„40 Gründe, warum Deutschland abschmiert“: Der Fischstäbcheneffekt: Uns fehlt die Freude an Verboten

Das Verbot ist in Verruf geraten: Viele wittern sofort Freiheitsberaubung, den Polizeistaat. Dabei machen die meisten Verbote das Leben schöner.

Dieser Text stammt aus dem Buch „Wir dürfen jetzt nichts überstürzen! 40 Gründe, warum Deutschland abschmiert“ von Marcus Werner

Wie finden Sie Verbote? So ganz generell? Man könnte sagen: Sie machen einem das Leben leichter. Denn wenn man weniger machen darf, hat man sich schneller entschieden, was man von dem, was noch übrig ist, unternehmen könnte. Meine persönlichen Lieblingsverbote sind die, die andere zu meinen Gunsten einschränken. Und nach anekdotischer Evidenz (ich liebe diese in der Pandemie neu aufgekommene Kategorie der Beweisführung nach eigener Beobachtung und Hörensagen), also nach anekdotischer Evidenz behaupte ich: Wir alle lieben Verbote, die uns begünstigen, weil andere etwas nicht mehr dürfen. Buch 40 Gründe warum Deutschland abschmiert

Einfachstes Beispiel: „Du darfst das Fischstäbchen nicht komplett aufessen. Ihr seid zwei Geschwister. Du hattest schon sieben. In der Packung sind aber 15. Also wird das eine geteilt.“

Wenn Sie dank dieser Ansage ein halbes Fischstäbchen mehr abbekommen, dann kommt Ihnen dieses Mampfverbot entgegen. Sie sind Verbotsprofiteur. Und je nach Lebensphase bedeutet dieses halbe Fischstäbchen die ganze Welt.

Sehen wir uns mal einfach als Verbotsprofiteure

Die meisten Verbote machen das Leben also schöner. Man muss sich nur eben als Verbotsprofiteur sehen. Dieser Logik folgend, wären Verbote umso schöner, je mehr sie die Beschränkten beschränken. So zu denken, müssten wir uns echt mal angewöhnen. Nur für ein oder zwei Wochen, so aus Fun. Denn wir Deutschen gucken aus reinem Drang zum Unglücklichsein vorrangig auf die Seite der durch das Verbot Eingeschränkten. Um dann zu sagen: „Ist es schon wieder so weit in diesem Land?“, oder: „Da war wohl wieder jemand linksgrün versifft.“ Das ist bei uns kulturell bedingt, nehme ich an.

Und damit sind wir selbstverständlich beim Rauchen. Und mit dem Rauchen verhält es sich etwas diffuser als bei panierten Seelachsquadern. In anderen Ländern kennt man bei diesem Thema keine Gnade: Da dürfen Gäste von Restaurants und Cafés auch draußen nicht mehr rauchen. Passt das zu Deutschland? Lassen Sie uns die hierzulande übliche Toleranz von Drogensucht gemeinsam noch einmal durchdenken (sollten Sie Raucher sein, ziehen Sie sich vorab bitte schnell noch eine rein).Raucherregeln weltweit 19.40

Denken wir mal die Toleranz von Drogensucht gemeinsam durch

Also: 

1. Würden wir beim Warten auf die Straßenbahn einem Passanten gegen seinen Willen und ohne großes Bemühen um Ankündigung eine halbe Banane in den Mund quetschen, wir stünden wohl ziemlich allein auf weiter Flur, ginge es ums Gutheißen. Die allermeisten Betroffenen würden zu Recht fragen: „Waff foll der Feiff?“ Dabei sind Bananen eigentlich gesund (Kalium). Anderen Menschen gegen ihren Willen todbringende Substanzen in Form von Rauch in die Atemwege zu pusten, ist nach dieser Logik erst recht nicht nett (Teer). 

2. Dafür muss es schon Gründe geben, von denen man sagt: „Die sind ja gut.“ Ist der Drang zum Stillen des eigenen Suchtdrucks (Nikotin) ein solch guter Grund? In welchen anderen Fällen wäre es denn akzeptabel, andere im Zuge des eigenen Drogenkonsums gesundheitlich in Mitleidenschaft zu ziehen? Kinder, es wäre zu krass, wenn es da ein Beispiel gäbe. Doch selbst der aus einer vorab ungelenk transportierten und auf dem Bahnsteig in Feierlaune geöffneten Bierflasche herausspritzende Schaum, der sich dann auf des unbeteiligten Nachbarn Schoß ergösse, wäre eine unter allen Umständen zu vermeidende Zumutung. Dabei wäre dieser Vorfall gesundheitlich völlig unbedenklich (außer vielleicht bei bestimmten Arten von Neurodermitis, kombiniert mit einer Hopfenallergie).Raucherkneipen 17.02

3. Anders als bei der Angewohnheit, Fremden eine halbe Banane peroral (also durch die Zähne in die Fresse) einzuführen, hat allerdings das Verabreichen von krebserregenden Stoffen pulmonal (Lunge) Tradition. Wieder so was Kulturelles.

