Zuckerwatte mit Cannabis, CBD für Haustiere und Waffeln mit THC: Auf der Berliner Hanf-Messe ist man Bereit für den schönen, neuen Markt. Nicht immer ist das ganz legal.
Man kann nur ahnen, wie es hier vor fünf Jahren ausgesehen haben mag. Ein gruseliger Clown drückt sich mit einem riesigen Plastikjoint in einer Ecke herum. Die meisten machen einen Bogen um ihn: Sind wohl noch nicht bekifft genug, um das lustig zu finden. Irgendwo ganz hinten lässt sich jemand die Buchstaben „420“ in den Nacken tätowieren. Früher ein Codewort für Cannabis, heute heißt hier jedes zweite Startup so.
Abgesehen davon hat die Cannabis-Messe „Mary Jane“ in Berlin nichts von Untergrund. Erstmals findet sie auf dem Berliner Messegelände statt und soll – ebenfalls erstmals – die größte Europas werden. Nicht einmal drei Monate nach der Legalisierung hat sich die Cannabis-Industrie herausgeputzt, eine glänzende, glatte Startupwelt – und ein Millionengeschäft, das sich niemand entgehen lassen will. Deutschland könnte einer der weltweit größten Märkte für Cannabis werden.
Cannabis mit Hühnchengeschmack
Schon am ersten von drei Messetagen sind die Gänge voll. In kleinen Papiertüten kann man sich kleine Pflanzen aus grell beleuchteten Regalen mit nach Hause nehmen. Günstige oder besonders edle Samen kaufen, oder sich beraten lassen, wie man den professionellen, großflächigen Anbau aufzieht.
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Und natürlich gibt es Gras zu kaufen. Manche Stände haben kleine Menüs vorbereitet, die Geschmackssorten wie „Mac and Cheese“ und „Rainbow Candy“ aufführen. Um einen hat sich ein Pulk gebildet, das liegt wohl am Messepreis: Ein Euro pro Gramm. An einem sehr pinken Stand verkaufen „Girls Seeds“ Aschenbecher mit Blümchendruck und Mundstücke mit Vulva-Aufdruck. Ein Händler bietet CBD-Öl für Hunde und Katzen an – mit Hühnchengeschmack. Es gibt Softeiscreme, Wassereis und Zuckerwatte mit THC-Gehalt. Und Kekse, Bonbons und Kuchen in allen Formen und Farben.
Eine Kundin ist erstaunt über den Preis. Drei Gummibärchen für fünf Euro?
– „Bist du eine gute Raucherin? Dann nimm zwei oder drei und warte eine Stunde.“
– „Ich komm morgen wieder. Heute muss ich noch arbeiten.“
Das hier könnte auch eine Messe für Naturkosmetik oder ökologische Landwirtschaft sein. Eine Dampfsterilisation ist „natürlich, sanft und effektiv“. Mit „Atme die Freiheit, Lebe die Natur“ wird für hölzerne Pfeifen geworben etwas weiter gibt es „Mit großer Sorgfalt von sozial engagierten Menschen handgefertigte Tüten“ . „Vertical Farming“ kann helfen, wenn in einer Altbauwohnung mit hohen Decken die erste Plantage entsteht. Alles ist grün, die Unternehmen klingen wie Startups für Finanztechnolgien.
Wie viel konsumierst du?
Vor einem Jahr war das alles hier illegal, manches ist es noch immer. Davon ist nichts zu merken. Viele junge Menschen sind gekommen, geschäftige Anzugträger mit weißen Hemden und Rollkoffern eilen durch die Gänge. Touristen habe ihre Rucksäcke vor dem Bauch geschnallt. Man treffe viele Menschen, die sich aus Neugier zum ersten Mal an Cannabis herantrauen, sagen die Aussteller. Viele fragen deshalb erst einmal nach den Konsumgewohnheiten, bevor sie hochdosierte Gummibärchen herausrücken. Ein Mann, vielleicht Mitte 50, steht unschlüssig vor einem Regal voller psychedelisch-bunter Keksverpackungen. Dann fasst er sich ein Herz. „Meine Mutter hat Schmerzen im Knie. Haben sie da was gegen?“ Der Verkäufer schaut etwas verdutzt und weist dann auf das Regal mit „CBD-Kosmetik“.
Am ersten tag schon voll: Die Cannabis-Messe in Berlin
© Monika Skolimowska/
In einem Zelt findet ein Atemworkshop statt, der „Blind einen Joint bauen Contest“ läuft schon. Ein Stück weiter wirbt ein Startup großflächig: „Hier Cannabis Patient werden (Datenschutzkonform)“. Viele Gesundheitsversprechen, die auf der Messe gemacht werden, sind wissenschaftlich nicht bewiesen. Dass längerer Konsum Gefahr von psychischen Erkrankungen wie Psychosen und Depressionen mitbringt ist eher kein Thema.
