Das Europäische Parlament sortiert sich nach den Erfolgen vieler Rechtsaußen-Parteien bei der Europawahl neu: Der ungarische Regierungschef Viktor Orban und der Chef der rechtspopulistischen FPÖ in Österreich, Herbert Kickl, kündigten am Sonntag in Wien die Gründung einer neuen Rechtsaußen-Fraktion im Europaparlament an. Für die von ihnen geplante Fraktion mit dem Namen Patriots for Europe (Patrioten für Europa) benötigen sie aber noch Mitstreiter. Hierfür käme aus Deutschland die derzeit fraktionslose AfD in Frage, die zunächst zurückhaltend, aber grundsätzlich erfreut reagierte.
„Heute ist ein historischer Tag, weil wir mit diesem heutigen Tag eintreten in eine, ich möchte es so nennen, neue Ära der europäischen Politik“, sagte Kickl bei der Pressekonferenz in Wien mit Orban sowie dem früheren tschechischen Regierungschef Andrej Babis. „Ich spreche von einer Ära der Freiheit, ich spreche von einer Ära der Souveränität, des Friedens, des Wohlstands und der Werte.“ Die Initiative für eine neue Rechtsaußen-Fraktion bezeichnete er als „Trägerrakete“.
Auch Orban beschwor eine „neue Ära“. Der „erste, vielleicht entscheidende Moment dieser neuen Ära ist die Schaffung einer neuen europäischen politischen Fraktion, die die europäische Politik verändern wird“, fügte der ungarische Ministerpräsident hinzu. Als Ziele nannte er den Kampf gegen illegale Migration und für die „traditionelle Familie“ sowie ein Ende des Ukraine-Kriegs.
Orban, Kickl und Babis unterzeichneten ein sogenanntes Patriotisches Manifest. Dieses verspricht Orban zufolge „Frieden, Sicherheit und Entwicklung“ anstelle von „Krieg, Migration und Stagnation“, für die die „Brüsseler Elite“ verantwortlich sei. Das neue Bündnis richtet sich auch gegen die Klimaschutzmaßnahmen im Rahmen des „Green Deal“ der EU.
Der neue Zusammenschluss benötigt die Unterstützung von Parteien aus vier weiteren Ländern, um als Fraktion im EU-Parlament anerkannt zu werden. Bei der Europawahl Anfang Juni hatten rechtspopulistische Parteien in vielen Ländern starke Zugewinne errungen. Fidesz, FPÖ und Babis‘ populistische und euroskeptische Oppositionspartei ANO wurden bei der EU-Wahl jeweils stärkste Kraft in ihrem Land. Im neuen Europaparlament hat die Fidesz elf Sitze, die FPÖ sechs und die ANO sieben Mandate.
Orbans Fidesz-Partei ist im EU-Parlament derzeit fraktionslos. Sie war 2021 im Streit über Rückschritte der Demokratie in Ungarn aus der Europäischen Volkspartei (EVP), der weiterhin größten Fraktion im Europaparlament, ausgeschieden. Die FPÖ gehört bislang der Rechtsaußen-Fraktion Identität und Demokratie (ID) an, zu der auch die französische Partei Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen gehört. Die ANO hatte in der vergangenen Woche angekündigt, dass sie die liberale Fraktion Renew Europe verlässt. Andere Parteien aus dem rechten Lager wie die ultrarechte Partei Fratelli d’Italia der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni sind im EU-Parlament in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) zusammengeschlossen.
Die AfD ihrerseits war kurz vor der EU-Wahl aus der ID-Fraktion ausgeschlossen worden, nachdem ihr umstrittener Spitzenkandidat Maximilian Krah sich in einer italienischen Tageszeitung verharmlosend zur SS geäußert hatte. AfD-Chefin Alice Weidel hatte Mitte Juni im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP gesagt, ihre Partei werde sich um neue Bündnispartner im Europaparlament bemühen, sollte sie aus der ID-Fraktion ausgeschlossen bleiben.
Am Sonntag sagte ein Sprecher von Weidel am Rande des AfD-Bundesparteitags in Essen, die neue Fraktion biete „neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit anderen Parteien“. Die europäische Parteienlandschaft im rechen Spektrum sei „in Bewegung“ geraten, und es seien damit für die AfD mehrere Optionen „auf dem Markt“, sagte der Sprecher der Nachrichtenagentur AFP. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt habe die AfD aber noch keine Entscheidung über ihre künftige Fraktionszugehörigkeit im Europaparlament getroffen.
Weidel selbst sagte dem Sender Phoenix, sie sehe „in naher Zukunft“ keine Geschäftsgrundlage für eine erneute Zusammenarbeit mit der ID-Fraktion.
Unter Orbans Führung übernimmt Ungarn am Montag den rotierenden EU-Ratsvorsitz. Für die sechsmonatige Präsidentschaft hat Orban das Motto „Make Europe Great Again“ (Macht Europa wieder großartig) ausgegeben – angelehnt an das Wahlkampfmotto des früheren US-Präsidenten Donald Trump „Make America Great Again“.
Orban vertritt einen einwanderungsfeindlichen Kurs und gilt als Verbündeter des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Europas milliardenschwere Militärhilfen für die Ukraine lehnt er entschieden ab.