Eine Expertengruppe in Dänemark rät zu drastischen Maßnahmen im Bereich Arbeitslosigkeit und Jobvermittlung. Die Regierung ist offen dafür. Eine Debatte, ganz konträr zu der in Deutschland.
Weniger Regeln, weniger Gespräche, weniger Sanktionen, keine Arbeitsämter, mehr Freiräume: Eine dänische Expertengruppe aus Wirtschaftsweisen und Beamten hat Empfehlungen zur Reform der Arbeitslosenpolitik vorgelegt. Ein Jahr lang hat sie sich intensiv mit der Integration von Menschen in den Arbeitsmarkt beschäftigt. Das Ergebnis sind sechs Vorschläge an die Regierung, die am Montag in einem 200-seitigen Bericht vorgestellt wurden. Würde die Regierung diese umsetzen, käme das einem radikalen Umbau des bisherigen Systems gleich.
Am Ende geht es wie immer ums Geld. Die sogenannte SVM-Regierung aus Sozialdemokraten, Liberalen und Moderaten in Dänemark will drei Milliarden dänische Kronen (mehr als 400 Millionen Euro) einsparen und dem aufgeblähten Arbeitslosensystem Luft ablassen. Der Bürger soll in den Mittelpunkt gerückt werden und sowohl Sachbearbeiter als auch Arbeitslose mehr Freiheiten erhalten.STERN PAID Interview Madeleine Böckler16
Fast 100 Jobcenter in Dänemark könnten schließen
Mit den Vorschlägen, so die Experten, könnten die angestrebten Einsparungen bis 2030 tatsächlich erreicht werden. Allein in den Kommunen würden die Kosten um rund 160 Millionen Euro sinken. Laut der dänischen Nachrichtenagentur Ritzau gibt die Regierung jährlich rund 1,5 Milliarden Euro für die Arbeitsvermittlung aus, was etwa 1,5 Prozent des BIP entspricht und Dänemark zu einem der Länder mit den höchsten Ausgaben weltweitin diesem Bereich macht.
Die Ratschläge zielten darauf ab, das System kostengünstiger, einfacher und menschenwürdiger zu gestalten, ohne die Beschäftigung zu beeinträchtigen. Der Leiter der Expertengruppe, Wirtschaftsprofessor Claus Thustrup Kreiner von der Universität Kopenhagen, betonte die Notwendigkeit einer Liberalisierung und Vereinfachung der Maßnahmen, um Menschen in Arbeit zu bringen. Denn trotz einer hohen Quote anBeschäftigten,kämen viele Dänen beim Versuch, wieder in Lohn und Brot zu kommen, nicht voran. Deshalb müsse das System „überdacht“ werden.
Eine der radikalsten Maßnahmen wäre die Abschaffung der 98 Jobcenter im Land zugunsten einer dezentralen Organisation durch die Kommunen. Diese sollen mehr Spielraum erhalten. Auch die Zielgruppen für Vermittlungsmaßnahmen sollen reduziert und Sonderregelungen abgeschafft werden. Sachbearbeiter sollen mehr Freiräume erhalten und sich stärker auf die individuelle Betreuung konzentrieren. Verkürzt werden, beziehungsweise teils komplett entfallen sollenGespräche und Termine mit den Ämtern.
Deutschland debattiert über mehr Sanktionen
Auch bei Sanktionen will die Expertengruppe die Daumenschrauben deutlich lockern. Neun von zehn sollen wegfallen. Künftig soll es sie nur noch geben, wenn „das Vertrauen gebrochen ist“. Davon sollen vor allem Kranke und sogenannte „arbeitsmarktferne“ Personen profitieren. Die Sanktionen für Arbeitsfähige sollen jedoch beibehalten werden, da sie nach wie vor als wirksam angesehen werden.
Im Vergleich zur Debatte um das Bürgergeld in Deutschland erscheinen die dänischen Ideengeradezu konträr. Hierzulande will man eher die Sanktionen verschärfen oder Leistungen ganz streichen. So will die Ampel-Koalition härtere Strafen bei Sozialmissbrauch und Schwarzarbeit. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte im ARD-Sommerinterview, es gehe darum, „dass niemand sich drücken kann, dass man mitarbeitet, um die eigene Arbeitslosigkeit zu überwinden“.
CSU-Generalsekretär Martin Huber forderte die Ampel sogar auf, das Anfang vergangenen Jahres eingeführte Bürgergeld wieder abzuschaffen. „Stattdessen sollte die bewährte Sozialhilfe wiedereingeführt werden.“ Aus der FDP und der Union kamen unterdessen Forderungen, das Bürgergeld für ukrainische Flüchtlinge zu streichen. Gleichzeitig warnte die Bundesagentur für Arbeit vor Kürzungen im Sozialetat.Bürgergeld Streit 15.37
Reform der Arbeitslosenpolitik würde Bürokratie abbauen
Könnte das neue dänische Modell Vorbild sein? Thustrup Kreiner sieht in seinen Reformvorschlägen einen echten Mehrwert. „Es gibt ein großes Potenzial, das derzeitige Einheitssystem durch einen neuen Ansatz zu ersetzen, der die Bedürfnisse des einzelnen Bürgers in den Mittelpunkt stellt.“ Mit dem derzeitigen System in Dänemark rechnet er ab. Man habe eine „zentralisierte, detailorientierte Beschäftigungsinitiative aufgebaut“, in der die Menschen „gejagt“ würden. „Das System ist vor allem deshalb so komplex und undurchsichtig, weil die Bevormundung zu Unzufriedenheit führt“, zitiert die Zeitung „Politiken“ den Wirtschaftsprofessor.
Die Reform würde Bürokratie abbauen, da deutlich weniger Ressourcen für Beratung und Sanktionen aufgewendet werden müssten. Etwa die Hälfte der Kosten gehe für die Verwaltung drauf, schreibt die Zeitung „Berlingske“. Das sei mehr als für die Integration in den Arbeitsmarkt allein.
Kritik von Verbänden – Ergebnis nach dem Sommer erwartet
Dennoch wird nicht erwartet, dass sich die geplante Mega-Reform negativ auf die Arbeitslosigkeit in Dänemark auswirkt. Ganz im Gegenteil. Für 2030 wird sogar ein sehr kleiner positiver Effekt erwartet: 500 Vollzeitbeschäftigte mehr.
Doch es gibt auch Kritik. Die dänischen Kommunen etwa sehen es kritisch, dass so viel Geld eingespart werden soll. Ähnlich sieht es der Gewerkschaftsdachverband FH. „In Dänemark gibt es einen hohen Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften. Es ist unverständlich und kurzsichtig, daran zu sparen, Arbeitslose fit für den Arbeitsmarkt zu machen“, sagt Nanna Højlund vom FH. Der Verband befürchtet, dass die neuen Empfehlungen die Arbeitslosen „praktisch aller Rechte berauben“.
Die nun erarbeiteten Vorschläge des Expertengremiums sollen in die Arbeit der Regierung einfließen. Ein Ergebnis wird nach der Sommerpause erwartet. „Nun freue ich mich – wie auch der Rest der Regierung – darauf, mich mit dem umfassenden Bericht zu befassen“, sagte Arbeitsministerin Ane Halsboe-Jørgensen. Das letzte Wort hat allerdings das Parlament. Die SVM-Regierung verfügt jedoch über eine breite Mehrheit im Folketing.
Quellen: Pressemitteilung Expertengruppe, Bericht Expertengruppe (Zusammenfassung), Arbeitsministerium Dänemark, „Avisen Danmark“, TV2, Danmarks Radio, „Berlingske“