Die Zahl von Straftaten mit politischem Hintergrund ist auf einen neuen Höchststand gestiegen: Das Bundeskriminalamt registrierte in seiner am Dienstag in Berlin veröffentlichten Statistik für das Jahr 2023 insgesamt 60.028 Fälle politisch motivierter Kriminalität – dies waren knapp zwei Prozent mehr als im Vorjahr. Fast die Hälfte der Delikte – knapp 29.000 – hatte demnach einen rechtsgerichteten Hintergrund. Einen massiven Anstieg gab es im Bereich Antisemitismus, wo sich die erfassten Taten auf 5164 fast verdoppelten.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach bei der Vorstellung der Statistik von einer „Eskalation der politischen Aggression mit immer stärkeren Einschüchterungsversuchen“. Dafür trügen vor allem rechtsgerichtete Täter eine „erhebliche Mitverantwortung“. BKA-Präsident Holger Münch sagte: „Diese Entwicklung müssen wir sehr ernst nehmen, denn sie bedroht unsere Demokratie und unseren gesellschaftlichen Frieden.“
Die Zahl der politisch motivierten Straftaten nahm in fast allen Bereichen zu – so bei Delikten mit rechtsgerichtetem Hintergrund (plus 32 Prozent im Vergleich zu 2022) und mit linkem Hintergrund (plus elf Prozent). Besonders starke Anstiege verzeichnete das BKA bei Taten mit religiösem Hintergrund – etwa Islamismus – mit plus 200 Prozent und bei Taten, die einen Bezug zu politischen Entwicklungen im Ausland haben (plus 33 Prozent).
Zu diesem Zuwachs trugen vor allem Delikte bei, die im Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern begangen wurden. Deren Zahl stieg von 61 im Jahr 2022 auf 4369 im vergangenen Jahr – ein Zuwachs von mehr als 7000 Prozent.
Der Zuwachs erfolgte vor allem nach dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober. BKA-Chef Münch sagte dazu: „Die Lage in Nahost hat auf allen Ebenen einen unmittelbaren Einfluss auf das Radikalisierungsgeschehen in Deutschland.“ Täter aus diesem Spektrum trugen auch erheblich zum Anstieg der antisemitischen Straftaten bei.
Einen Rückgang um knapp 31 Prozent verzeichneten jene Fälle, die das Bundeskriminalamt unter der Kategorie „sonstige Zuordnung“ führt. Hierunter fallen Delikte im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, die mit dem Ende der Pandemie und der Lockdown-Maßnahmen stark zurückgingen.
Bei den politisch motivierten Gewalttaten, zum Beispiel Körperverletzungen, verzeichnete das Bundeskriminalamt einen Rückgang um 11,9 Prozent auf 3561 Fälle, den es allerdings allein auf die sinkenden Zahlen in der Kategorie „sonstige Zuordnung“ zurückführt. In allen anderen Bereichen gab es teils starke Anstiege – bei den rechtsmotivierten Taten um 8,6 Prozent auf 1270 Fälle, bei den linksextremen um 8,8 Prozent auf 916 Fälle.
Bei den Gewalttaten gehe die Gefährdung vor allem durch rechtsgerichtete Täter aus, sagte Faeser. „In keinem anderen Bereich ist die Opferzahl so hoch.“
Im Jahr 2023 wurden laut Jahresbilanz insgesamt 17 versuchte und drei vollendete politisch motivierte Tötungsdelikte registriert. Von den vollendeten Tötungsdelikten ordnete das Bundeskriminalamt eines dem Phänomenbereich ausländische Ideologie und zwei dem Phänomenbereich religiöse Ideologie zu.
Die Zahl der Menschen, die durch politisch motivierte Gewaltkriminalität verletzt wurden, stieg 2023 im Vergleich zum Vorjahr um knapp sechs Prozent – von 1660 auf 1759.
Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, forderte angesichts des Anstiegs judenfeindlicher Straftaten eine schärfere Verfolgung solcher Delikte. Notwendig sei zudem mehr Bildung und Sensibilisierung, sagte Klein dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Grünen-Parlamentsgeschäftsführerin Irene Mihalic wertete die Entwicklung als „ein Alarmsignal“. Der Nachrichtenagentur AFP sagte sie: „Der Terrorangriff der Hamas auf Israel führt zu einem dramatischen Anstieg antisemitischer Straftaten in Deutschland.“
Der Deutsche Richterbund forderte eine personelle Verstärkung der „chronisch überlasteten Strafjustiz“. Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn erklärte: „Während Gewalttaten durch Rechtsextremisten sowie Hass und Hetze im Netz sprunghaft steigen, hat die Bundesregierung den Rechtsstaat zum Sparschwein erklärt.“
Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) wies darauf hin, dass 2023 auch die Gewalttaten gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intergeschlechtliche gestiegen seien. Er forderte einen besseren Rechtsschutz.