4. Die Frage ist also: Darf man todbringende Traditionen verbieten? Ich kenne nur zwei Gruppen, die dagegen sind: Nikotinsüchtige und die, die sich an den Nikotinsüchtigen dumm und dämlich verdienen.

5. „Aber der Rauch zieht draußen doch sofort ab.“ Im Sommer saß ich in einem Berliner Tapas-Restaurant auf der Terrasse. Es waren gut 28 Grad, es war windstill, weshalb die anderen Gäste pro Zigarettenzug minutenlang im Lungeninhalt der anwesenden Raucher saßen. Da habe ich vernommen, wie ein Typ, der ein Student gewesen sein könnte, sich ein Herz nahm und eine der beiden Damen am Nachbartisch (beide etwa im Alter von 52 ­ Jahren) ansprach, während er sich zu einem Kavalierslächeln zwang: „Et nutzt mir nüschte, wennse Ihre Scheißzijarette schön weit weg halten von Ihrer Bekannten da, wenn ick die Glut gleich ins Auge jedrückt krieje!“ Die Antwort der Guten: „Wieso? Wir sitzen doch draußen.“

Es gibt kein Argument für zumutbares Passivrauchen

Das Argument könnte so gut sein, wenn es nur nicht so hinken würde. Machen wir aus unserem Herzen keine Mördergrube: Es gibt kein einziges durchschlagendes Argument, das für die Zumutbarkeit des Passivrauchens draußen spricht. Außer dem deutschen Argument: „Hast du ein Problem mit mir? Dann hau doch ab und nerv mich nicht.“

Bielefeld, gleicher Sommer, italienisches Restaurant, wir umzingelt von vier Rauchern an zwei Tischen rechts und links neben uns. Ich frage den Kellner höflich, aber bestimmt: „Haben Sie vielleicht bitte einen Tisch irgendwo anders?“ Des Gastronomen Antwort: „Man wird ja wohl noch draußen rauchen dürfen.“ Ich, gespielt amüsiert, aber mit steigendem Puls: „Ich habe doch auch nur um einen anderen Tisch gebeten.“

Hören Sie da beim Kellner auch diesen latenten Polizeistaatvorwurf? Dieses „Man wird ja wohl noch“? Wer nicht gestört werden möchte, stört. Aus irgendwelchen kulturellen Gründen.STERN PAID Interview Izana Florek19:57

Deshalb bringen Verbote Befreiung

Genau deshalb sind Verbote zu den eigenen Gunsten so wunderbar befreiend. Ich nenne dieses Phänomen den Fischstäbcheneffekt. Weil die Freiheit des durch das Verbot Geschützten größer wird. Ist das nicht toll? Verbote sind Selbstbehauptungshilfen für die anderen. Solche Verbote bringen Freiheit. Der Mehrheit. Herrlich. Wir müssen nur unsere Haltung ändern, ohne uns dabei spießig zu finden.

In meinem Kölner Fitnessstudio durfte in der Gastronomie auch drinnen noch geraucht werden. Der Rauch zog auf die Trainingsfläche. Ohne Witz – Sport in giftiger Luft. 

Ich: „Kann man das nicht ändern?“ 

Trainer: „Man wird ja wohl noch …“ 

Ein Dreivierteljahr später war das Ganze gesetzlich verboten. Meine Brust schwoll da ganz ohne Liegestütze. In einer Gesellschaft, in der gegenseitige Rücksichtnahme vielen als weicheierig gilt, geht es ja nur mit demokratisch legitimierten Gesetzen. Zum Glück funktioniert das gelegentlich.

Was ich eigentlich sagen will: Verbote für die einen bedeuten nicht immer, aber ganz oft mehr Freiheit für viele. Eigentlich eine gute Sache. Der größte Fehler der Grünen ist, dass es der Partei nicht gelingt, ihre ganzen kunterbunten Verbotsideen in Angebote für mehr Freiheit umzumünzen. Der Habeck könnte dann vorbeikommen und unten die Heizung rausreißen, und alle würden vor Glück weinen und ihm oben noch einen Kaffee anbieten.

Also, da müssen wir hinkommen, Leute! Aber die Grünen essen offenbar keine Fischstäbchen.