Wenige Tage vor der ersten Runde der Parlamentswahl in Frankreich zeichnet sich eine hohe Wahlbeteiligung ab. Etwa 250.000 im Ausland lebende Franzosen hätten online bereits ihre Stimme abgegeben, teilte die zuständige Behörde am Mittwoch mit. Innerhalb Frankreichs – wo weder Online- noch Briefwahl möglich sind – haben nach Angaben des Innenministeriums rund 1,4 Millionen Wähler eine Vollmacht ausgestellt, damit jemand anders für sie wählen geht.
Nach Umfragen ist mit einem Anstieg der Wahlbeteiligung von knapp 48 auf bis zu 64 Prozent zu rechnen. Der rechtspopulistische Rassemblement National (RN), der in den Umfragen mit 36 Prozent vorn liegt, rechnet mit Protesten nach der Bekanntgabe des Ergebnisses. „Wenn wir gewinnen, dann wird es Demonstrationen in den Straßen geben, und dafür werden die Linksextremen verantwortlich sein“, sagte die RN-Gründerin Marine Le Pen dem Sender France 2.
Der Pariser Polizeichef Laurent Nunez erklärte, die Sicherheitskräfte seien auf mögliche Demonstrationen und Ausschreitungen vorbereitet seien.
Unterdessen zeigte die konservative Partei der Republikaner weiter Auflösungstendenzen. Der frühere Vizeparteichef Aurélien Pradié kündigte die Gründung einer neuen Partei an, für die 30 Kandidaten antreten würden, unter ihnen zehn, die bislang für die Republikaner in der Nationalversammlung saßen. „Die Partei ist tot, sie erreicht ihre Wähler nicht mehr“, sagte er der Zeitung „La Dépêche“.
Die Schwesterpartei der CDU/CSU ist faktisch bereits gespalten, seit der bisherige Parteichef Eric Ciotti mit dem RN ein Wahlbündnis eingegangen ist. Der Ciotti-Flügel hat etwa 60 Kandidaten aufgestellt, unter ihnen allerdings nur eine ehemalige Abgeordnete der Republikaner.
Die übrige Parteiführung, die ein solche Bündnis ablehnt, versuchte bislang vergeblich, Ciotti aus seinem Amt und der Partei auszuschließen. Am Mittwochabend endet die Frist, bis zu der Ciotti aufgefordert war, eine Sitzung der Parteiführung einzuberufen, die dann über seinen Ausschluss abstimmen könnte. Ciottis Umfeld ließ jedoch bereits erkennen, dass er weiter mit juristischen Mitteln versuchen wolle, dieses zu verhindern. Derzeit sehen sich beide Flügel als die eigentlichen Vertreter der Republikaner und nutzen auch deren Logo.
Bei einer ersten TV-Debatte zwischen Regierungschef Gabriel Attal, RN-Chef Jordan Bardella und dem Linkspopulisten Manuel Bompard stritten die Kandidaten am Vorabend unter anderem über die Rücknahme der umstrittenen Rentenreform. Bardella wurde zudem für die von ihm geplante Diskriminierung von Franzosen mit doppelter Staatsangehörigkeit kritisiert. „Es gibt 3,5 Millionen Franzosen, die sich durch Ihr Vorhaben stigmatisiert fühlen“, sagte Attal. „Ihre Botschaft lautet, dass Franzosen mit doppelter Staatsangehörigkeit keine echten Franzosen und deswegen nicht vertrauenswürdig seien“, fügte Attal hinzu.
Bardella erkärte, dass er lediglich sensible Posten gegen „mögliche Einmischung aus dem Ausland“ schützen wolle. „Wollen Sie vielleicht einen Franko-Russen als Chef eines Atomkraftwerks?“, fragte der RN-Chef.
Nach den jüngsten Umfragen liegt der RN bei etwa 36 Prozent, gefolgt von der linksgerichteten Neuen Volksfront mit 28,5 Prozent. Das Lager von Präsident Emmanuel Macron liegt abgeschlagen bei 21 Prozent. Macron, der bis 2027 gewählt ist, hat einen Rücktritt mehrfach ausgeschlossen.
Der Präsident hatte nach der Niederlage seiner Partei bei der Europawahl am 9. Juni überraschend vorgezogene Parlaments-Neuwahlen am 30. Juni und 7. Juli ausgerufen. Damit löste er auch im eigenen Lager Kritik aus. Viele seiner bisherigen Weggefährten werfen ihm vor, den Rechtspopulisten ohne Not den Weg an die Macht zu ebnen.