China und die Europäische Union streiten um Zölle auf Elektroautos. Warum der deutsche Vizekanzler in Peking einen langen Tag und in Shanghai etwas Hoffnung hatte.
Es ist bald Mitternacht, als Robert Habeck auf der Terrasse des Kempinski-Hotels in Shanghai sein Jacket auszieht. Nun aber wirklich zum letzten Mal an diesem Tag. Es ist noch immer schwül, ein zarter Niesel beginnt die Luft zu kühlen. „Ein Anfang ist gemacht“, hat er gerade in die „Tagesthemen“-Kamera gesagt. „Immerhin wird jetzt nicht mehr nur übereinander, sondern miteinander geredet.“
Kurz zuvor hat der chinesische Handelsminister bekanntgegeben, dass China nun doch Verhandlungen mit der EU-Kommission aufnehmen will, um Ausgleichszölle zu verhindern. Für Habeck heißt das nun zweierlei: Erstens, es war ein überraschend erfolgreicher Tag. Und zweitens, dass er nun wirklich noch ein Bier braucht.
Zumindest das Erste war am Morgen noch nicht vorherzusagen.
Robert Habeck am Bund in Shanghai
© Sebastian Christoph Gollnow
„Das ist absurd”, schimpft der Chinese
Spaziergänge meiden, Sport nur in geschlossenen Räumen, meldete die Wetter-App für Peking an diesem Junisamstag. Draußen, auf den Straßen der chinesischen Hauptstadt herrschte der übliche Smog. Drinnen jedoch, in der riesigen Halle der staatlichen Reformkommission, wirkte trotzdem schon manches überraschend klar. Dieses oft so rätselhafte China kann also auch Tacheles?
Überkapazitäten, Dumpingpreise? „Das ist absurd“, sagte der mächtige Vorsitzende der Reformkommission. „Unser direktes Verhältnis ist jetzt schon negativ beeinflusst“, sagte der deutsche Vizekanzler. Der Chinese sprach über die drohenden EU-Strafzölle auf Elektroautos. Der Deutsche von Chinas Unterstützung für Russland im Krieg gegen die Ukraine. Natürlich hob keiner der Männer dabei seine Stimme, doch bereits mit dem Eingangsstatement war der Ton für dieses Treffen gesetzt.
Tag zwei seiner fünftägigen Fernost-Reise, offiziell ging es an diesem Vormittag um den „1. Hochrangigen Dialog im Rahmen des deutsch-chinesischen Kooperationsmechanismus zum Klimawandel und zur grünen Transformation“ – ja, die vielen Wörter passen alle auf eine große, mit blauem Stoff bespannte Stellwand. In Deutsch und auf Chinesisch. Daneben die Fahnen beider Länder, davor an vier langen, mit Hussen behängten Tischreihen sitzen sich die beiden Delegationen gegenüber.
Robert Habeck in China: Erster Besuch nach zweieinhalb Jahren
Offiziell geht es ums Klima. Weil dies aber nun mal die erste Reise des deutschen Vizekanzlers nach China ist, nach nunmehr zweieinhalb Jahren im Amt, geht es immer auch um Fragen von noch größerer Grundsätzlichkeit: Wie verstehen sich die beiden? Nicht so sehr Robert Habeck und Zheng Shanjie – die schon beim Handshake vor Seidenbild mit Blumen nicht gelächelt haben. Vielmehr: Wie klappt das so zwischen Habeck und China? Und andersherum? Und nicht zuletzt: Wie weit trägt die deutsche China-Strategie denn in der Praxis?
Womit man wieder bei dem Thema ist, das Habeck auf der ganzen Reise verfolgt: die Strafzölle. Die europäische Kommission hat nach monatelanger Debatte angekündigt, ab Anfang Juli auf chinesische Elektroautos bis zu 38,1 Prozent Abgaben zu verlangen. Es ist die erste harte Reaktion Europas, um die heimische Industrie vor einer wahren Flut hochsubventionierter China-Waren zu beschützen. Es geht, wie eigentlich immer, wenn es Ärger mit den Chinesen gibt, um ein Level Playing Field, einen Wettbewerb zu gleichen Regeln und Bedingungen.
Habeck härter als der Kanzler
Habeck ist kein Freund dieser Zölle, aber keineswegs so strikt dagegen wie der Kanzler. Als Vize trägt er das geplante Vorgehen der EU gegenüber Deutschlands größtem Handelspartner mit. Seinen Zwiespalt hatte er zum Start der Tour schon damit erklärt, dass der in der China-Strategie beschriebene Dreiklang vom Partner, Wettbewerber und Systemrivalen in letzter Zeit immer stärker auf dem hinteren Teil betont werden muss. China entwickelt sich auf vielen Feldern zum Rivalen.
Sicher, es gebe da einen gewissen Vorsprung chinesischer Hersteller, sagt Kommissionschef Zheng, aber: „Dieser Vorsprung ist nicht Ergebnis von Subventionen.“ Und außerdem exportiere man bisher lediglich 12,5 Prozent aller in China produzierten E-Autos. Weniger als die Deutschen. Aber wie viele werden es noch? Und zu welchen Preisen? Darüber sind nicht nur deutsche Hersteller in Sorge.
Deren CEOs dürften zu den Ersten gehören, die erfahren mussten, warum regelmäßige Besuche in China so enorm wichtig sind. Vor ein paar Jahren noch hielten die Deutschen einen chinesischen Elektro-Boom für ausgeschlossen. Zu rückständig deren Industrie. Sie ignorierten auch die alarmierenden Nachrichten, die ihre Vertreter während der Pandemie in die Heimat kabelten. Zu langsam deren Entwicklung. Nach Corona, als auch die CEOs wieder reisen konnten, sei der Realitäts-Schock entsprechend groß ausgefallen, heißt es.
„Offene Gespräche“ – das heißt: Streit
Und dieser Schock hört nicht auf: Chinas größter E-Auto-Hersteller BYD will in den kommenden Jahren seine Produktionskapazitäten verdoppeln. Dabei beträgt die Auslastung derzeit nicht einmal 50 Prozent. Es sind nicht allein diese Überkapazitäten, die Habeck kritisiert – die habe man als Exportwirtschaft schließlich selbst. Es sind auch nicht allein staatliche Subventionen – die gebe es auch in Europa. Das Fatale sei erst die Kombination aus beidem: staatlich subventionierte Überkapazitäten, die genutzt würden, um andere Märkte zu erobern.
So erklärt es Habeck den ganzen Tag über auch den Chinesen, dem Industrieminister, dem Handelsminister. Es seien „sehr offene, intensive Gespräche“ gewesen, heißt es danach, was übersetzt meist nichts Anderes bedeutet, als dass man sich gegenseitig ordentlich die Meinung gesagt hat.
Klingt komisch, aber: Darauf kann man aufbauen.