Das jahrelange Justizdrama um Wikileaks-Gründer Julian Assange geht zu Ende – dank einem Deal mit dem US-Justizministerium. Es ist gut, dass er endlich aus der Haft entlassen wird, schreibt stern-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz, zu einem Märtyrer der Pressefreiheit aber sollte man ihn nicht überhöhen.
Im Sommer 2010 gehörte ich zu einem kleinen Team beim „Spiegel“, das auf einmal ungeheure Datenmengen sichten durfte, die uns erst überforderten, dann erstaunten, schließlich entsetzen: die Wikileaks-Dokumente. Sie zeigten auf, was Mächtige verheimlichen wollten, etwa, wie der Krieg im Irak und in Afghanistan wirklich lief, sie enthüllten Menschenrechtsverletzungen und sehr dunkle Geheimnisse, von denen die meisten leider bis heute nicht juristisch aufgearbeitet wurden.
Es war sehr gut, dass diese Dokumente an die Öffentlichkeit gekommen sind, und alle Argumente der damaligen US-Regierung, die Veröffentlichung lasse die Hände von Journalisten „blutig“ werden, haben sich als Regierungspropaganda erwiesen. Mehr denn je galt in diesem Fall der Satz, den sich Medien wie die „Washington Post“ sogar als Motto gegeben haben: Democracy dies in darkness – wenn uns die Mächtigen im Dunkeln tappen lassen, geht die Demokratie unter.
Assange auf Weg in Freiheit? Wende im Justizdrama um Wikileaks-Gründer
Freilich wurde während der Recherchen auch rasch klar: Julian Assange, der diese Informationen maßgeblich an die Öffentlichkeit brachte, war kein Heiliger. Er war auch nicht wirklich ein Journalist, selbst wenn er sich lange so inszeniert hat. Assange war und ist ein Aktivist, in aller Entschlossenheit, aber eben auch Rücksichtslosigkeit, die diesem Wort innewohnt.
Julian Assange musste 23 Stunden am Tag in seiner Zelle bleiben
Der Schutz etwa von Informanten oder Dissidenten, die vielleicht durch die Veröffentlichung der riesigen Datensätze (geschätzt viele hunderttausend Dokumente) gefährdet wurden, schien ihm nicht so wichtig zu sein. Ihre Namen und Identitäten zu schwärzen, wie es für Medien selbstverständlich war, gehörte nur bedingt zu seiner Vorgehensweise. Im Verfahren gegen Assange ging es juristisch auch nicht mehr um die Verbreitung geheimer Dokumente, was man Journalisten vorwerfen könnte, sondern um Spionage und Computermissbrauch.
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Es ist gut, dass der Australier nun freikommt. Denn er ist ein 52 Jahre alter Mann, der rund 15 Jahre Justizdrama gelebt und erlebt hat, darunter fünf Jahre Haft in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis, wo er 23 Stunden am Tag in der Zelle eingesperrt war. Das Verfahren gegen ihn hat sich über (zu) viele Jahre hingezogen, es war in seiner Gnadenlosigkeit einer stolzen Demokratie wie den USA nicht würdig (wo sich Behörden aufheizen ließen von Teilen der Öffentlichkeit, die gar die Todesstrafe für Assange forderten).
All diese humanitären Erwägungen sind offenbar in die Vereinbarung eingeflossen, die Assange nun mit dem US-Justizministerium geschlossen hat, in der er seine Schuld eingesteht, wegen Spionagevorwürfen verurteilt wird, aber keine Haftstrafe antreten muss – die gilt als abgegolten mit seinem bisherigen Haft –, sondern unmittelbar in seine Heimat Australien zurückkehren darf. So ist es einem Rechtsstaat angemessen, und so ist es gut, zumal die Enthüllungsverdienste von Wikileaks unbestritten bleiben, siehe oben. Besser noch wäre aber, man würde den Fall Assange nicht zu dem eines Märtyrers der Pressefreiheit überhöhen.