Patrick Stebler ist der erste Bergluftsommelier der Welt. Der Schweizer führt Touristen durch die Alpen – und zwar auf seine ganz eigene Art und Weise.
Malerische Gipfel, die Schatten auf urige Dörfer werfen, glasklare Bergseen, die zum Baden einladen und bunte Wiesen und Wälder, die es zu entdecken gilt – die Alpen faszinieren viele Menschen. Sie reisen in die Berge, um endlich mal abzuschalten, die Natur zu erleben und um einfach mal durchzuatmen. In der Schweizer Alpenregion Graubünden spielt die Bergluft deshalb seit einigen Monaten eine besondere Rolle. Seit 2022 führt der erste Bergluftsommelier der Welt geruchsinteressierte Touristen durch die verschiedenen Duftwelten der Berge. Mit Kleingruppen stapft er dann durch Wälder und Dörfer – immer auf der Suche nach neuen Gerüchen.
STERN PAID 46_23 Magischer Ort
Was mittlerweile für viele Urlauber ein echtes Highlight ist und nach einer eher untypischen Art der Bergführung klingt, war ursprünglich eigentlich ein Marketing-Gag. „Die Idee kam von einer Werbeagentur aus Graubünden“, erzählt Bergluftsommelier Patrick Stebler im Gespräch mit dem stern, „die haben mich vor zweieinhalb Jahren gefragt, ob ich gerne etwas mit der abwechslungsreichen Bergluft aus meiner Heimat machen möchte.“ Nach ersten Zweifeln sagte der gelernte Parfümeur und Drogist dann schließlich zu. Warum? „Weil ich Düfte wirklich liebe. Und ich liebe den Kanton Graubünden.“
So riechen die Schweizer Alpen
Und genau diese Leidenschaft vermittelt er nun auch seinen Gästen. Gemeinsam erkunden die kleinen Gruppen uralte Fichtenwälder, wilde Kräuter und mineralische Felsen, sie lernen die verschiedenen Arten von Harz kennen, riechen an Bienenhonig, Thymian und Weinreben. Im Bergluft-Tasting geht es quer durch die Schweizer Alpen in Graubünden und das immer der Nase nach zum nächsten Geruchserlebnis „Made by Nature“.
Insgesamt acht Dörfer in dem Kanton bieten mittlerweile Touren durch ihre ganz individuellen Duftwelten an – Patrick Stebler kennt sie alle. „Meine Heimat kann nach vielem riechen, zum Beispiel nach Kiefern, Pinien, Tee, Kräuter, Buchweizen oder einem Gletschersee.“ Wie geruchsintensiv das Ganze wird, das hängt auch vom Timing ab. Laut dem Bergluftsommelier ist der beste Zeitpunkt für eine Dufttour der frühe Morgen nach einer regenreichen Nacht. „Wenn dann noch ein bisschen Wind weht, dann riecht man die Natur am intensivsten. Meistens steigt einem dann eine Kombination aus Holz, Moos und Blumen in die Nase.“
Den Geruchssinn schärfen
Es sind Momente wie diese, die Stebler den Wert unseres Geruchssinns verdeutlichen. Mit den Bergluft-Touren möchte er auch anderen Menschen zeigen, wie wertvoll unsere Nase im Umgang mit der Welt ist: „Stellen Sie sich nur einmal vor, Sie gehen in den Wald und sind nicht in der Lage, den Geruch des Holzes, der Kiefernnadeln oder des Bodens wahrzunehmen. Oder Sie trinken ein Glas Rotwein, ohne den typischen Geruch zu riechen, essen ein Essen, ohne den Duft, der in die Nase steigt.“ Er ist sich sicher: Es würde ein entscheidender Teil des Erlebnisses fehlen.
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Stebler würde sich auch über Zuwachs im bisher einsamen Bereich der Bergluftsommeliers freuen, wie er im Gespräch mit dem stern verrät. Zugegeben, ein echter Ausbildungsberuf ist es nicht – grundsätzlich kann sich also jeder so nennen, wenn er möchte. Laut Stebler braucht es aber trotzdem eine wichtige Voraussetzung: „Es geht im Wesentlichen darum, achtsam und bewusst die Düfte der Bergwelt wahrzunehmen.“ Wem das noch nicht gelingt, der könne seinen Geruchssinn trainieren. Und zwar, indem man seine Nase bewusst nutzt, „also bewusst an Vanille, Kiefernholz oder Orangen riecht und den Duft so abspeichert – ein bisschen wie Vokabeln lernen“, erklärt der gelernte Parfümeur.
Wie Erinnerungen riechen
Die Graubündener Bergwelt scheint ein gutes Übungsfeld für alle angehenden Bergluft-Sommeliers zu sein. Die acht Duftregionen unterscheiden sich meist nur in Feinheiten voneinander, haben aber dennoch ihre ganz eigene Duftnote. Während Prättigau von Bergnarzissen und Kalkgestein geprägt ist, trifft man in Surselva auf Fichtenwälder und Wacholderbeeren. In Viamala riecht es nach Moos und Blumen, in Vals bestimmt frisches Quellwasser die Bergluft und in Bergün kann man einen Hauch von Schwefel wahrnehmen, der aus den Wasserquellen aufsteigt.
Für Patrick Stebler ist klar, dass die Bergluft-Tastings eine sehr emotionale Angelegenheit für die Teilnehmer sind, denn er weiß um die Wirkung von Gerüchen. „Was wir über die Nase aufnehmen, landet direkt in unserem limbischen System. Das ist das Zentrum für unsere Emotionen, unser Gedächtnis und unsere Hormonbildung.“ Bei den Touren erlebe er es immer wieder, dass einzelne Düfte Erinnerungen bei den Besuchern wachrütteln. Das seien immer die schönsten Erlebnisse – abgesehen von den vielen Begegnungen mit der Natur.
Quelle: Tourismus Graubünden