Wenn die extreme Rechte oder die linke Volksfront bei der Wahl in Frankreich triumphiert, steht nicht nur Präsident Macron vor einem Scherbenhaufen. Denn Frankreich ist zu groß, um gerettet zu werden.
Im Schatten der Europameisterschaft entfaltet sich eine Krise, die manchen den Sommerurlaub verhageln und Europa weit über den Sommer hinaus beschäftigen könnte. Ganz besonders Vorsichtige sorgen sich sogar bereits um den Fortbestand der Eurozone – ein Gedanke, der seit dem Ende der Griechenland-Krise viele Jahre völlig abwegig erschien.
Die Rede ist von Frankreich und vom Ausgang der dortigen Parlamentswahl Anfang Juli. Viel wurde spekuliert, was Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron wohl getrieben haben könnte, nach der für ihn herben Niederlage bei der Europawahl ohne größere Not die Nationalversammlung aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen: War es die Hoffnung, unter dem Druck einer nationalen Wahl würden sich die Franzosen wohl besinnen und doch gemäßigte Parteien wählen? Oder war es das kühle Kalkül, mit einem Premierminister aus ihren Reihen hätten die Rechtsradikalen bis zur wichtigeren Präsidentschaftswahl in drei Jahren noch genügend Zeit, sich im Regierungsalltag zu entzaubern?
Niemand weiß es so genau – überliefert ist nur, dass Macrons wichtigste Berater und Weggefährten ihm allesamt abgeraten haben sollen. Vielleicht also waren es auch einfach nur Hybris, gekränkter Stolz und Übermut, die Macron trieben. Vielleicht wird er sich irgendwann einmal selbst erklären. Das vorläufige Ergebnis von Macrons einsamer Entscheidung ist jedenfalls: Europa muss wieder zittern. STERN C+ Frankreich vor der Wahl
Investoren misstrauen Frankreichs Staatsfinanzen
Wie so oft lässt sich dieses Zittern am besten an den Finanzmärkten beobachten. Der französische Leitindex CAC40 hat seit der Europawahl und Macrons Ankündigung rund fünf Prozent verloren. Wichtiger aber noch ist die Differenz in der Rendite zwischen deutschen und französischen Staatsanleihen, in Frankreich „Le spread“ genannt: Diese Differenz ist in den vergangenen Wochen auf 70 Basispunkte geklettert – während die Rendite auf deutsche Anleihen leicht gesunken ist, ist die auf französische gestiegen. Das ist noch keine Katastrophe, aber doch ein Warnsignal. Die Botschaft lautet: Professionelle Investoren misstrauen Frankreichs Staatsfinanzen. Und wenn schon nicht ganz akut, so doch für den wahrscheinlichen Fall, dass in wenigen Wochen entweder die extreme Rechte oder die extreme Linke in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Eurozone die Regierungsgeschäfte übernehmen könnte.
Eine aktuelle Umfrage sieht die rechtsextreme Partei Rassemblement National von Marine Le Pen – lange Jahre der Front National – bei 32 bis 33 Prozent der Stimmen. Ein eilig zusammengezimmertes Linksbündnis kann auf knapp 27 Prozent der Stimmen hoffen. Macrons eigene Partei käme aktuell mit gut 18 Prozent der Stimmen nur noch auf den dritten Platz. Gut möglich, dass die Franzosen dann bei den in Frankreich auch auf Wahlkreisebene üblichen Stichwahlen am 7. Juli nur noch die Wahl hätten zwischen zwei Extremen. EU Defizite Frankreich Italien Belgien 14.52
Man darf davon ausgehen, dass sich Macron diesen Wahlkampf anders vorgestellt hat. Aber umso wichtiger ist es nun, sich mit dem zu beschäftigen, was in Frankreich womöglich ansteht – und genau das tun Investoren mit brutaler Ehrlichkeit. Wenn man die Wahlversprechen der beiden Optionen von ganz rechts und ganz links vergleicht, so fällt zunächst eines auf: Auch wenn beide Lager erklären, nichts, aber auch gar nichts mit dem jeweils anderen zu tun haben zu wollen, so sind ihre Rezepte doch auffällig ähnlich – eine Rückkehr zur Rente mit 60 Jahren, Steuerentlastungen für kleine und mittlere Einkommen, insbesondere durch eine Senkung der Mehrwertsteuer, höhere staatliche Transfers, dafür (zumindest bei der Linken) höhere Steuern auf Vermögen, und so weiter. Ökonomen überschlagen die Kosten der Wahlversprechen auf 100 Mrd. Euro und mehr – pro Jahr. Und der Druck wird groß sein, dass der Wahlsieger wenigstens einen Gutteil dieser Versprechen einlöst.
