Donald Trumps Lügen, sein Verhalten gegenüber Frauen, ja auch sein Aussehen – in Europa, gerade in Deutschland, können sich viele nicht vorstellen, warum man den 78-Jährigen wählen sollte. Die Amerikaner aber haben ganz andere Sorgen, die er geschickt adressiert.
Er sagte klare Sätze. Er verhaspelte sich nicht. Er schrie nicht und er pöbelte auch nicht sonderlich herum. Was viele bei der amerikanischen Präsidentschaftsdebatte von Joe Biden erwartet oder zumindest erhofft hatten – das lieferte Donald Trump.
Sicher, Trump log in jedem zweiten Satz, doch so sehr sich die Factchecker parallel bemühten, all die Unwahrheiten zurechtzurücken, so blieb bei vielen Amerikanern eben doch der Eindruck hängen: Da ist auf der einen Seite ein alter Mann, der es nicht mehr kann – und auf der anderen jemand, der zwar nur drei Jahre jünger sein mag, aber deutlich agiler, fitter, angriffslustiger wirkt. Ein Anführer, kein Opa. In Blitzumfragen sagen mehr als zwei Drittel der Amerikaner, Trump sei der klare Sieger der Debatte.
Trump erzeugt eine fast körperliche Abscheu
Gerade in Europa und besonders in Deutschland ist Trump verhasst, bei vielen Menschen erzeugen schon seine orangefarbene Haut, die Fönfrisur, seine ganze Gestik und Mimik ein fast körperliches Unwohlsein. Dass er mit einem Pornostar schlief, während die eigene Frau schwanger war, die Affäre mit Schweigegeld zu vertuschen versuchte und dafür als erster Präsident überhaupt strafrechtlich verurteilt wurde, finden viele Deutsche entsetzlich. Ihnen erscheint es unvorstellbar, einen solchen Mann überhaupt als Präsident in Betracht zu ziehen – genauso wenig wie sich viele vorstellen können, dass die Amerikaner, dieses aufgeklärte Volk, die Erfinder der Demokratie, es tun.
Die Sache allerdings ist: Viele Amerikaner kümmert Trumps Verhalten gar nicht. Es gibt einen harten Kern der Anhänger, jene aus der „Stop the Steal“-Bewegung, die tatsächlich glauben, dass ihm die Wahl 2020 gestohlen worden sein. Die Mehrheit aber, die sich in Umfragen für ihn aussprechen, die ihn auch wählen werden, wissen durchaus, dass Trump ein notorischer Lügner und Frauengrapscher, ja kein besonders sympathischer Mensch ist. Sie nehmen es aber hin, so wie man einem Kind auch Unflätigkeiten durchgehen lässt, wenn es sonst in der Schule gute Noten abliefert.
Und im Gefühl vieler Amerikaner hat Trump genau das getan, gute Noten abgeliefert. Hat er nicht den Chinesen Paroli geboten? Ist es nicht ihm zu verdanken, dass die sorglosen europäischen Trittbrettfahrer jetzt mehr Geld zur Nato beisteuern? Dass er versucht hat, Demokratie und Rechtsstaat auszuhöhlen, ist für viele jenseits der Elitenzirkel an den Küsten eine eher theoretische und irrelevante Diskussion.
Trump, der Bauchpolitiker
In den vergangenen Monaten waren auch die Reporter des stern häufig in der USA unterwegs, im sich desindustrialisierenden Rustbelt ebenso wie an der Grenze zu Mexiko, und immer wieder hörten sie die gleiche Botschaft: Was die Menschen kümmert, ist der eigene Geldbeutel, die hohe Inflation. Es sind die Rekordzahlen an Flüchtlingen, die in Texas oder Arizona die Grenze überwinden. Was sie nicht kümmert: Die Diskussionen in New York, Washington oder San Francisco, wie Trump möglicherweise nach einer Wahl das Justizministerium zu einem Machtinstrument umbauen möchte.
Donald Trump weiß das, oder er fühlt es zumindest, er ist ein Instinktpolitiker, und er bleibt in dieser Hinsicht, wie es im Wahlkampfsprech heißt: on message. Biden Trump Debate Watch Party New York 07.11
Uns, die wir Trump so gerne unterschätzen, treibt die Sorge um, dass er eine Niederlage im November nicht akzeptieren könnte, dass es gar zu einer Art Bürgerkrieg kommen könnte. Die Sorge scheint mehr und mehr unbegründet.
Denn wenn die Demokraten bei Joe Biden als Kandidaten bleiben werden und Trump nichts anderes tut, als seinen Instinkten zu folgen und Trump zu bleiben, dann müssen wir uns um mögliche Wahlfälschungen oder Manipulationen keine Gedanken machen. Dann wird das Ergebnis sein, worauf derzeit viele Umfragen gerade in den Swing States hindeuten: Dann wird Donald Trump ganz regulär erneut zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt werden.