Krankheit, Personalmangel – in Kitas herrscht Notstand. Deshalb greifen viele Eltern für die Betreuung ihrer Kleinkinder auf Tageseltern zurück. Doch auch sie haben täglich mit Herausforderungen zu kämpfen. Ein Tagesvater berichtet.
Betreuung, Pflege und Erziehung. Das sind die Hauptaufgaben von Tagesvater Nikolai Hebben. „Ich bin Spielgefährte, Ideengeber, Sicherheitsbeauftragter und Schiedsrichter. Ich muss mal trösten, mal ein Machtwort sprechen und viele Fragen beantworten“, sagt der 44-Jährige aus Iserlohn, der selbst Vater einer sechsjährigen Tochter ist. Hebben trägt eine schwarze, kurze Hose, ein schwarzes T-Shirt und schwarze Sandalen. Seine langen roten Haare hat er zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammengebunden. Aktuell betreut der Tagesvater fünf Tageskinder – die sogenannten „Takis“, wie er sie selbst nennt – zwischen 15 Monaten und drei Jahren. Seine eigene Tochter wird nach der Schule von ihm mitbetreut.
Nach Zahlen des Statistischen Bundesamts gibt es deutschlandweit rund 41.000 Kindertagespflegepersonen. Nikolai Hebben ist einer davon. Tageseltern kümmern sich um die Betreuung und Erziehung kleiner Kinder unter drei Jahren. Die Kindertagespflege ist eine gesetzlich anerkannte Betreuungsform und der in Kindertagesstätten, den sogenannten Kitas, gleichgestellt. Im Jahr 2023 gab es erstmals mehr als 60.000 Kindertageseinrichtungen in Deutschland. Über 856.600 Kinder unter drei Jahren sind derzeit in einer Tagesbetreuung.
Tagesväter sind selten
Die Aufgaben von Kindertageseltern sind vielfältig. „Ich bekoche die Takis jeden Tag frisch, das stellt zeitlich den größten Einzelposten dar“, sagt Hebben. Auch die Pflegearbeit rund um Windeln wechseln, umziehen und waschen sei sehr zeitaufwendig. „Bei Spiel und Bildung setze ich konzeptionell stark auf kindliche Neugier und Forscherdrang, was mich mehr zum Beobachter macht“, erklärt er. Hinzu komme als Selbstständiger die Büro- und Verwaltungsarbeit, die mit einer Stunde pro Kind und Woche zusätzlich durch das Jugendamt vergütet wird. „Das kommt auch ganz gut hin.“ Eine weitere wichtige Aufgabe ist die Kommunikation mit den Eltern, dem Träger und dem Jugendamt.
Hebben ist seit Dezember 2019 Tagesvater. „Die Idee kam mir, als meine Frau und ich als beide Vollzeit-Angestellte oft unsere in Betreuung befindliche Tochter abholen und zu Hause betreuen mussten“, erzählt der Iserlohner. Heute bleibe die gemeinsame Tochter im Krankheitsfall zu Hause und werde entweder von ihm parallel zu seiner Arbeit mitbetreut oder, wenn intensivere Pflege nötig werde, von seiner Frau, die dann Kinderkrankentage nimmt.
Aktuell darf eine Kindertagespflegeperson höchstens fünf Kinder gleichzeitig betreuen. Hebben kritisiert diese starre Vorgabe. „Mein Wunsch wäre, die Zahl von fünf festen Tageskindern zwar beizubehalten, aber selbstständig entscheiden zu dürfen, ob ich mir ein sechstes Kind vertretungsweise zutraue. Damit hätten die Eltern viel mehr Sicherheit und wir Tageseltern könnten uns ein Vertretungsnetzwerk aufbauen“, erklärt Hebben.
