Sean Penn und Dakota Johnson in einem Taxi: Mehr gibt es im Kammerspiel „Daddio“ nicht zu sehen – muss es auch nicht.
Wenn sich ein Film wie Christy Halls Regiedebüt „Daddio – Eine Nacht in New York“ (Kinostart: 27. Juni) auf zwei Figuren konzentriert, die sich noch dazu lediglich miteinander unterhalten, gibt es kein narratives Netz, keinen erzählerisch doppelten Boden. Die Option, etwaige Längen mit banalen, aber effektheischenden Sequenzen zu kaschieren, ist nicht gegeben.
Stattdessen ist es an der schauspielerischen Leistung, an der Chemie zwischen den Protagonisten gelegen, ob man ihnen nun 100 Minuten lang an den Lippen hängt – oder zwischendrin immer wieder den latenten Drang verspürt, die Nachrichten auf seinem Handy zu checken. Eine Krux, der sich im Film auch Dakota Johnson (34) bei ihrer Taxifahrt mit Sean Penn (63) gegenübersieht.
Gemeinsam einsam? Darum geht es
Ohne ein Wort zu verlieren, steigt eine junge Frau (Johnson) in ein Taxi. Auch die Zieladresse wird dem Fahrer (Penn) per Zettel in die Hand gedrückt, ehe das Auto anrollt und der Fahrgast verträumt durchs Fenster und auf die nächtliche Skyline des Big Apple blickt. Doch was wie eine typisch distanzierte Taxifahrt, eine schnöde Transaktion zwischen Dienstleister und Kunde beginnt, soll schon bald zum wechselseitigen Seelenstriptease werden.
Erst zögerlich, mit zunehmender Fahrzeit aber immer offenherziger steht sie dem abgebrühten Fahrer, der zwischen charmant, chauvinistisch und etwas aus der Zeit gefallen schwankt, Rede und Antwort. Dessen Menschenkenntnis nach Jahrzehnten hinter dem Steuer ist zwar messerscharf – seine direkte Art entpuppt sich im Laufe der Reise aber zunehmend als Schutzreflex. Sich mit den Problemen anderer zu beschäftigen, hilft schließlich am besten dabei, die eigenen zu verdrängen.
Zwei Welten kollidieren
Früh beginnt der Taxifahrer, seinen Fahrgast zu analysieren. Was sie an seiner Hobbypsychologie am meisten stört, ist die Tatsache, dass er damit voll ins Schwarze trifft. Ja, sie führt eine Beziehung mit einem verheirateten Mann. Stimmt, sie hat der Affäre ihre Liebe gestanden. Und abermals richtig: Dessen Reaktion auf das „böse L-Wort“ ist der Grund dafür, dass sie während der Fahrt immer wieder heimlich auf ihr Handy schaut und zwischen den unzähligen Sextalk-Nachrichten sehnsüchtig auf ein „Ich dich auch“ wartet.
Gegen Mitte des Films – die beiden stecken gerade im Stau und können sich ausnahmsweise von Angesicht zu Angesicht unterhalten – verkommt einer von Penns Monologen über die typische Beziehung zwischen Mann und Frau augenscheinlich zur reinen „Mansplaining“-Tirade. Zumal der Film in dieser Szene Johnsons Figur nicht die Genugtuung einer verbalen Retourkutsche gönnt, sondern sie arg passiv auf dem Rücksitz hocken lässt.
Besagte Retourkutsche stellt sich im Laufe des Films tröpfchenweise ein. Dann nämlich, wenn klar wird, was hinter den Aussagen steckt: Die verbitterte Weltanschauung eines Mannes, der so ziemlich jede seiner Lebensentscheidungen bereut, ja noch nicht einmal seinen eigenen Namen ausstehen kann und insgeheim hofft, doch noch irgendwie die Kurve zu kriegen – im Grunde aber weiß, dass es dafür längst zu spät ist.
Dass der ausdrucksstarke Penn in der Lage ist, einen Film ausschließlich mit seiner Mimik zu tragen, verwundert nicht. Doch auch Johnson liefert in der Mischung aus Kammerspiel und Charakterstudie, die mindestens so viele Fragen offen lässt, wie sie beantwortet, eine starke Leistung ab. Bei ihr schwankte das im Laufe ihrer Karriere; nicht zu Unrecht gescholtenen Darbietungen in „Fifty Shades of Grey“ oder zuletzt „Madame Web“ steht überzeugendes Schauspiel in der „Suspiria“-Neuverfilmung und „The Peanut Butter Falcon“ gegenüber. Oder anders ausgedrückt: Independent steht Johnson besser zu Gesicht als Blockbuster – den Beweis erbringt sie nun einmal mehr mit „Daddio“.
Für wen ist der Film geeignet?
Wer eine Karte für „Daddio“ kauft und sich trotz der Prämisse über die gemächliche Erzählweise wundert, hat sich die womöglich verspürte Langeweile im Kinosaal selbst zuzuschreiben. Der Film steht in bester Tradition vergleichbarer Werke und macht zwar nicht vieles neu, aber dennoch das meiste richtig.
Wer die „Before“-Reihe mit Ethan Hawke (53) und Julie Delpy (54) liebt, sein Weltbild nach der herausragenden Romanverfilmung „The Sunset Limited“ mit Samuel L. Jackson (75) und Tommy Lee Jones (77) hinterfragte oder sich bereits in „No Turning Back“ gerne mit Tom Hardy (46) auf einer Autofahrt in eine ungewisse Zukunft befand, wird auch „Daddio“ viel abgewinnen können. In letztgenanntem Beispiel gelang es Hardy übrigens gar, gänzlich allein im Wagen für Gänsehaut zu sorgen.
Fazit:
Was in „Daddio“ als Fahrt zu einer unbedeutenden Adresse in New York City beginnt, endet mit einer Reise zu sich selbst. Beide Figuren, ihre Entscheidungen und Weltanschauungen, sind streitbar – genau darin liegt der Reiz. Und am Ende sind beide um eine wichtige Erkenntnis reicher: Er muss sich eingestehen, wesentlich unglücklicher zu sein, als er allen anderen und vor allem sich selbst so vehement einzureden versucht. Und sie erkennt, stärker zu sein, als persönlich je für möglich gehalten. Nicht trotz, sondern gerade wegen der Bereitschaft, das „böse L-Wort“ auszusprechen.