Jan Dieren, führender Kopf der SPD-Parteilinken und Bundestagsabgeordneter, will seine Genossen über den Haushalt abstimmen lassen. Im stern erzählt er, wie das Prozedere abläuft – und was daraus folgen könnte.
Herr Dieren, Sie wollen die SPD über den Haushalt 2025 abstimmen lassen. Was versprechen Sie sich davon?
Das klare Signal, dass die SPD in ihrer ganzen Breite keinen Kürzungshaushalt beschließen wird. Aktuell beherrscht eine enorme Unsicherheit die Gesellschaft. Jetzt beim Sozialstaat oder der Infrastruktur zu sparen, würde nur für noch mehr Unsicherheit sorgen. Durch die Abstimmung können alle SPD-Mitglieder diese Haltung zum Ausdruck bringen.
Sie fordern mehr „SPD pur“ in der Ampel, einen Kurswechsel, der sich auch im Etat widerspiegelt. Warum kommt Ihnen – ausgerechnet – die Kanzlerpartei zu kurz?
Hier geht es nicht es nicht um Punktgewinne für eine einzelne Partei, sondern darum, was am Ende für die Gesellschaft herauskommt. Aufgabe der SPD ist es, die Interessen der arbeitenden Menschen zu vertreten und die Interessen all derer, die auf Solidarität angewiesen sind.
„Die SPD beschließt keinen Etat, in dem unsere Zukunft weggekürzt wird“
Das kaufen Ihnen jedoch immer weniger Wähler ab.
Das stimmt leider. Viele Menschen haben nicht mehr den Eindruck, dass die SPD es wirklich ernst damit meint, ihre Interessen zu vertreten. Das hat das bittere Ergebnis bei der EU-Wahl gezeigt. Sparen wir unsere Demokratie kaputt – oder investieren wir in die Zukunft? Darum geht es bei diesem Haushalt. Ich will in die Zukunft investieren, die SPD auch. Die Abstimmung soll unterstreichen, wie ernst wir es damit meinen.
Die Abstimmung lässt sich auch als eine Art Misstrauensvotum gegen den Kanzler und die SPD-Parteispitze verstehen, die ja immerhin für Kurs und Erscheinungsbild Ihrer Partei verantwortlich sind. Nicht?
Nein, da besteht Einigkeit. Sozialdemokratische Regierungsmitglieder, Fraktions- und Parteivorsitzende lassen keinen Zweifel daran, wo wir in diesen Haushaltsverhandlungen stehen: Die SPD beschließt keinen Etat, in dem unsere Zukunft weggekürzt wird.
Jan Dieren, 32, ist Bundestagsabgeordneter aus Nordrhein-Westfalen (Wahlkreis Krefeld II – Wesel II) und Vorstandsmitglied der SPD-Parteilinken „DL21“
© Carsten Koall
Wenn das so klar ist, warum dann das Mitgliedervotum?
Um zu unterstreichen, dass nicht nur die Parteispitze diese klare Haltung vertritt – sondern die gesamte SPD.
Sie fordern Investitionen statt Kürzungen in Bereichen wie Bildung und bezahlbarem Wohnraum, sonst könne Ihre Partei dem Haushalt nicht zustimmen. Eine klare Ansage, die einen Kompromiss jedoch erschweren dürfte. Wieso den Handlungsspielraum des Kanzlers zusätzlich einschränken?
Ein Kompromiss wird dadurch nicht einfacher, das stimmt. Aber es gibt gute und schlechte Kompromisse. Wir befinden uns in einer gesellschaftlichen Krisensituation, die keine Kürzungen erlaubt. Sonst wächst der Frust, die Wut und Enttäuschung. Das spielt nur den Rechten in die Hände. Ein Kompromiss, der das zulässt, ist nicht nur ein bisschen weniger gut. Er ist schlecht für die Demokratie, schlecht für unsere Zukunft. Deshalb hoffe ich sehr, dass die FDP von ihrer Blockadehaltung abrückt.
„Dann steht die Koalition als Ganzes in Frage“
Muss die SPD im Zweifel den Koalitionsbruch riskieren – oder sogar aktiv aussteigen?
Der unterste Maßstab für eine Regierungsbeteiligung der SPD muss sein, ob es gelingt, für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen – für die Ampel, ob sie tatsächlich eine „Fortschrittskoalition“ ist. Wir sind jetzt an einem Scheideweg angekommen.
Am Haushalt entscheidet sich, ob der Ampel-Schwur hält?