Tageseltern: keine gesicherte Vertretung im Krankheitsfall
Denn die derzeitigen Krankheitsfälle, von denen vor allem Kitas und Kindergärten betroffen sind, machen auch vor Kindertagespflegeeinrichtungen nicht Halt. „In der Kita können die Betreuer und Betreuerinnen untereinander die Gruppen wechseln und sich gegenseitig unterstützen“, sagt Hebben. In der Kindertagespflege hingegen sei man auf sich allein gestellt.
Hebben war im vergangenen Jahr lediglich zwei Tage krankheitsbeding ausgefallen, dieses Jahr waren es bisher zweieinhalb. „Wenn ich ausfallen sollte, gibt es drei Möglichkeiten: Erstens: Ich frage in meinem Netzwerk nach möglichen freien Vertretungsplätzen und vermittle zu den Eltern. Diese müssen das dann dem Träger, hier der AWO, melden. Zweitens: Die Eltern kümmern sich selbst um die Vertretung. Drittens: Die Eltern fragen beim Träger an.“
Kindertagespflege: maximal fünf Kinder pro Gruppe
Im schlimmsten Fall ist keine der drei Optionen erfolgreich. Eine Kindertagespflegeperson darf maximal fünf Tageskinder auf einmal betreuen, für einen Vertretungsplatz müsste also ein Platz frei sein. Dieser Vertretungsplatz wird jedoch nur mit 100 Euro pro Monat vergütet, solange er ungenutzt ist. Ein Kind mit 35 Stunden pro Woche würde hingegen 900 Euro einbringen. „Einen Vertretungsplatz freizuhalten ist also kein gutes Geschäft“, resümiert Hebben.
Dass die Vertretung im Krankheitsfall aktuell ein Problem darstelle, bestätigt auch der Bundesverband für Kindertagespflege. Heiko Krause, Geschäftsführer des Verbands, sagte dem stern: „Noch immer wird nicht überall die gesicherte Vertretung im Krankheitsfall verwirklicht.“ Die Aufgabe, eine Ersatzbetreuung im Krankheitsfall zu organisieren, könne nicht allein den Kindertagespflegepersonen überlassen werden. Nach Krauses Auffassung müssten die kommunalen Jugendämter sicherstellen, dass bei Krankheit und Urlaub der Kindertagespflegeperson eine Vertretung zur Verfügung steht. Manche Jugendämter kämen dieser Verantwortung aber nicht nach. „Krankheit lässt sich leider nicht planen“, sagt Krause.
Was tun im Krankheitsfall?
Seiner Einschätzung nach scheitere die Umsetzung von Vertretungsmodellen am Finanziellen. „Es kostet viel Geld, zum Beispiel für Springer, Stützpunkte oder Freihalteplätze“, sagt er. Diese seien aber unerlässlich, damit Eltern sicher sein können, dass ihre Kinder auch bei Krankheit der Kindertagespflegeperson gut betreut werden. Bei Stützpunkten handelt es sich um Räume, die der Jugendhilfeträger, beispielsweise das Jugendamt oder die Gemeinde, zur Verfügung stellt. „Dorthin bringen die Eltern die Kinder, wo diese dann durch die Vertretungs-Kindertagespflegeperson betreut werden“, erklärt Krause. Der Unterschied zu den „Springern“ liege darin, dass die Vertretung bei diesem Modell in den Räumen der erkrankten Kindertagespflegeperson betreue.
Erziehung bei Überforderung 10.10
Eine Alternative dazu ist das Konzept der Freihalteplätze. „Das bedeutet, dass die Kindertagespflegeperson zum Beispiel einen Betreuungsplatz nicht besetzt, aber der Jugendhilfeträger diesen leeren Platz bezahlt“, sagt Krause. Im Krankheitsfall werden dann die Kinder auf die freigehaltenen Plätze von fünf anderen Tageseltern verteilt. Welches Modell besser geeignet sei, hänge von den regionalen Gegebenheiten ab. „Wichtig ist bei jedem Modell, dass die Kinder die Vertretungs-Kindertagespflegeperson schon vorher kennenlernen können. Dazu sollte es bezahlte Kontaktstunden geben“, fordert Krause.
