Rassemblement National: „An der Schwelle der Macht“: Frankreichs Rechtspopulisten vor Erdrutschsieg

Die erste Runde der Parlamentswahlen in Frankreich kommt einem politischen Beben gleich. Die Rechtsnationalen könnten stärkste Kraft werden. Macron ruft zu einem breiten Bündnis gegen den Rassemblement National auf.

Drei Wochen nach der Europawahl haben Frankreichs Rechtspopulisten erneut einen deutlichen Wahlsieg eingefahren. „Die extreme Rechte ist an der Schwelle der Macht“, räumte Premierminister Gabriel Attal am Sonntagabend in Paris ein. Nach Hochrechnungen kommt die Partei Rassemblement National (RN) in der ersten Runde der Parlamentswahl auf gut 33 Prozent. Nach manchen Prognosen könnte der RN nach der zweiten Runde am 7. Juli auf eine relative oder absolute Mehrheit kommen. Dabei gibt es aber noch viele Variablen. Analyse Erster Wahldurchgang Frankreich 23.09

Macron ruft zu Allianz gegen Rechts auf

Wie viele Sitze die Blöcke in der Nationalversammlung bekommen, wird erst in Stichwahlen am kommenden Sonntag entschieden. Premierminister Gabriel Attal kündigte den Rückzug von etwa 60 Kandidaten in der zweiten Runde an, um den Sieg rechtspopulistischer Kandidaten zu verhindern. Das RN dürften im zweiten Wahlgang „keine einzige Stimme“ erhalten, sagte er. 

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron rief angesichts des Wahlerfolgs der Rechtspopulisten zu einem „breiten, demokratischen und republikanischen Bündnis“ auf. Die hohe Wahlbeteiligung zeuge von dem „Willen, die politische Situation zu klären“, betonte der Präsident. Sollte das RN tatsächlich die absolute Mehrheit holen, wäre Macron faktisch gezwungen, einen Premier aus den Reihen der Rechtsnationalen zu ernennen. Denn das Unterhaus kann die Regierung stürzen. Während die Anhänger des RN auf den Machtwechsel hoffen, fürchtet ein Großteil der Franzosen sich vor einer Machtübernahme der Rechtsnationalen. Am Sonntagabend demonstrierten Tausende Menschen in Paris und etlichen anderen Städten gegen die extreme Rechte. 

Das Regierungslager liegt mit etwa 21 Prozent abgeschlagen auf Platz drei. Der linkspopulistische Politiker Jean-Luc Mélenchon nannte das Ergebnis eine „schwere und indiskutable Niederlage für Macron“. Er erklärte, dass seine Partei La France Insoumise (LFI) manche Kandidaten ebenfalls zurückziehen werde, um den Sieg von RN-Kandidaten zu verhindern.

Das links-grüne Wahlbündnis Neue Volksfront kommt nach den Hochrechnungen auf etwa 28 Prozent. „Wir haben sieben Tage Zeit, um Frankreich vor einer Katastrophe zu bewahren“, erklärte der sozialistische Politiker Raphaël Glucksmann. Die Republikaner – ohne ihren abtrünnigen Parteichef Eric Ciotti – liegen bei zehn Prozent. Die Wahlbeteiligung war mit mindestens 65 Prozent deutlich höher als 2022 mit 48 Prozent.

Marine Le Pen strebt nach absoluter Mehrheit

Die Ex-Parteichefin des RN, Marine Le Pen, rief ihre Anhänger dazu auf, ihrer Partei in der nächsten Runde eine „absolute Mehrheit“ zu verschaffen. Macrons Lager sei „praktisch ausgelöscht“, erklärte Le Pen, die in ihrem Wahlkreis im Norden bereits im ersten Wahlgang gewählt wurde.

Parteichef Jordan Bardella sieht sich bereits als künftiger „Premierminister aller Franzose“, falls seine Partei die absolute Mehrheit bekommen sollte. Er werde „verfassungstreu, aber unnachgiebig“ sein, kündigte der 28-Jährige an.

Der RN ist mit einem stramm europa- und ausländerfeindlichen Programm angetreten. Die Partei hat zudem massive Wahlgeschenke in Aussicht gestellt, von denen es einige bereits abgemildert hat.

Konkret will die Partei Frankreichs EU-Beitrag verringern, eine Obergrenze für Einwanderung einführen, die Bewegungsfreiheit von Nicht-EU-Ausländern einschränken und Berufsverbote für Franzosen mit doppelter Staatsangehörigkeit auf den Weg bringen. Als eine der ersten Maßnahmen soll die Mehrwertsteuer auf Gas und Treibstoff reduziert werden. Die Abschaffung der Rentenreform soll erst später geschehen. STERN PAID 27_24 Le Pen 1305

Frankreich an der Schwelle zum politischen Chaos

Frankreich-Experten warnten angesichts des Wahlergebnisses vor einer politischen Dauerkrise. „Es konkretisiert sich die Gefahr, dass Frankreich sich in einer Situation ohne parlamentarische Mehrheit wiederfindet“, sagte Jacob Ross von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Die politische Instabilität werde zunehmen, fügte er hinzu.

Die Verteilung der 577 Sitze der Nationalversammlung wird sich erst nach der zweiten Wahlrunde klären. 39 Abgeordnete des RN wurden bereits im ersten Wahlgang in die Nationalversammlung gewählt, vom Wahlbündnis Neue Volksfront konnten sich 32 Abgeordnete direkt durchsetzen, wie aus offiziellen Zahlen des Innenministeriums hervorgeht, die der Nachrichtenagentur AFP vorlagen. Um in der ersten Runde gewählt zu werden, brauchen die Kandidaten nicht nur die absolute Mehrheit der Stimmen, diese müssen auch einem Viertel der eingeschriebenen Wähler entsprechen.

Sollte der RN eine absolute Mehrheit erhalten, dürfte Frankreich zum vierten Mal eine Kohabitation erleben, in der Präsident und Premierminister unterschiedlichen Lagern angehören. Allerdings wären die ideologischen Unterschiede größer denn je zuvor. Statt neuen Initiativen stünde in Frankreich Verwaltung an der Tagesordnung.

Deutschland und Europa müssten sich in dem Fall darauf einstellen, dass das gespaltene Land keinen klaren Kurs mehr verfolgt und unzuverlässiger wird. Als Präsident hat zwar Macron in der Außenpolitik Vorrang. Sollte aber der 28-jährige Bardella Premier werden, dürfte er seine Linie schwerlich ungehindert fortsetzen können. Im Gegensatz zu Macron gibt das RN wenig auf die enge Zusammenarbeit mit Deutschland. Auch möchte die Partei den Einfluss der Europäischen Union in Frankreich eindämmen.