In Großbritannien haben sich die Parteivorsitzenden am letzten Tag vor der Parlamentswahl noch einmal auf Stimmenfang begeben. Während Labour-Chef Keir Starmer am Mittwoch durch England, Schottland und Wales tourte, konzentrierte sich der konservative Premierminister Rishi Sunak darauf, in Tory-Hochburgen im Südosten Englands um die Wählerstimmen zu werben. Ein Sieg der oppositionellen Labour-Partei gilt als ausgemacht, Umfragen zufolge steht den Tories eine krachende Niederlage bevor.
„Wenn man sich die Umfragen anschaut, ist es ziemlich klar, dass die Labour-Partei zum jetzigen Zeitpunkt auf einen außerordentlichen Erdrutschsieg zusteuert, wie es ihn in diesem Land wahrscheinlich noch nie gegeben hat“, sagte Arbeitsminister Mel Stride dem Sender GB News.
Die ehemalige Innenministerin Suella Braverman schrieb im „Daily Telegraph“, ihre Partei solle sich „auf die Realität und die Frustration“ in der Opposition vorbereiten. Die Tories hätten es versäumt, die Einwanderung zu begrenzen oder die Steuern zu senken, betonte Braverman, die als Anwärterin auf die konservative Parteiführung gilt. Nun müsse es eine „schonungslos ehrliche Analyse“ geben, die darüber entscheiden werde, „ob unsere Partei überhaupt noch existiert“.
Jüngste Umfrage prognostizieren Labour einen historischen Wahlerfolg. Laut dem Meinungsforschungsinstitut Survation könnte die Partei auf 484 der insgesamt 650 Sitze im Londoner Unterhaus kommen und damit den Erdrutschsieg aus dem Jahr 1997 unter dem damaligen Parteichef Tony Blair noch einmal übertreffen. Nach Jahren geprägt von Brexit, Corona, Wirtschaftskrise und jeder Menge Skandale scheinen die Wähler eine Veränderung herbeizusehnen.
Auch die große Boulevardzeitung „The Sun“ schrieb am Mittwoch, es sei „Zeit für Labour“ und sprach eine Wahlempfehlung für die Oppositionspartei aus. Sie lobte Starmer dafür, die Partei „wieder in die Mitte der britischen Politik“ zurückgeführt zu haben. Die Unterstützung der „Sun“ vor Wahlen ist bei Politikern begehrt – die Zeitung hat eine Jahrzehnte währende Erfolgsbilanz darin, sich stets auf die Seite des letztlichen Wahlsiegers zu stellen.
Die britische Printmedienlandschaft ist weitgehend konservativ eingestellt, doch hat Labour vor der „Sun“ bereits die „Financial Times“, den „Economist“ und die „Sunday Times“ für sich einnehmen können.
Die Wahllokale öffnen am Donnerstag um 07.00 Uhr (Ortszeit; 8.00 Uhr MESZ) und schließen um 22.00 Uhr (23.00 Uhr MESZ). Die Wähler haben eine Stimme: Auf dem Stimmzettel kreuzen sie den Namen eines Kandidaten in ihrem Wahlkreis an. Die Ergebnisse werden in der Nacht zum Freitag erwartet.
Labour-Chef Starmer ist somit auf dem besten Weg, in Downing Street Number 10 einzuziehen und die Konservativen nach 14 Jahren an der Macht abzulösen. Das hätte bis vor wenigen Jahren kaum jemand für möglich gehalten: Der 61-Jährige ist ein Spätberufener der Politik, seine Karriere startete er als Jurist. Erst vor neun Jahren wurde er zum Abgeordneten gewählt. Von der Popularität und dem Charisma von Ex-Premier Blair ist er allerdings weit entfernt.
Im Wahlkampf warb Starmer für eine Rückkehr zur Seriosität in der britischen Politik, versprach ein langfristiges Wirtschaftswachstum und präsentierte sich vor allem als Diener des Landes. „Erst das Land, dann die Politik“, betonte er immer wieder. Im Endspurt seines Wahlkampfs warb er noch einmal um Unterstützung für seine Partei: „Wenn Sie Veränderungen wollen, müssen Sie dafür stimmen“, sagte Starmer am Mittwoch. „Wir werden keine Gnadenfrist bekommen. Wir werden sofort loslegen.“
Dagegen hatten die Tories vor allem einen Negativ-Wahlkampf geführt, vor Steuererhöhungen durch eine Labour-Regierung gewarnt und ein härteres Vorgehen hinsichtlich Migration und Sicherheit angekündigt. Dabei bekamen sie am Dienstag überraschende Unterstützung durch Ex-Premierminister Boris Johnson. Auf einer Versammlung in London forderte dieser die Partei auf, die prognostizierte Wahlniederlage nicht als „ausgemachte Sache“ zu betrachten. „Ich weiß, dass es das nicht ist“, betonte Johnson.
Sunak wiederholte diese Kampfansage 24 Stunden später bei einer letzten Veranstaltung im südenglischen Hampshire. „Es ist erst vorbei, wenn der Schlusspfiff ertönt, meine Freunde, und ich kann Ihnen auch sagen, dass dieser Außenseiter bis zum Schlusspfiff kämpfen wird“, sagte Sunak vor seinen Anhängern.