Die Kosten für Tagespflege variieren
Die Bezahlung stelle ein weiteres Problem dar. Da man als Tagesmutter oder Tagesvater in der Regel freiberuflich tätig ist, kann der Betreuungspreis selbst bestimmt werden. Die Vergütung, die verlangt werden kann, hängt von Qualifikation, Erfahrung und Region ab und bewegt sich meist in einem Rahmen von drei bis acht Euro pro Kind und Stunde. Damit kann das Bruttoeinkommen einer Kindertagespflegeperson bei fünf Kindern mit je 35 Wochenstunden zwischen 2.900 und 5.700 Euro liegen. Eine weite Spanne. „Zudem dürfen viele Tageseltern Essensgeld verlangen, andere hingegen nicht. Auch die anfallenden Kosten sind sehr unterschiedlich“, kritisiert Hebben. So hätten Tageseltern, die eigene Räume besitzen, erheblich weniger Ausgaben als solche, die für ihre Arbeit Räume anmieten müssen.
Tageseltern werden entweder direkt durch die Eltern der zu betreuenden Kinder entlohnt oder durch das Jugendamt. Letzteres hat den Vorteil, dass regelmäßige und geregelte Bezahlung gewährleistet ist, zusätzliche Kosten berücksichtigt werden und es mögliche Förderleistungen und Unterstützung bei Fort- und Weiterbildungen gibt.
„Mit meiner Vergütung liege ich im Mittelfeld und kann das meiste davon durch die Betreuung in meinem Haus behalten. Viele Kolleginnen und Kollegen hingegen kommen mit den Kosten für Wohnen, Strom und Wärme kaum noch über die Runden. Hier muss sich etwas ändern“, fordert Hebben. Er wünscht sich bundesweit einheitliche Regelungen. „Wir Tageseltern stehen als Selbstständige ohne Arbeitslosenversicherung da, dabei könnten wir in diese genauso einbezahlen, wie in Renten- und Krankenversicherung. Das würde mehr Sicherheit geben und den Einstieg neuer Kolleginnen und Kollegen erleichtern.“ Zudem gäbe es in Regionen mit geringerer Nachfrage eine Bevorzugung der Kitas. „Hier sollten stattdessen Kapazitäten im Krippenbereich zugunsten der Kindertagespflege in die Ü3-Betreuung verlegt werden, die wir nicht bedienen dürfen.“
Vorurteile gegenüber männlichen Erziehern und Tagesväter
Die Zahl der Tageseltern sank 2023 im dritten Jahr in Folge. Um dem entgegenzuwirken, wünscht sich Hebben auch mehr männliche Erzieher – und das Aufräumen mit Vorurteilen. „Wie einst die Frauen, die in klassische Männerberufe vordrangen, haben auch wir Tagesväter oder Erzieher mit Vorurteilen, sogar Diskriminierungen zu kämpfen“, kritisiert Hebben. „Auf der einen Seite gibt es jene, die glauben, Männer wären nicht in der Lage, Kinder anständig betreuen, auf der anderen Seite gibt es sogar die extremistischere Ansicht, Männer stellen generell eine Gefahr dar und müssten vor Kindern ferngehalten werden. Das sind zum Glück Minderheitsmeinungen, wenngleich besonders laute und unangenehme“, stellt Hebben klar.
Aktuell sind nur knapp vier Prozent der Erzieher in der Kindertagespflege männlich. Ähnlich wie Frauen in Männerberufen habe er das Gefühl, männliche Erzieher und Tageseltern müssten sich mehr anstrengen, um ernst genommen zu werden und mit viel Transparenz um Vertrauen werben. „Diese Probleme ließen sich mindern, wenn man, ähnlich den Förderungen von Mädchen bei MINT-Fächern, Jungen in Schulen Sozial- und Pflegeberufe näherbringen würde.“