Im Prozess gegen die mutmaßliche Terrorgruppe Reuß sagte erstmals einer der Hauptangeklagten umfassend aus: der Oberst a.D. über Sterbefasten, ein Rettungsschwimmerabzeichen in Gold und die Frisur von David Garrett.
Kurz nachdem Maximilian Eder zu seinem Vortrag ansetzt, der auch am Ende des Verhandlungstags noch nicht beendet sein wird und mühelos zwischen militärischem Vokabular und persönlichen Schicksalsschlägen wechseln wird, unterbricht ihn sein Anwalt: „Herr Vorsitzender, ich glaub, ich setz mich jetzt doch mal zu meinem Mandanten rüber.“
Der sitzt rund zwölf Meter vor der weißen Richterempore an einem Tisch mit Beinblende. Gerade noch hat er die Justizbeamten seinen Lebenslauf im Saal verteilen lassen, um dem Bild, das „die Medien“ von ihm zeichneten, etwas entgegenzusetzen. Er hat auch eine Power Point-Präsentation für diesen Tag angefertigt, doch für die fehlt leider der notwendige Adapter.
Als Eder im Dezember 2022 in Perugia verhaftet wurde, trug er noch einen Kurzhaarschnitt. Nun versinkt er, inzwischen eine schmale Gestalt, in einem mittelblauen Sakko. Und über seine Schultern fließt glattes, hellgraues Haar.
Er wolle gar nicht „zu Monte Christo werden“, sagt der Bundeswehr-Oberst a.D. im Gericht. Aber es habe halt in Italien angefangen, dass ihm „der Schnurrbart in den Mund gewachsen“ sei und auch Anton Hofreiter, David Garrett und Hansi Hinterseer hätten ja schließlich lange Haare. Immerhin sei er jetzt nicht mehr als Soldat erkennbar.
Vom Bundeswehr-Oberst a.D. zum Staatsfeind?
Eder legte den soldatischen Eid ab, diente im Kosovo und in Afghanistan, sollte demokratische Werte verbreiten. Von seiner Karriere bei der Bundeswehr und den „Highlights als Kompaniechef“ erzählt er an diesem Tag ausführlich. Eine Stunde vor der Mittagspause, eine danach. Wie er, 1958 im Bergischen Land geboren, bei den Gebirgsjägern eintrat. Über den Offiziers-Anwärter-Lehrgang, das Pädagogik-Studium „in Trimester-Form“, die „Verwendung“ bei der Nato in Brüssel und als Verbindungsoffizier in Tiflis. Wie er mit 19 Jahren einmal in der Arrestzelle landete, „zur Abschreckung“, weil er sich angeblich hinter einer Tür verbarrikadiert hätte – dabei habe die einfach nur geklemmt. Der Zugführer habe ein Zeichen setzen wollen.
Was sich derzeit in einer Leichtbauhalle in einem Gewerbegebiet in Frankfurt-West auf grauem Teppich und unter Polizeischutz abspielt, ist Teil eines der größten Terrorverfahren der Bundesrepublik. Links der Richter-Empore, vom Zuschauerraum betrachtet, sitzen zwei Vertreter der Bundesanwaltschaft, rechts in drei Reihen die neun Angeklagten mit ihren rund 20 Anwälten. In der mittleren Maximilian Eder. Er soll einer der einflussreichsten Verschwörer der mutmaßlichen Terrorgruppe rund um Heinrich XIII. Prinz Reuß sein. So jedenfalls sieht es der Generalbundesanwalt. Maximilian Eder soll diese Gruppe sogar mitgegründet haben, die laut Anklage die Bundesregierung mit Waffengewalt stürzen wollte, um die Macht an sich zu reißen.
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Ein Rettungsschwimmabzeichen in Gold
Maximilian Eder erzählt eine andere Geschichte. Gerade rechtzeitig zur Prozesseröffnung habe ihm die Bundeswehr seine Personalakte geschickt: Von seiner „Verantwortungsfreude“ ist da die Rede, seinem „geselligen Wesen“ sowie der „kleinen und gewandten, gepflegten Erscheinung“, ein „Vorbild an Fleiß und Engagement“. Auch ein „Rettungsschwimmabzeichen in Gold“ erwähnt Eder.
