen zum Jahresende 2023. Und er bereute es auch im akuten Schmerz des EM-Ausscheidens nicht, das auch für ihn riskante DFB-Comeback auf Bitten des Bundestrainers gewagt zu haben.
„Die Zeit war sehr gut. Mir hat es großen Spaß gemacht. Ich bin sehr, sehr zufrieden“, sagte Kroos. Nach dem Spiel sprach er in der Kabine zur Mannschaft, die ohne ihn zur WM 2026 aufbrechen muss. „Ich habe ja nicht gesagt, es ist für mich nur eine gute Zeit, wenn ich zurückkomme und Europameister werde. Das wäre ein bisschen vermessen gewesen. Aber ich hätte nicht gedacht, dass wir so schnell so nah dran sein können“, sagte er.
Eine Hymne von Nagelsmann auf „einen der Größten“
Sogar die meisten spanischen Spieler kamen in ihrer unbändigen Freude nach dem Abpfiff zu Kroos und verabschiedeten sich persönlich vom Real-Hero. Nagelsmann stimmte derweil eine Hymne auf ihn an. „Die Karriere von Toni kann man nicht hoch genug einschätzen. Ich glaube, was alle sehen, sind seine sportlichen Erfolge, die außergewöhnlich sind, die wahrscheinlich für einen deutschen Spieler einmalig bleiben, vielleicht auch für immer. Er ist sicher einer der größten deutschen Spieler“, sagte der nur zwei Jahre ältere Bundestrainer.
Nagelsmann durfte sich bestätigt fühlen, den Comeback-Coup mit Kroos erdacht zu haben. „Bevor durchgesickert ist, dass ich ihn zurückholen will, gab es keinen, der es gut fand. Die Woche, nachdem er zurück war, hat dann jeder gesagt, die Idee hatte ich schon lange, warum macht er das jetzt erst, der Bundestrainer“, erzählte Nagelsmann am Freitagabend.
„Man kennt Tonis sportliche Erfolge. Was höher anzurechnen ist, was die meisten hier nicht kennen, ist sein Charakter, wie er als Mensch ist, wie er jetzt gerade in einem sehr traurigen Moment für ihn zur Mannschaft spricht, wie er Dinge bewertet, welche Rolle er sich selbst gibt in einer großen Gruppe“, schwärmte Nagelsmann.
„Er sieht sich immer oder sah sich als Teil der Gruppe. Diese menschliche Art, der Umgang mit seinen Kindern, seiner Frau, seinen Teamkollegen, all diese Dinge sind außergewöhnlich und für mich in so einer Bewertung so einer Karriere noch deutlich höher anzusiedeln als sechs Champions-League-Titel“, schwärmte Nagelsmann in der Pressekonferenz. Auch ohne Siegerpokal war die Heim-EM ein sehr würdiger Abschluss der Mega-Karriere von Kroos.