Am Ende von Halle zwei riecht es nach Backstube. Unter einem wild blinkenden Fliegenpilz werden Karamellwaffeln angeboten. Den Rausch kann man sich genau aussuchen: lieber mit THC oder H4CBD?
Längst nicht nur langhaarige Kiffer werden angesprochen. Ein „Sommelierglas“, produziert per Patrone einen Cannabisrauch produziert, den man nippen kann wie Champagner. Die „Cartridges“ seien nicht direkt legal, aber man bekomme sie online, erklärt ein Mitarbeiter. Viele der Messe-Produkte sind in Deutschland eigentlich nicht erlaubt. Der Verkauf sogenannter „Edibles“, also Lebensmittel mit Cannabis-Extrakten, ist auch mit dem neuen Gesetz noch verboten.
Vielleicht sind die Händler deshalb argwöhnisch, wenn man zu viele Fragen stellt. An einem Stand wird Haschisch, also das braune Cannabis-Harz in „Schweizer Premiumqualität“ angeboten. Es liegt auf kleinen Holzbrettchen, wie Gruyere auf dem Wochenmarkt. Frische Luft, grünes Gras und sauberes Bergseewasser scheinen, anders als bei Käse, keine Rolle zu spielen.
– „Wird das wirklich in der Schweiz angebaut.“
– „Nein. Warum?“
– „Weil da ‚Schweizer Qualität‘ steht. Was ist denn Besondere daran?“
– „Die Qualität“, sagt der Händler genervt und greift ein Klümpchen. „Hier. Probier einfach.“
Zur Messe gehört eine Konferenz. „Tolles Thema, tolles Produkt das da auf dem Markt ist, dass man vielfältig nutzen kann“, sagt die FDP-Bundestagsabgeordnete Kristine Lütke auf der Bühne. Gerade wird diskutiert, wie es nach dem Cannabis-Gesetz weitergehen soll. Wird die Union, sollte sie im kommenden Jahr nach der Bundestagswahl wieder in der Regierung sein, alles zurücknehmen? Oder kommt die vorgesehene „zweite Säule“, bei der neben dem Anbau zuhause und in Cannabis-Clubs auch kommerzielle Lieferketten aufgebaut werden.
Deutschland ist nicht das erste europäische Land in dem Cannabis legalisiert ist. Aber könnte das erste sein, in dem der Schwarzmarkt zurückgeht. In Spanien, wo es ein ähnliches Clubmodell gibt, herrscht, was die Branche „wilder Westen“ nennt. Rivalisierende Drogenbanden graben sich den Markt ab, es gibt immer mehr Gewalt. Mit den günstigen Preisen und dem hohen THC-Gehalt vom Schwarzmarkt kommt der legale Markt nicht mit. Das dürfte auch daran liegen, dass die Clubs zwar eine rechtliche Grauzone sind – der Anbau und Handel mit Cannabis aber weiterhin illegal sind.
In Deutschland sollen die gemeinschaftlichen Anbauclubs ab Juli ihre Anträge einreichen. Wie das aussehen wird, kann man auf der Messe erahnen. Von Second-Hand-Sofas vor Graffitti-Wänden keine Spur. Auf einem digitalen Terminal wie beim Burgerladen kann man testweise eine Bestellung aufgeben. Ein Tech-Startup wirbt für eine Art soziales Netzwerk für Club-Mitglieder, die frappierende Ähnlichkeit mit Facebook hat. Ein Cannabisclub in Selke Aue, einem 1300-Einwohner-Ort im Vorharz, hat bereits einen Stapel Formulare zur Interessensbekundung an einer Mitgliedschaft ausgelegt.
Denn es war noch nicht legal
Die Vertreterin eines stilvollen Vaporisators, versucht, etwas von einer innovativen „Heizkurve“ zu erklären, die bestimmte „Terpene abläuft“. Als sie merkt, dass sie es nicht mit einer Connaisseurin zu tun hat, wendet sie sich enttäuscht ab. Auf der Bühne wird jetzt über die private Verschlüsselung der Nachrichten von Partizipienten in Gruppenchats diskutiert, aber im Publikum sitzen nur noch vereinzelt Menschen, angehende Dealer vielleicht.
Die meisten haben sich draußen versammelt. Dort, über die Außenbühne, weht nochmals ein wehmütiger Hauch vergangener Tage, als Cannabis noch Untergrund war. Über „Brüder hinter Gittern“ wird da gerappt: „Ein Schuss in seinen Kopf denn es war noch nicht legal.“