Fried – Blick aus Berlin: Der Kanzler plus drei Minister beim Fußballspiel – muss das sein?

Unser Autor fragt sich, ob nicht zu viele deutsche Politiker beim EM-Achtelfinalspiel waren. Er hat darauf eine klare Antwort. Auch wenn manche das kleinkariert finden. 

Beim Europameisterschaftsspiel Deutschland gegen Dänemark war die Politik in Dortmund gut vertreten. Der Kanzler saß schon zum dritten Mal auf der Ehrentribüne. Bevor wir zum eigentlichen Thema kommen, ist festzuhalten, dass Olaf Scholz sich, anders als ich an dieser Stelle geunkt habe, zu einem wahren Maskottchen der Nationalmannschaft entwickelt hat, auch wenn man ihm den Erfolg selten ansieht.

Zwei Siege und ein Unentschieden hat der Kanzler bei der EM erlebt. Der Ausgleich gegen die Schweiz kurz vor Schluss war noch dazu wie gemalt für einen Politiker im Stimmungstief, der sich an die Devise klammern muss, dass in der Politik wie im Fußball erst am Ende abgerechnet wird.

Vier feuern lauter an als Scholz allein

Rund um Scholz saßen in Dortmund Nancy Faeser, Annalena Baerbock, Karl Lauterbach sowie Bärbel Bas und Hendrik Wüst. Das sind schon ziemlich viele Politiker, oder? Hinzu kam noch die Gattin des Kanzlers. Ich habe mich gefragt: Müssen das so viele sein? Und ich finde: nicht unbedingt. Meine Frau hat über mein Störgefühl allerdings nur den Kopf geschüttelt. Und eine Kollegin nannte mich kleinkariert.

Okay, Hendrik Wüst ist der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, in dem Dortmund liegt. Bärbel Bas, Bundestagspräsidentin, vertritt uns alle, man nennt es repräsentative Demokratie. Bleibt die rot-grüne (!) Viererkette aus der Regierung. In einer Stellungnahme aus dem Presseamt heißt es, die Kabinettsmitglieder zeigten mit ihren Besuchen „die Unterstützung der gesamten Bundesregierung für dieses große Sportereignis“. Nun genügt zu anderen Zwecken der Kanzler allein, um die Haltung der Regierung auszudrücken. Aber vier Kabinettsmitglieder können natürlich lauter anfeuern als Scholz allein.

Achtelfinale 29.6.24 0830

Gute Stimmung bei der EM, sonst oft miese Laune

Bei den Tickets handelt es sich um kostenlose Ehrenkarten der Uefa, „welche für Spielbesuche von Repräsentanten des Bundes aus dienstlichem Anlass vorgesehen sind“. Der dienstliche Anlass ist ein sehr bürokratischer Begriff. Versuchen wir mal ganz großzügig, ihn mit Leben zu füllen: Scholz, Kanzler, klar. Ehefrau kommt als Begleitung mit, bezahlt ihren Anteil an der Reise aber selbst, versichert man im Kanzleramt. Faeser, Sport- und Sicherheitsministerin, klarer Fall, darf bleiben. Baerbock, Außenministerin, na gut, es wird ja gegen ein anderes Land gespielt. Und zu guter Letzt könnte man sagen, dass es angesichts der Verletzungsgefahr auf dem Rasen nicht schadet, einen Mediziner wie Karl Lauterbach im Stadion zu haben, der einen Muskelfaserriss gewiss auf der Höhe der neuesten Studienlage behandeln würde, jedenfalls wenn ihn irgendjemand darum bäte.

Ich bleibe dabei: Muss das sein? Ganz ehrlich: Ich hasse solche Fragen, weil man sich sofort und wider Willen mit den schlimmsten Populisten gemeinzumachen scheint, die Politiker gewohnheitsmäßig als Abzocker diffamieren. Ich weiß, dass wichtige Politiker einen beinharten Job haben und in ihrem Privatleben derart viele Einschränkungen erdulden, dass sie meinetwegen das Privileg eines Stadionbesuchs im VIP-Bereich wahrnehmen sollen.

Und doch vermisse ich beim Anblick so vieler Mitglieder der Bundesregierung das den schwierigen Zeiten angemessene Fingerspitzengefühl, zumal bei denen, die ihren Besuch in sozialen Medien fröhlich zelebrieren. Im Stadion inszenieren sich Vertreter einer Koalition, die seit zweieinhalb Jahren viel miese Laune zu verantworten hat, in einer positiven Stimmung, die andere machen. Das ist es, was mich irritiert. Bin ich eben kleinkariert.