In der Außen- und Sicherheitspolitik behielte Macron zwar das Sagen, in der Innen-, Finanz- und Wirtschaftspolitik jedoch hätte die neue Regierung die Macht.
Im vergangenen Jahr lag das französische Haushaltsdefizit bei mehr als fünf Prozent. Und das bei einer Staatsverschuldung, die bereits heute bei 110 Prozent der Wirtschaftsleistung BIP liegt, in Zahlen deutlich mehr als 3300 Mrd. Euro. Die Pläne von Rechten und Linken sprechen nicht dafür, dass Defizit und Schuldenquote bald sinken werden.
Frankreich ist zu groß, um gerettet zu werden
Da sich auch politisch gemäßigte Franzosen nicht wirklich für die Vorgaben Brüsseler Technokraten interessieren, bleiben allein die internationalen Finanzmärkte, um die Ausgabenlust der neuen Regierung einzuhegen. Denn irgendwoher muss sich die neue Regierung das Geld ja nehmen, wenn die Einnahmen allein dies nicht hergeben. Vor allem britische Kommentatoren erinnern bereits an den „Truss-Moment“ – als die sehr kurzzeitige britische Premierministerin Liz Truss vor gut zwei Jahren mit völlig überdimensionierten Ausgabenplänen für einige Tage eine veritable Finanzkrise auslöste und die Renditen britischer Staatsanleihen durch die Decke gingen, weil niemand die britischen Bonds mehr in den Büchern haben wollte. Damals intervenierte die britische Notenbank und beruhigte die Märkte, zudem trat Truss nach wenigen Wochen zurück. Macron Neuwahlen 12.12
Im Falle Frankreichs wäre die Sache wesentlich komplizierter. Theoretisch könnte zwar auch die Europäische Zentralbank einschreiten und gezielt französische Anleihen aufkaufen, um so die Renditen zu drücken. Doch bei einer selbstverschuldeten politischen Krise wäre dies nach den Regeln der EZB ausgeschlossen – so hielt es die Notenbank etwa auch in der Griechenland-Krise, als sie griechische Anleihen von ihren damaligen Kaufprogrammen ausschloss. Allerdings war Griechenland ohnehin durch ein internationales Hilfspaket langfristig finanziert. Bei Frankreich wäre dies undenkbar: Das Land ist schlicht zu groß, um von europäischen oder weltweiten Institutionen wie ESM und IWF aufgefangen zu werden – ganz abgesehen davon, dass es dafür bei einer radikalen neuen Regierung in Frankreich im Rest der Welt auch kaum die Bereitschaft geben dürfte.
Und so hat ein leichtsinniger französischer Präsident Europa zu allem Überfluss, als gäbe es nicht schon genug Probleme, die Gefahr einer neuen Euro-Krise eingebrockt. Es bleibt Macron und dem Rest Europas nur eine Hoffnung: Das Warnsignal der Märkte muss in den kommenden Wochen so deutlich ausfallen, dass – wer auch immer die Wahlen gewinnen wird – die neue Regierung ihre teuersten Wahlversprechen gleich wieder beerdigt.