Der Handwerkspräsident sieht Abstiegsängste, viele Bürger fühlten sich von der Politik nicht vertreten. Was er mit Blick vor allem auf den Osten sagt und welche Gefahren er für die Wirtschaft sieht.
Handwerkspräsident Jörg Dittrich warnt vor Wahlerfolgen extremistischer Parteien. „Das Spiel mit den Ängsten einer Gesellschaft ist aus Sicht der Wirtschaft und der Betriebe äußerst gefährlich, denn bisher haben wir unseren Wohlstand auf der Grundlage von Kompromissen erarbeitet“, sagte Dittrich der Deutschen Presse-Agentur. „Wenn jedoch Ressentiments geschürt und rückwärtsgewandte Themen in den Vordergrund gestellt werden, sollten wir besorgt sein. Als Exportnation leben wir von Weltoffenheit, und das betrifft nicht nur die notwendige Zuwanderung in Ostdeutschland, sondern auch den Wert eines starken Euro, der uns Wohlstand gebracht hat.“
Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks sagte weiter: „Die Sorge besteht darin, dass Menschen glauben, wir könnten Dinge rückgängig machen. Stattdessen müssen wir voranschreiten und nicht in die Vergangenheit zurückfallen. In diesem Kontext sehe ich die bevorstehenden Wahlen: Werden wir es schaffen, die Menschen davon zu überzeugen, positive Veränderungen mitzugestalten? Oder werden Populisten gewinnen, die einfache Antworten bieten, die keine echten Probleme lösen, sondern nur weiter anheizen?“
Im September werden die Landtage in Sachsen, Thüringen und Brandenburg neu gewählt. Umfragen zufolge könnte die rechtspopulistische AfD stärkste Partei werden, es drohen schwierige Regierungsbildungen.
Handwerkspräsident sieht Abstiegsängste
Dittrich sagte, er nehme in der Gesellschaft eine starke Angst vor dem Abstieg wahr. „Der eigene Wohlstand scheint bedroht. Gleichzeitig gibt es ein großes Beharrungsvermögen, da jede Gesellschaftsgruppe sagt: ‚Bei uns darf sich nichts verändern.‘ Diese beiden scheinbar widersprüchlichen Pole – Angst vor dem Abstieg und Wunsch nach Besitzstandswahrung und Stabilität – müssen in den Blick genommen und zusammengeführt werden.“
Die Lösung sei ganz sicher nicht, Dinge zurückzudrehen – „sondern wir müssen sie weiterdrehen. Denn: Wenn wir das an Wohlstand behalten wollen, was wir haben, wird das unter den veränderten Bedingungen nur klappen, wenn auch wir uns bewegen und verändern. Zukunftswohlstand gibt es nur durch Veränderungen und Transformationen. Dieses Narrativ und Verständnis sehe ich im politischen Raum jedoch nicht ausreichend. Im Gegenteil: Die Politik scheut sich, die großen Themen anzupacken, und versichert immer wieder, dass alles so wohlbehalten bleibt, wie es war. Dabei sollte Politik die Speerspitze einer positiven Vorwärtsbewegung sein.“ Als ein großes Thema hatte Dittrich eine grundlegende Reform der Sozialversicherungssysteme genannt.
Osten wie Brennglas
Ostdeutschland sei wie ein „Brennglas“, sagte Dittrich, der aus Dresden kommt. „Die Leute dort haben eine riesige Veränderungsleistung erbracht, was für die, die es durchlebt haben, eine sehr große Kraftanstrengung war. Das hat in dieser Dimension im Westen nicht stattgefunden. Man sagt ja: „Es ist schwer, die Schmerzen von anderen nachzuempfinden.“ Aber man sollte zumindest versuchen nachzufühlen, was für eine tiefe Zäsur der Zusammenbruch eines ganzen Gesellschaftssystems und einer Wirtschaft darstellt: Die allermeisten Menschen im Osten mussten sich einen neuen Job suchen. Das ist unvorstellbar.“
Hunderttausende seien weggezogen, weil es keine wirtschaftliche Perspektive gab. „Und jetzt heißt es schon wieder: „Wir müssen ganz schnell die Transformation in der Klimafrage hinbekommen.“ Das ist erneut ein Umbruch und eine Anstrengung, die auf die dortige Gesellschaft prallt.“
„Es nutzt nicht, zurückzuschauen“
Die Politik müsse Lösungen für die Sorgen der Menschen finden, betonte Dittrich und nannte den demografischen Wandel und den Fachkräftemangel. Klar sei aber auch: „Im Osten wie im Westen nutzt es nicht, zurückzuschauen, sondern wir müssen darüber diskutieren, wie wir künftig leben wollen. Ich sehe deutlich, dass die meisten Menschen ihre erarbeitete Lebenssituation gerne behalten möchten.“ Wenn das so sei, müssten Veränderungen aktiv angegangen werden, damit genau das erhalten werden könne.
„Dazu gehören Weltoffenheit und die Zuwanderung von Fach- und Arbeitskräften, die bei uns mit anpacken. Die Produktivitätszuwächse allein sind nicht groß genug, um die Lücke, die durch den demografischen Wandel entsteht, zu schließen. Es reicht auch nicht, darauf zu setzen, dass wir das alles mit Künstlicher Intelligenz lösen können.“
Die Politik schaffe es nicht, die Sorgen der Menschen ausreichend ernst zu nehmen, so Dittrich. „Das spiegelt sich in den Wahlergebnissen wider. Viele Bürger fühlen sich nicht vertreten und sehen sich im Stich gelassen. Es mangelt an der Fähigkeit, den Menschen einen klaren Plan zu präsentieren, der zeigt, wohin die Reise gehen kann. Diese Orientierungslosigkeit führt zu Unsicherheit und Enttäuschung, während die drängenden Fragen unserer Zeit unbeantwortet bleiben.“