Jeder Einwohner zusätzlich freut die Kommunen, weil sie dann mehr Geld aus dem kommunalen Finanzausgleich bekommen. Wer im Zensus 2022 aber Bevölkerung verloren hat, kann dagegen vorgehen.
Die Ergebnisse des Zensus 2022 führen in manchen Kommunen zu herben Verlusten im Gemeindehaushalt. Der Städtetag spricht von teils unerklärlichen Einwohnerverlusten bei der Volkszählung vor zwei Jahren im Vergleich zur bisherigen Bevölkerungszahl. „Sie belaufen sich auf bis zu fast 15 Prozent und führen zu schmerzlichen Einbußen in den Etats mancher Gemeinde“, erläuterte Verbandsexperte Norbert Brugger. Denn die Bevölkerungszahlen sind wichtig für den kommunalen Finanzausgleich. Der Mechanismus gleicht die Finanzkraft der Kommunen in einem Land an. Der Zensus schlägt sich somit in den Planungen der Städte für Kitas, Schulen und Altenpflege nieder.
Sein Verband berate derzeit über Hilfen für betroffene Kommunen, sagte Brugger. Wie die Unterstützung genau aussehen könnte, werde Ende September konkreter, wenn alle Kommunen ihre Feststellungsbescheide erhalten haben.
Zensus wichtige Grundlage für kommunale Planungen
Jagsthausen bei Heilbronn weist landesweit das größte Minus mit 14,9 Prozent im Vergleich zur eigens erhobenen Einwohnerzahl auf. Diese ergibt sich aus dem Zensus 2011, der regelmäßig um neu hinzugezogene Bürger, Abwanderungen und Todesfälle ergänzt wird.
Laut Statistischem Landesamt gibt es aber auch Profiteure: Etwa Moosburg, eine winzige Gemeinde im Landkreis Biberach, deren Einwohnerzahl sich laut dem aktuellen Zensus um 14 auf 226 erhöhte. Zu den Gewinnern gehört auch Pforzheim mit einem Plus von 4,8 Prozent oder rund 6.000 Einwohnern mehr als bis dato vermerkt. Anders ist die Lage in der Landeshauptstadt Stuttgart – die Zählung ergab einen Verlust von 21.700 Einwohnern oder 3,4 Prozent.
Viele Kommunen befürchten, dass sie weniger Mittel aus dem kommunalen Finanzausgleich erhalten. „Diese Landesmittel kommen in einen großen Topf und die Kommunen wollen alle möglichst viel davon haben“, erklärte Brugger. Die konkreten Summen ergeben sich aber nicht nur aufgrund der Bevölkerungsstatistik. So erhalten Städte höhere Landeszuweisungen, die ihre Infrastruktur für Kommunen in ihrer Umgebung bereitstellen.
Mannheims Oberbürgermeister Christian Specht (CDU) spricht von einem enttäuschenden Ergebnis mit Blick auf ein Minus von 0,2 Prozent oder 700 Einwohnern weniger. Die angewandte Stichprobenmethode stoße an ihre Grenzen, insbesondere in „sozialstrukturell herausfordernden Gebieten“. Specht: „Besonders in Gebieten mit hoher Fluktuation und bei Bevölkerungsgruppen, die häufig ihre Wohnung wechseln, wie Studierende und Arbeitsmigranten, entstehen erhebliche Erfassungsdefizite.“
Kommunen können juristisch gegen Zensus vorgehen
Deswegen rechnet Brugger mit Widersprüchen der Kommunen beim Statistischen Landesamt, das die Bescheide an die Gemeinden verschickt. Allerdings würden es nicht so viele werden wie beim Zensus 2011, gegen dessen Resultate 373 Widersprüche und 144 Klagen – vergeblich – ergingen. Die Organisation der Zählung sei im Vergleich zum Zensus 2011 deutlich verbessert worden, von mehr Erhebungsstellen über eine größere Stichprobe bis hin zu mehr Landesmitteln zum Ausgleich von Ausgaben für die praktische Durchführung. Deshalb stehe Baden-Württemberg mit einem Einwohnerrückgang von 1,2 Prozent auf gut 11 Millionen deutlicher besser da als der Bund mit minus 1,6 Prozent und Bayern mit minus 2,2 Prozent.