Eines ist sicher: Ein nächstes Mal wird es geben. Haben wir genug gelernt aus der Corona-Pandemie? Darüber spricht der Virologe Christian Drosten mit dem Journalisten Georg Mascolo in einem Buch.
Kaum ein Experte stand während der Corona-Pandemie so im Fokus der Öffentlichkeit wie Christian Drosten. Sehr viele Menschen und auch die Politik maßen den Einschätzungen des langjährigen Experten für Coronaviren große Bedeutung zu. Doch auch Anfeindungen gab es.
Im Buch „Alles überstanden?“ blickt der Virologe im Gespräch mit Georg Mascolo, dem früheren Chefredakteur des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“, zurück auf die Jahre der Pandemie.
Um das politische Krisenmanagement und die Rolle von Wissenschaft und Medien geht es dabei ebenso wie um die Herkunft von Sars-CoV-2 und die Frage: Wie verhindern wir die nächste Pandemie? „Ein überfälliges Gespräch zu einer Pandemie, die nicht die letzte gewesen sein wird“, verspricht der Untertitel. Was lief gut, was lief schlecht? Welche Entscheidungen waren übertrieben, welche wurden zu spät getroffen? Fragen wie diesen haben sich Drosten und Mascolo in dem Gespräch gewidmet.
Vieldiskutierte Schulschließungen
Beim Thema der Schulschließungen geht unter anderem darum, welche Entscheidung zu welcher Zeit in welchem Kreis fiel. Um potenzielle negative Folgen der Schließungen sei es schon anfangs gegangen, sagt Drosten – „aber zugegeben weniger um verpasste Bildungschancen oder andere Folgen für Kinder“. Im Fokus habe vielmehr gestanden, dass viele junge Eltern gerade im wichtigen Medizin- und Pflegebereich nicht zur Arbeit kommen können, wenn ihre Kinder nicht in die Schule oder die Kita gehen können.
Mascolo erklärt, dass die Emotionalität bei der Frage der Schulschließungen auch durch ein damit verbundenes größeres Thema entstand: die Verteilung der Lasten während der Pandemie. „Der Satz „Vor der Krankheit sind alle gleich“ könnte kaum weiter von der Realität entfernt sein. Während der Pandemie traten die sozialen Ungerechtigkeiten besonders deutlich zutage.“
Prävention mindert Vorsicht
An anderer Stelle erläutert Drosten, warum das in Deutschland vergleichsweise glimpflich verlaufende Frühjahr 2020 wohl für ein Präventionsparadox sorgte, das die Welle ab dem Herbst umso heftiger ausfallen ließ. „Man sieht die Krankheiten nicht, die man verhindert hat, und ist dann blind für die Folgen, die ohne Präventionsmaßnahmen eingetreten wären“, so der Virologe. Auch nach der Pandemie schlage das Präventionsparadox wieder zu. „Jetzt haben viele den Ernst der damaligen Lage vergessen und wollen suggerieren, die Maßnahmen seien in Wirklichkeit alle übertrieben gewesen“, so Drosten.
Wo kam das Virus her?
Ausführlich gehen die Autoren auf die noch immer – und wohl auch in Zukunft – unklare Herkunft von Sars-CoV-2 ein. „Für mich ist die Frage nach der Herkunft des Coronavirus eines der großen naturwissenschaftlichen Rätsel unserer Zeit“, so Mascolo. „Hat die Natur oder der Mensch diese Büchse der Pandora in Wuhan geöffnet?“ Diese Frage sei politisch ungeheuer aufgeladen und er halte es für unverantwortlich, dass China die Suche nach dem Ursprung des Virus bis heute blockiere.
Auch der Weg Chinas in der Pandemie wird von Mascolo kritisiert. Aufarbeitung werde es in China sicher nicht geben – doch auch in Deutschland mangelt es Mascolo zufolge noch daran. In Schweden sei der finale Report schon im Februar 2022 vorgelegt worden. Auch Großbritannien stelle sich „einer rigorosen Aufarbeitung“ mit einer dafür gegründeten Kommission.
„Würde mich wieder der Verantwortung stellen“
„Würden Sie sich eigentlich noch einmal so in die Öffentlichkeit begeben?“, wird Drosten von Mascolo auch gefragt. „Es waren Millionen Menschen in Gefahr, sollte ich mich da raushalten, nur weil ich zwischendurch auch mal verprügelt wurde?“, antwortet Drosten. „Ich würde mich in einer vergleichbaren Situation, wenn ich einer der wenigen Experten wäre, die etwas Wesentliches beizutragen haben, wieder der Verantwortung stellen.“
„Alles überstanden?“ ist dank des Gesprächscharakters ein außerordentlich gut und spannend zu lesendes Buch, das neben einer Chronologie zu den für Deutschland bedeutsamen Ereignissen und Entscheidungen auch ein sehr ausführliches Quellen-Register beinhaltet. An vielen Stellen rücken die beiden Autoren schiefe Bilder und Mythen gerade, wobei stets auch erklärt wird, wie sie entstanden. Von persönlichen Erfahrungen und Eindrücken geprägt bietet es einen informativen Schritt der Aufarbeitung.