Jahrelang kämpfte Julian Assange juristisch gegen seine Auslieferung an die USA. Nun hat er offenbar Erfolg. Was über seine Freilassung bekannt ist – und wie es weitergeht.
Ende des jahrelangen juristischen Dramas um Wikileaks-Gründer Julian Assange: Im jahrelangen rechtlichen Gezerre um den Wikileaks-Gründer gibt es eine überraschende Wende. Nach fünf Jahren Haft in London kam Assange nach Angaben von Wikileaks – unbemerkt von der Öffentlichkeit – aus dem Gefängnis frei und hat Großbritannien verlassen. Das Portal veröffentlichte in der Nacht zum Dienstag ein Video, das zeigen soll, wie der 52-Jährige am Montag auf dem Londoner Flughafen Stansted ein Flugzeug besteigt. Eine offizielle Bestätigung der britischen Behörden lag zunächst nicht vor. Hintergrund ist ein juristischer Deal zwischen Assange und der US-Justiz, die zuvor auf eine Auslieferung des Australiers an die USA gedrängt hatte – nun aber darauf verzichten will.
Was wird Assange vorgeworfen?
Die USA werfen ihm vor, zusammen mit der Whistleblowerin Chelsea Manning ab 2010 mehr als 700.000 geheime Dokumente über Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan gestohlen, veröffentlicht und damit das Leben von US-Informanten gefährdet zu haben. Die Dokumente enthielten brisante Informationen unter anderem über die Tötung von Zivilisten und die Misshandlung von Gefangenen durch US-Militärs.Assange vor der Freiheit Kommentar 10.18
Assanges Unterstützer sehen ihn dagegen wegen der Aufdeckung von US-Kriegsverbrechen im Visier der Washingtoner Justiz. Bei einer Verurteilung ohne Deal mit der Staatsanwaltschaft drohen Assange bis zu 175 Jahre Haft wegen Spionage.
Was beinhaltet der Deal mit den USA?
Assange hat mit dem US-Justizministerium einen Deal ausgehandelt, wonach er sich in der Spionageaffäre teilweise schuldig bekennt und ihm im Gegenzug eine weitere Inhaftierung in den USA erspart bleibt, wie aus Gerichtsdokumenten hervorgeht, die am Montagabend US-Ostküstenzeit veröffentlicht wurden. Ein Gericht muss der Einigung allerdings noch zustimmen. Dazu soll Assange bereits am Mittwoch (Ortszeit) vor einem Gericht in einem abgelegenen US-Außengebiet erscheinen: auf den Marianeninseln. Es wird erwartet, dass sich Assange bei der Anhörung am Mittwoch der Verschwörung zum illegalen Erwerb und zur Verbreitung geheimer Dokumente schuldig bekennt. Anschließend soll er nach Australien ausreisen.
Die Ehefrau von Julian Assange bestätigte eine grundsätzliche Einigung des Wikileaks-Gründers mit der US-Justiz. Wikileaks schrieb auf X, es habe lange Verhandlungen mit dem US-Justizministerium gegeben. Die erzielte Einigung sei noch nicht endgültig. Nach mehr als fünf Jahren „in einer zwei mal drei Meter großen Zelle, in der er 23 Stunden am Tag isoliert war“ werde Assange aber bald wieder mit seiner Frau Stella Assange und den beiden gemeinsamen Kindern vereint werden, „die ihren Vater bislang nur hinter Gittern kennen“.
Die Einigung kommt zwei Wochen vor einer wichtigen Anhörung vor der britischen Justiz, die am 9. Juli beginnt. In dem Berufungsverfahren soll es um die Auslieferung Assanges an die USA gehen. Nach einer Gerichtsentscheidung hatte die britische Regierung im Juni 2022 der Auslieferung Assanges zugestimmt.Assanges verzweifelter Kampf für Freiheit 21.35
Warum die Marianeninseln?
Die Inselgruppe liegt im Westpazifik nördlich von Assanges Heimat Australien und steht unter US-Hoheit. In einem Schreiben des US-Justizministeriums heißt es, der Ort sei gewählt worden, weil Assange nicht in die USA reisen wolle und die Inselgruppe in der Nähe Australiens liege.
Was erwartet Assange auf den Marianeninseln?
Nach US-Medienberichten soll Assange zu gut fünf Jahren Haft verurteilt werden, die er in Großbritannien bereits abgesessen hat. Damit könnte Assange in seine Heimat Australien zurückkehren und wäre bald ein freier Mann. Die USA hatten bislang die Auslieferung Assanges gefordert.
Wird Assange begleitet und betreut?
Nach Angaben des australischen Premierministers Anthony Albanese wird Assange auch nach seiner Freilassung konsularisch betreut. „Ich möchte sagen, dass die australische Regierung Herrn Assange weiterhin konsularische Unterstützung gewährt hat, und zwar durch den Hochkommissar in Großbritannien, Stephen Smith, der Herrn Assange bei seiner Ausreise aus Großbritannien begleitete, und durch den Botschafter in den USA, Kevin Rudd, der ebenfalls wichtige Unterstützung leistet“, sagte Albanese am Dienstag. Laut Wikileaks bestieg Assange am Montagnachmittag ein Flugzeug in London Stansted.