Wenn wir keinen gemeinsamen Weg beim Haushalt finden, dann steht die Koalition als Ganzes in Frage. Regieren darf kein Selbstzweck sein, auch nicht für die SPD.
Für ein Mitgliederbegehren benötigen Sie im ersten Schritt etwa 4000 Unterstützer aus zehn Unterbezirken. Die Jusos haben Sie schon überzeugt. Wen noch?
Wir kriegen positive Rückmeldungen aus vielen Gliederungen der SPD, befinden uns gerade in Gesprächen. Mehr kann ich noch nicht sagen. Bislang sind die Jusos dabei, aber die 4000 Stimmen kriegen wir bestimmt zusammen.
Und wie geht’s dann weiter?
Wenn die Regierung am 3. Juli einen Haushaltsentwurf vorlegt, der keine Kürzungen vorsieht, dann hat unser Mitgliederbegehren einen Zweck erreicht – das wäre erfreulich, aber gerade nicht abzusehen. Wir haben jetzt also vier Wochen Zeit, um die 4000 Stimmen zu sammeln. Dann folgt laut SPD-Statut eine zweite Stufe: Innerhalb von drei Monaten müssten wir 20 Prozent der Mitglieder als Unterstützer gewinnen, also rund 75.000 Menschen. Wird auch diese Marke erreicht, entscheidet der Parteivorstand: Er kann sich das Mitgliederbegehren zu eigen machen oder die gesamte Partei abstimmen lassen.
Klingt nach einem langwierigen Prozess. Der Haushalt 2025 soll, Stand jetzt, im Winter von den Ampel-Abgeordneten im Bundestag beschlossen werden. Schaffen Sie bis dahin überhaupt eine Abstimmung?
Das kommt auf die Dynamik der Debatte an. Die Abstimmung aller Mitglieder müsste der Parteivorstand organisieren und in Gang setzen. Das kann früher oder später passieren, je nachdem, wie sehr das Thema mobilisiert.
Gehen wir mal von einer Basis-Abstimmung aus, die mehrheitlich den Haushalt 2025 ablehnt: Ist das Votum in irgendeiner Weise bindend?
Unser Mitgliederbegehren wäre dann ein politischer Beschluss der Partei. Am Ende entscheidet jedoch weder der SPD-Vorstand noch die Parteibasis über den Haushalt, sondern die Bundestagsabgeordneten als Haushaltsgesetzgeber. Niemand kann ihnen ihr Abstimmungsverhalten vorgeben.
„Das politische Signal ist entscheidend“
Also, böse formuliert: Alles nur Symbolpolitik?
Nun ja, so argumentiert ist alles Symbolpolitik, was Parteien beschließen – weil nichts davon rechtlich bindend ist. Das politische Signal ist entscheidend. Wenn der SPD-Vorstand einen einstimmigen Beschluss fasst, dann passiert es nur sehr selten, dass die SPD-Fraktion im Bundestag das genaue Gegenteil davon entscheidet. Trotzdem: Es steht im Grundgesetz, dass die Abgeordneten nur ihrem Gewissen unterworfen sind. Kein Beschluss des Parteivorstandes kann rechtlich irgendeine „Bindungswirkung“ entfalten, aber politisch.
Sie erwägen weitere Mitgliederbegehren, etwa zu einem 15-Euro-Mindestlohn und bundesweiten Mietendeckel, um die SPD-Mitglieder wieder zu mobilisieren. Findet die Basis bisher zu wenig Gehör bei der Parteispitze?
Jedes Mitglied kann sich in einer Partei einbringen. Dafür gibt es verschiedene Wege, ob beim Ortsverein oder auf dem Parteitag. Für Ausnahmesituationen sind aber auch Mitgliederbegehren vorgesehen – und in so einer Situation befinden wir uns jetzt. Deswegen wollen wir auch bei anderen drängenden Problemen mehr Dynamik in die Diskussion bringen. Das Ergebnis bei der EU-Wahl war für viele in der SPD ein tiefer Schlag. Die Antwort darauf sollte deutlich sein.
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass Mitgliederabstimmungen für erhebliche Unruhe und Streit sorgen können. Kann die SPD das in ihrer jetzigen Lage gebrauchen?
£Wir wollen mit dem Mitgliederbegehren in der Haushaltsfrage ja nicht eine Position erringen, die es bisher gar nicht gibt. Da herrscht Konsens in der Partei, kein Streit. Das müssen wir zeigen: Die SPD will die Interessen der Menschen vertreten. Und ihr ist es wirklich ernst mit dieser Position.