WWDC-Nachlese: Apple unter Druck – zurecht? Warum der Konzern beim neuen Tech-Hype einen eigenen Weg geht

Apple ist bei Künstlicher Intelligenz hinterher – das war der Tenor vor der Entwicklermesse WWDC. Und tatsächlich hatte man bei generativer KI etwas geschlafen. Der Vorwurf verkennt aber, dass sich der Konzern beim Thema ganz grundlegend von den Konkurrenten unterscheidet.

 

Als Apple letzte Woche zu seiner Entwicklermesse WWDC lud, waren die Erwartungen groß. Die ganze Branche wartete auf die Antwort auf eine Frage: Würde es dem Konzern gelingen, den Rückstand im KI-Bereich aufzuholen? Und braucht er dazu wirklich die Hilfe von Konkurrenten wie OpenAI? Doch eigentlich beruht schon die Frage auf einem Missverständnis. Apple geht KI schlicht anders an als Google, Microsoft und Co.

Denn auch Apple-Nutzer setzen seit Ewigkeiten KI ein, ohne darüber nachzudenken. Als 2011 mit Siri die erste Sprachassistentin vorgestellt wurde, steckte dahinter bereits KI. Auch ein iPhone-Foto besteht genau genommen aus einer ganzen Reihe unterschiedlicher Bilder, die in Sekundenbruchteilen zu einem KI-Bild zusammengesetzt werden. Bloss an die große Glocke gehängt, hatte Apple das nie.

Apple Interview, 19.45

Apple: Proaktiv statt KI

„Wir machen das schon seit Jahren“, stellte PR-Chef Greg „Joz“ Joswiak letzte Woche bei einem Besuch mit John Grubers Sendung „Daring Fireball“ klar, als er auf mögliche Rückstände des Konzerns im KI-Feld angesprochen wird. „Wir haben es einfach nie KI oder Maschinenlernen genannt. Stattdessen haben wir etwa von ‘proaktiven‘ Funktionen gesprochen.“ Auch heute noch bezieht der Konzern sich oft lieber auf Maschinelles Lernen statt auf Künstliche Intelligenz.

Während die Konkurrenten wie Google schon lange auf Begriff KI setzte, um die Features von Android oder den eigenen Pixel-Smartphones zu bewerben, vermeidet Apple das lieber. „Das ist bei Apple ein wiederkehrendes Thema: Du musst nicht darüber nachdenken, ob Maschinelles Lernen dahinter steckt, warum die Kamera gute Fotos macht, wie der schöne Rückblick in meiner Fotobibliothek entsteht, wie diese das Foto hervorhebt, das mir wirklich wichtig ist“, führt Software-Chef Craig Federighi im selben Gespräch mit Gruber aus. „Klar, dahinter steckte immer mächtiges Maschinelles Lernen. Aber die Schlüsselfrage war für uns eben immer: Was bringt das am Ende für dich?“

Ein anderes Produkt

Dieser Blickwinkel entsteht auch aus Apples besonderer Position am Markt: Anders als Google, Microsoft, Amazon oder der Facebook-Mutterkonzern Meta ist Apple keine Software-Firma, die auch Hardware anbietet. Apples Hauptprodukt sind nicht Dienstleistungen, Programm-Pakete oder Werbung – sondern klassische Produkte, die direkt an die Kunden verkauft werden. 

„Unsere Stärke ist es, Hardware, Software und Dienste nahtlos miteinander zu verknüpfen. Die Magie entsteht dann in den Überschneidungen der drei“, erklärte CEO Tim Cook letztes Jahr die Strategie im Gespräch mit dem stern (hier können Sie es nachlesen). KI ist in diesem Rezept nur eine Zutat unter mehreren, um den Kunden ein besseres Produkt anbieten zu können – während sie bei den Konkurrenten selbst ein Produkt ist.

KI-Zugzwang

Das bedeutet aber nicht, dass Apple im Vorfeld der WWDC nicht mächtig unter Zugzwang stand. Mit dem Boom generativer KI wie ChatGPT oder Midjourney ist das Thema mit Wucht im Mainstream angekommen – und auch Apples Kunden fragten sich zurecht, warum der Konzern in dieser Hinsicht so lange nichts zu bieten hatte. iPhone und Co. wirkten dadurch etwas angestaubt.

Tatsächlich scheint Apple von der plötzlichen KI-Welle kalt erwischt worden zu sein. Als ChatGPT veröffentlicht wurde, sollen auch Federighi und sein Team wochenlang mit dem Programm experimentiert haben – um sich dann einzugestehen, dass sie mit ihm nicht mithalten können, berichtete die „New York Times“ im Mai. Als die Erkenntnis reifte, war es aber schon zu spät, um selbst nachzulegen: Bis zur WWDC 2023 waren es nur noch Monate, Apple hatte sich auf die Einführung der Datenbrille Vision Pro konzentriert. Nun noch eine eigene KI-Offensive nachzuschieben, wäre schon durch die langen Entwicklungszyklen nicht mehr möglich gewesen.

Vorschau statt Vorpreschen

Wie aufwendig die KI-Entwicklung und Maschinelles Lernen ist, zeigte nun die diesjährige WWDC. Auch ein Jahr später ist Apple mit seiner KI-Offensive eigentlich noch gar nicht vollständig startbereit. Apple Intelligence, wie der Konzern seine KI in Anspielung an den englischen Begriff A.I. clever genannt hat, soll anders als sonst bei Apple-Software gewohnt nicht wenige Monate nach der WWDC vollständig für die Kunden bereit stehen. Stattdessen werden wichtige Komponenten wie die verbesserte Siri oder die Einbindung von ChatGPT erst Monate später folgen. Und auch dann erst einmal nur auf Englisch funktionieren. 

Selbst die Partnerschaft mit OpenAI zur Einbindung von ChatGPT ist wohl aus der Kurzfristigkeit geboren. Einem Bericht von „Bloomberg“ zufolge wollte Apple eigentlich sein eigenes Sprachmodell entwickeln, konnte in der kurzen Entwicklungszeit aber kein befriedigendes Ergebnis liefern. Dass man zur Überbrückung so flexibel auf andere KI-Dienste zurückgreifen kann, liegt sicher auch daran, dass Apple Firmen wie OpenAI nicht als Konkurrenten sieht – weil man nicht die gleichen Produkte verkauft.

Grundsatzentscheidung

Auch der Ansatz bei Apple Intelligence spiegelt Apples andere Herangehensweise an das KI-Feld wider. Während viele Programme der Konkurrenten auf dem Sammeln von Nutzerdaten beruhen, betont Apple bei seiner KI, die Privatsphäre der Nutzer in den Vordergrund zu stellen. Das ist aus drei Gründen glaubwürdig: Apples Geschäftsmodell setzt nicht auf die Verarbeitung von Kundendaten, der Konzern setzt schon länger auf den Schutz der Privatsphäre, um seine Produkte aufzuwerten. Und durch die Kontrolle über die Hardware kann er tatsächlich garantieren, dass ein Großteil der aufwendigen Berechnungen direkt auf dem Gerät erfolgen kann.

Dafür geht der Konzern einen ungewöhnlichen Schritt: Während beim Mac auch einige jahrealte Modelle unterstützt werden, nämlich alle mit einem von Apples M-Chip, werden beim iPhone selbst zwei aktuelle Modelle ausgeschlossen. Obwohl iPhone 15 und iPhone 15 Plus (hier finden Sie den Test) noch immer im Handel sind, werden sie Apple Intelligence nicht unterstützen. Eine harte Entscheidung, die viele potenzielle Käufer abschrecken könnte.

Über die genauen Gründe schweigt Apple sich aus, Apple-Manager Joe Giannandrea nannte im Gespräch mit Gruber eine Kombination aus Bandweite und Rechenleistung, auch der Arbeitsspeicher spiele eine Rolle, gab Craig Federighi auf Nachfrage zu. Das hatten auch Beobachter vermutet: Die Modelle des iPhone 15 Pro, die als einzige Apple Intelligence unterstützen, sind auch gleichzeitig die ersten iPhones, denen Apple 8 GB Arbeitsspeicher spendiert hatte.

Weiter wie früher

Das heißt allerdings nicht, dass ältere iPhones mit dem im Herbst kommenden Update auf iOS 18 nicht auch jede Menge neue KI-Funktionen bekommen. Von der neuen automatischen Sortierung von Fotos bis zu einer Zusammenfassung von E-Mails in der Vorschau strotzt das neue System auch abseits von Apple Intelligence vor neuen Funktionen, die auf KI und Maschinellem Lernen basieren. Nur einem blieb Apple bei der Vorstellung erneut treu: So nennen wollte man die KI-Features dann lieber nicht. 

Quellen:Daring Fireball, New York Times, Bloomberg, Apple