Albanese hatte sich in den vergangenen Jahren immer wieder für eine Lösung des Falls eingesetzt. „Durch seine fortgesetzte Inhaftierung ist nichts zu gewinnen, und wir wollen, dass er nach Australien zurückgebracht wird“, sagte Albanese. „Wir haben uns für die Interessen Australiens eingesetzt und alle geeigneten Kanäle genutzt, um ein positives Ergebnis zu erzielen.“ Sobald das Gerichtsverfahren endgültig abgeschlossen sei, werde er sich ausführlicher dazu äußern, betonte der Premierminister. Er hoffe, dass dies bald der Fall sein werde.
Wo befindet Assange sich derzeit?
Das Flugzeug, in dem der entlassene Wikileaks-Gründer vermutet wird, ist am Dienstag in Bangkok gelandet. Fotos zeigten die Maschine auf dem Rollfeld. Der australische Sender ABC veröffentlichte ein Video der Maschine im Landeanflug. Es sieht dem Flugzeug ähnlich, das in einem zuvor von Wikileaks verbreiteten Video zu sehen war, in das Assange nach seiner Freilassung aus dem Londoner Gefängnis gestiegen war. Das thailändische Außenministerium wollte sich auf Anfrage nicht zu der angeblichen Ankunft Assanges in Bangkok äußern.
Auf der Plattform „flightradar24“ war die Flugnummer VJT199, die internationale Medien Assanges Flug zuschrieben, am Dienstagmorgen (MESZ) die von Nutzern weltweit am meisten beobachtete Verbindung. Demnach landete die Chartermaschine am Mittag (Ortszeit) auf dem Don Mueang International Airport, dem kleineren der beiden Flughäfen der thailändischen Hauptstadt.
Unklar war, ob die Maschine in Bangkok nur aufgetankt werden und dann zu den Nördlichen Marianen weiterfliegen sollte. Der britische „Guardian“ schrieb, Assange könne auch mit einem anderen Flugzeug weiterreisen.PAID Prozess gegen Julian Assange 16.31
Wo befand sich Assange zuvor?
Assange war vor rund fünf Jahren im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London inhaftiert worden. Vor seiner Festnahme im April 2019 hatte er sich sieben Jahre lang in der ecuadorianischen Botschaft in London dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden entzogen. Diese hatten ihn zunächst wegen Vergewaltigungsvorwürfen in Schweden ins Visier genommen. Diese Anschuldigungen wurden jedoch später aus Mangel an Beweisen fallen gelassen. Menschenrechtsorganisationen, Journalistenverbände, Künstler und Politiker fordern seit langem die sofortige Freilassung Assanges.
Auch die australische Regierung hatte sich für die Freilassung ihres Staatsbürgers eingesetzt. Zuletzt hatte Assange in Großbritannien Berufung gegen seine Auslieferung an die USA eingelegt. Eigentlich sollte darüber im Juli vor dem Londoner High Court verhandelt werden. Dieser hatte im Mai einem entsprechenden Antrag Assanges teilweise stattgegeben und damit eine sofortige Überstellung des 52-Jährigen an die USA verhindert.
Wie sind die Reaktionen?
Stella Assange hat Unterstützer aufgerufen, ihrem Mann nach seiner Freilassung zu helfen. „Wir beabsichtigen, einen Notfallfonds einzurichten für Julians Gesundheit und Genesung“, sagte sie in einem Video, das in der Nacht zum Mittwoch auf YouTube veröffentlicht wurde. Assanges Team hatte zuletzt wiederholt gewarnt, dass es um den Gesundheitszustand des Wikileaks-Gründers schlecht bestellt sei. Er nahm deshalb nicht persönlich an den Gerichtsterminen teil.
„Ich bitte Euch, wenn Ihr könnt, einen Beitrag zu leisten und uns beim Übergang in diese neue Phase der Freiheit von Julian zu helfen“, sagte Stella Assange weiter. Das Video wurde den Angaben zufolge am 19. Juni aufgezeichnet. Wikileaks-Chef Kristinn Hrafnsson sagte darin: „Wenn Ihr dies seht, heißt das, dass er draußen ist.“
Stella Assange sagte der BBC über die Freilassung ihres Mannes: „Ehrlich gesagt ist es einfach unglaublich, es fühlt sich an, als wäre es nicht real.“ Die vergangenen Tage hätten einen Sturm der Gefühle ausgelöst.
Die Eltern von Wikileaks-Gründer Julian Assange haben sich erleichtert über die Freilassung ihres Sohnes gezeigt. „Ich bin dankbar, dass das Martyrium meines Sohnes endlich zu Ende geht“, teilte Assanges Mutter Christine Assange am Dienstag in einer vom australischen Sender ABC veröffentlichten Erklärung mit. „Das zeigt die Bedeutung und Macht der stillen Diplomatie.“
Viele hätten die Situation ihres Sohnes ausgenutzt, um ihre eigene Agenda zu verfolgen, fuhr sie fort. Daher sei sie den „unsichtbaren, hart arbeitenden Menschen dankbar“, die das Wohlergehen ihres Sohnes an erste Stelle gesetzt hätten. Die vergangenen 14 Jahre seien für sie als Mutter sehr anstrengend gewesen, so Christine Assange weiter. Sie bitte darum, ihre Privatsphäre zu respektieren.
Assanges Vater John Shipton sagte ABC Radio: „Es sieht so aus, als ob Julian sein normales Leben mit seiner Familie und seiner Frau Stella genießen kann, so habe ich es verstanden“. Es sehe so aus, als könne sein Sohn nach Australien zurückkehren. Shipton dankte allen Unterstützern in Australien, die dies möglich gemacht haben, einschließlich Premierminister Anthony Albanese.