Das Rennen wird knapp. Das Rassemblement National hat Aussicht, in Frankreich die Regierung zu übernehmen. Die meisten übrigen Parteien wollen die Rechten blockieren, aber nicht zusammen regieren.
Viele in Frankreich reiben sich erstaunt die Augen und auch Deutschland und Europa blicken mit Sorge Richtung Paris. Schafft es das Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen bei der Parlamentswahl an diesem Sonntag, eine absolute Mehrheit zu erlangen und erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg eine rechtsnationale Regierung in Frankreich zu installieren? Oder gelingt die Blockade der extremen Rechten durch den Schulterschluss der Mitte-Links-Kräfte, die aber mehrheitlich schon klargemacht haben, dass sie im Anschluss nicht zusammen regieren möchten?
Als Kontrahenten stehen sich der Jungstar der Rechtsnationalen, Jordan Bardella (28), ein politischer Ziehsohn von Le Pen, sowie der gleichermaßen eloquent auftretende Premierminister Gabriel Attal (35) gegenüber. Präsident Emmanuel Macron hatte Attal erst Anfang des Jahres zum Premier ernannt in der Hoffnung, mit dem jungen und dynamischen Attal dem Vorrücken von Le Pen und Bardella einen Riegel vorzuschieben.
Sitzverteilung schwer zu prognostizieren
In der ersten Wahlrunde lagen nun aber wie schon bei der Europawahl die Rechtsnationalen vorne, gefolgt vom neuen Linksbündnis sowie Macrons Mitte-Lager auf Rang drei. 76 der 577 Abgeordnetenplätze wurden bereits vergeben, die meisten für das RN (39) oder das Linksbündnis (32). „Anders als bei einer deutschen Bundestagswahl ist die Sitzverteilung nach der zweiten Runde schwierig zu prognostizieren“, sagt die Politikwissenschaftlerin Isabelle Guinaudeau von der Pariser Hochschule Sciences Po.
Da die Abgeordnetenplätze nach dem Mehrheitswahlrecht vergeben werden, haben in über 200 Wahlkreisen die jeweils drittplatzierten Kandidaten der übrigen Parteien sich zurückgezogen, damit die Chance steigt, dass der verbliebene Kandidat einer bürgerlichen Partei den Bewerber der Rechtsnationalen schlägt. Ob dieser in Frankreich oft praktizierte Schutzwall gegen die extreme Rechte hält, ist dieses Mal die große Frage.
Bei absoluter Mehrheit des RN steht Macron unter Zugzwang
Ob die Wähler und Wählerinnen der eliminierten oder zurückgezogenen Parteien das RN oder ihre Gegenpartei in den Stichwahlen unterstützten, sei „sehr schwer zu antizipieren und das Ergebnis wird in vielen Fällen knapp sein“, sagt Guinaudeau.
Und welche Regierungsverhältnisse stehen Frankreich bevor? Erwartet wird unabhängig vom Wahlausgang, dass die bestehende Regierung von Premierminister Gabriel Attal noch mindestens einige Tage geschäftsführend im Amt ist, bis über die Bildung einer künftigen Regierung Klarheit herrscht.
Sollte das RN eine absolute Mehrheit erringen, stände Macron unter dem politischen Zwang, einen Premierminister aus den Reihen der Rechtsnationalen zu ernennen. Damit gäbe es in Frankreich erstmals seit 1997 wieder eine sogenannte Kohabitation, das bedeutet, dass Präsident und Premierminister unterschiedliche politische Richtungen vertreten.
Verhelfen Konservative Le Pen zu Mehrheit?
Bei einer starken relativen Mehrheit für das RN wird damit gerechnet, dass dieses versucht, weitere Abgeordnete der bürgerlich-konservativen Républicains (LR) auf seine Seite zu ziehen, um Entscheidungsmacht im Parlament zu erlangen.
Die ehemalige Volkspartei hatte sich im Anlauf zur Wahl gespalten. Ihr Vorsitzender Éric Ciotti hatte unabgestimmt mit seiner Partei eine Kooperation mit dem RN vereinbart, nur eine kleinere Zahl von Abgeordneten folgte ihm aber. Die Frage ist nun, wie die übrigen Abgeordneten sich verhalten, die in der ersten Wahlrunde rund zehn Prozent an Wählerstimmen auf sich vereinten.
Offen ist im Moment, wie es in Frankreich weitergeht, wenn der Schulterschluss gegen das RN funktioniert. Da die übrigen Lager einschließlich der wiedererstarkten Sozialisten nicht in einer Art nationaler Koalition miteinander reagieren wollen, könnte die aktuelle Regierung als Übergangsregierung im Amt bleiben oder eine Expertenregierung eingesetzt werden. Frankreich droht damit politischer Stillstand. Neue Vorhaben könnte eine Regierung ohne Mehrheit nicht auf den Weg bringen.
Le Pen profitierte von Enttäuschung über Macron
Die Endrunde der Frankreich-Wahl ist auf jeden Fall eine Machtprobe im Kräftemessen zwischen Präsident Macron und RN-Anführerin Le Pen, die sich zweimal schon als Präsidentschaftskandidaten gegenüberstanden. Macron versprach 2017 beim Amtsantritt, den Aufstieg der Rechtsnationalen zu stoppen und die Partei, die damals noch ihren ursprünglichen Namen Front National trug, kleinzuhalten.
Macron stellte mit seinem neuen Mitte-Bündnis 2017 den Aufbruch in eine neue Welt mit mehr Wachstum und Gerechtigkeit in Aussicht. Während der ambitionierte Jungpräsident mit seinen Visionen schnell einen Platz auf internationaler Bühne eroberte, fühlten sich viele Menschen in Frankreich gerade abseits der Metropolen mit ihren Alltagssorgen nicht wahr- und ernstgenommen.
An diesem Punkt setzte Le Pen an und präsentierte sich als Fürsprecherin der Abgehängten, die für die vom RN geschürte Furcht vor Migration und dem Verlust nationaler Identität empfänglich sind. Das Umbenennen der bis dahin rechtsextremen Partei verband sie mit einer Entteufelung und dem Verzicht auf allzu radikalen Positionen. Offensichtlich ging ihr Plan auf, ihre Partei so bis in die bürgerliche Mitte hinein wählbar zu machen.
Europäischer Trend Richtung rechts
Das Rassemblement National ist wie auch rechte Parteien in anderen europäischen Ländern wie Italien, den Niederlanden oder Deutschland auf dem Weg, zu einer neuen Volkspartei zu werden – und dies zulasten der früher starken bürgerlichen Parteien. In Frankreich kommt dazu, dass Macron mit seinem 2017 geschaffenen Mitte-Lager Sozialisten und Konservative schwächte, indem er Spitzenvertreter beider Lager in seine breite Strömung integrierte. Das Macron-Bündnis steht nun nach dem gescheiterten Poker des Präsidenten um mehr Macht mit der vorgezogenen Parlamentswahl selber vor einem Scherbenhaufen und wird im Parlament allen Prognosen nach nur noch in stark reduzierter Zahl vertreten sein.