Nur selten dreht sich Eder zum Publikum, offenbart seinen fahlen Teint und eingefallene Wangen.
Schon vor Jahren sorgte Eder für einiges Aufsehen. Während der Flutkatastrophe gab er sich im Ahrtal als staatlicher Helfer aus, verteilte Hilfsgüter in Uniform – wofür ihn der Reservistenverband abstrafte. Während der Pandemie bespielte er die Marktplätze der Republik mit wirrem Gedankengut: Er prangerte vermeintlichen „satanischen-rituellen Kindesmissbrauch“ an. In sogenannten „Deep Underground Military Bases“, also unterirdischen Militäranlagen in der Schweiz, würden die „Eliten“ Kinderblut trinken. In zahlreichen Videos seiner Auftritte wirkt er, als sei er von dem QAnon-Verschwörungskult überzeugt.
Wenn Eder im Oberlandesgericht Frankfurt spricht, nicken auf der Anklagebank seine einstigen Gefährten ein.
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Vom Bundeswehr-Oberst a.D. zum Staatsfeind?
Nach einer halben Stunde kommt Eder erstmals aufs große Ganze zu sprechen. Er sollte als Soldat einmal ein zehnminütiges Briefing vorbereiten zu einem Zitat des Generalfeldmarschalls Graf Moltke: „Gehorsam ist Prinzip, doch der Mann steht über dem Prinzip.“ Ratlos habe Eder damals eine Kneipe aufgesucht, bewaffnet mit Zettel und Stift, ein Kölsch bestellt und überlegt, was Moltke damit im 19. Jahrhundert wohl gemeint habe. Ein unbekannter Kneipengast habe ihm schließlich auf die Sprünge geholfen: Dass es universelle Werte gebe, die über den Befehlen von Vorgesetzten stehen könnten.
Eder zeichnet das Bild eines Mannes, der Regeln zwar bricht. Aber nie aus Eigennutz, immer nur im Sinne eines großen Ganzen.
Im Publikum kommt das an. Rund 15 Zuschauer sind gekommen, einige treten dicht an die Glasscheibe, die sie von den Angeklagten trennt. Man kennt sich von Querdenker-Demos.
Zu Maximilian Eder heißt es: Ein Mann, der aus Berufung handele. Das gebe es ja kaum noch.
Der Bundeswehr-Oberst a.D. und der Alkohol
Schon im April 2024 hatte Eder einen Gerichtssaal in Staunen versetzt. Vor dem Amtsgericht München ging es um vierfache Trunkenheit am Steuer und einen Unfall mit Schaden in fünfstelliger Höhe. Doch bevor Maximilian Eder die Taten gestand, redete er. Ausgiebig. Von zerstückelten Leichen und vergewaltigten Frauen und wie er, der einstige Berufssoldat, versucht habe, die Erinnerungen an belastende Erlebnisse im Alkohol zu ertränken. Dass schon sein Vater an der Flasche gehangen habe und seine Mutter früh bei einem Autounfall verunglückt sei.
Die Geister, die er dort rief, will er zwei Monate später offenbar loswerden. Am Oberlandesgericht Frankfurt stellt er fest, dass er 38 Jahre im Dienst „kein Alkoholiker“ gewesen sei. Um dann, ermuntert von seinem Anwalt, zu erzählen, wie er und seine zwei Brüder nach dem Tod der Mutter sich um den zukünftigen Verbleib selber kümmerten, da der Vater dazu nicht in der Lage gewesen sei.
„Ich bekämpfe nicht den Staat als System, sondern diejenigen, die ihre Amtsmacht missbrauchen“, hat Maximilian Eder dem stern in einem Exklusiv-Interview jüngst erklärt. So klar bekommt der Angeklagte es im Oberlandesgericht Frankfurt nicht auf den Punkt. Er leide an schweren Allergien, gegen Gräser – und „gegen Unrecht und Ungerechtigkeit“. Das habe ihn sein ganzes Leben getragen und trage ihn auch heute noch. Und das sei der Grund, warum er und andere hier sitzen würden: „Weil wir gewisse Dinge anders sehen“.
In der kommenden Wochen soll es weitergehen mit der „Tour d´Horizon“. So nennt Eder selbst seine Einlassung. Bis zu einer möglichen Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung.