In Essen versucht die AfD, die eigene Parteiwerdung abzuschließen und professioneller aufzutreten. Aber vieles bleibt in Bewegung.
Am Samstagmorgen hatte der Parteitag der AfD in Essen begonnen. Doch als Björn Höcke das erste Mal in der Grugahalle ans Mikrofon trat, war es schon Sonntagmittag. Der Thüringer Landeschef schlug eine Kandidatin für das Schiedsgericht vor und setzte sich wieder.
Lange Jahre hatte Höcke die Debatten in der AfD entscheidend mitgeprägt – und dies, obwohl er nie ein Amt in der Bundespartei inne. Er führte von hinten, von Erfurt aus.
Doch ausgerechnet in Essen, wo Höcke 2015 die Macht seines gerade gegründeten „Flügel“ erstmals vorführte, war eindrücklich zu betrachten, wie sein Nimbus, der immer auch zum Teil ein Medienphänomen war, zu verblassen beginnt.
Die von ihm benannte Schiedsrichter-Kandidatin fiel bei den Delegierten einfach durch. Später wurde sie nicht einmal Ersatzrichterin.
Vorbei sind die Parteitage, auf denen Höcke der Spitze Personalwünsche und Forderungen wie den „Dexit“ aufnötigte. Zwar besitzt Höcke durchaus noch Einfluss, und sei es über die sogenannten Vorfeldorganisationen und die sozialen Netzwerke. Aber er wird kleiner.
Denn inzwischen wollen andere den Kurs der Partei bestimmen. Sie wirken zwar in ihren Positionen kaum weniger extrem als Höcke. Aber sie sind jünger, pragmatischer und flexibler.
Sie führen Landesverbände wie René Springer. Sie leiten die Delegation im EU-Parlament wie René Aust. Oder sie sitzen im Bundestagsfraktionsvorstand wie Sebastian Münzenmaier.
Oder sie führen, so wie Hannes Gnauck, die extremistische Junge Alternative. Ähnlich wie Höcke vertritt der vormalige Oberfeldwebel einen xenophoben Mix aus völkischem Nationalismus und Sozialismus, zum dem harter Antiamerikanismus gehört.
AfDler Gnauck Immunität aufgehoben 19:18
Doch eine geostrategische Neuorientierung in Richtung von Russland und China, wie sie der Thüringer Landeschef, der neurechte Verleger Götz Kubitschek und der einstige EU-Spitzenkandidat Maximilian Krah vertreten, lehnt Gnauck ab. Deutschland dürfe nicht einen Hegemon durch einen anderen Hegemon ersetzen, rief er selbstbewusst in Essen, bevor er knapp neu in den Bundesvorstand gewählt wurde.
Allerdings bewies auch Gnaucks Wahl, wie eng die Mehrheiten in der AfD bleiben. So wurde der von Münzenmaier und Springer seit Wochen vorbereitete und zuletzt noch einmal aufgeweichte Antrag zur Einführung eines Generalsekretärs ohne Debatte und mit hauchdünnem Stimmenabstand in die Satzungskommission überwiesen.
Dies war zwar keine offene Niederlage für die Next Generation AfD. Aber es war eben auch kein Sieg.
Streit um Krah wurde nicht thematisiert
Gleichwohl bewies die Partei in Essen, dass sie nach gut elf Jahren ihrer Existenz professioneller geworden ist. Für AfD-Verhältnisse absolvierten die Delegierten die Vorstandswahlen in Rekordzeit, wobei nahezu jedes Lager etwas abbekam. Zudem gelang es dank der vielen Gespräche vor dem Parteitag, den im Netz wogenden Streit um Krah aus der Grugahalle herauszuhalten. Der aus der Brüsseler Parteidelegation verbannte Europaabgeordnete blieb denn auch lieber dem Parteitag fern.
An einer Stelle funktionierten die Absprachen sogar zu gut. Nach parteiinternen Ankündigungen, Bundeschef Tino Chrupalla unter anderem für das Krah-Desaster abstrafen zu wollen, orchestrierten mehrere Landeschefs Solidaritätsappelle an die Delegierten. Zwei Monate vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen sollte eine Demütigung des Manns aus Görlitz vermieden werden.
Dass dann jedoch Chrupalla sogar einige Stimmen mehr als seine Co-Chefin Alice Weidel erhielt, war nicht geplant. Allein schon deshalb dürfte die Konkurrenz zwischen beiden trotz aller vorgezeigter Harmonie bestehen bleiben – und spätestens bei der Beantwortung der Kanzlerkandidatenfrage neu getestet werden.
AfD sortiert sich neu
Dies alles zeigt: Noch sortiert sich die AfD neu. Und vieles bleibt in Bewegung.
Das gilt auch für die Außenpolitik. Kurz vor Ende des Parteitags verabschiedeten die Delegierten eine unter anderem von Höcke eingebrachte Resolution, die von einer „multipolaren Welt des 21. Jahrhunderts“ spricht.
Sie wendet sich dagegen, Ländern wie China, Russland oder dem Iran moralische Vorschriften zu machen. Doch der offenkundig auf Russland bezogene Satz, dass dabei die „Anerkennung von berechtigten Sicherheitsbedürfnissen (…) erkennbar in deutschem Interesse“ sei, wurde per Änderungsantrag gestrichen.
Eine andere Resolution, die wiederum von Parteichefin Alice Weidel unterstützt wurde, verurteilt den Angriff auf die Ukraine. Gleichzeitig wird jedoch behauptet, dass „die Außenpolitik verschiedener westlicher Staaten der vergangenen Jahre die Eskalation in der Ukraine begünstigt“ habe.
Auch in der Europapolitik mäandert die Partei. Nachdem Marine Le Pens Rassemblement National wegen Krah der AfD die Partnerschaft aufgekündigt hatte, beschlossen die Delegierten in Essen trotzig den Austritt aus der gemeinsamen Europapartei „Identität und Demokratie“.
Allerdings bleibt ungewiss, ob EU-Delegationsleiter Aust eine eigene Fraktion bilden kann oder ob die AfD sich der neuen Allianz der österreichischen FPÖ und der ungarischen Fidesz anschließen darf.
Schließlich ist da noch das Bündnis von Sahra Wagenknecht (BSW), das in den Reden in Essen geradezu demonstrativ ignoriert wurde. Es besetzt teils ähnliche Themen wie die AfD und hört gerade nicht mit dem Wachsen auf.
In Thüringen rutscht Höckes Partei ab
Insbesondere in Thüringen scheint das BSW der AfD das Momentum gestohlen zu haben. In den Landtagswahlumfragen ist Höckes Landespartei unter 30 Prozent gerutscht. Das Mindestziel der AfD – die parlamentarische Sperrminorität von einem guten Drittel der Sitze – könnte nicht erreicht werden.
Käme es so, hätte die Höcke-Dämmerung endgültig begonnen.