In seinem letzten Spiel als Trainer des FC Liverpool ist für „The Normal One“ nichts normal. Bis zum Abpfiff versucht Jürgen Klopp, Professionalität zu wahren. Danach wird es emotional.
Jürgen Klopp klopfte die rechte Hand aufs Herz und schickte ein Handküsschen auf die Tribüne. Dort verdrückte Ehefrau Ulla ein paar Tränen, die Klopp selbst zunächst erfolgreich unterdrücken konnte.
Nach etlichen Umarmungen verschwand der deutsche Trainer nach seinem allerletzten Pflichtspiel für den FC Liverpool in die Kabine, um sich eine halbe Stunde später mit emotionalen Worten und Gesten von den Fans zu verabschieden. Nicht wehmütig, sondern stolz, dankbar und optimistisch in die Zukunft schauend.
„Ich bin so glücklich, ich kann es nicht glauben. Ich bin so glücklich über die Atmosphäre, über das Spiel, darüber, Teil dieser Familie zu sein, und über uns, wie wir diesen Tag feiern“, sagte Klopp nach dem 2:0 (2:0) gegen die Wolverhampton Wanderers ins Stadionmikrofon.
Anfield bereitet wüdigen Abschied: Volles Haus bis zum Schluss
Dabei trug er einen roten Kapuzenpulli mit der Aufschrift „I’ll never walk alone again“ in Anlehnung an die Clubhymne „You’ll never walk alone“. „Es fühlt sich nicht wie das Ende an, sondern wie ein Start“, ergänzte Klopp, der in seiner Rede immer wieder von Fangesängen unterbrochen wurde. Er selbst stimmte einen Song für seinen niederländischen Nachfolger Arne Slot an – und das Publikum sang begeistert mit: „Arne Slot, na, na, na, na…“
Zuvor war der 57-Jährige nach seinem 491. und letzten Spiel für die Reds durch ein Spalier, den seine Spieler gebildet hatten, geschritten. Dabei zog er sein schwarzes Cap, umarmte Kapitän Virgil van Dijk – und lief dann mit einem schelmischen Grinsen noch ein zweites Mal durch das Spalier.
Kaum ein Zuschauer hatte die Anfield Road nach dem Abpfiff verlassen, sie alle wollten Klopp den wohlverdienten Abschieds-Applaus bescheren. Schon in den Schlussminuten hatte es kaum noch jemanden auf den Plätzen gehalten, mit Ovationen wurde Klopp gehuldigt. Der sah sich das Treiben auf den Rängen auf seiner roten Trainerbank fast ungläubig an. Zwischendurch blickte er mit dem schwarzen Cap auf dem Kopf sogar beschämt zu Boden. „Ich bin im Spielmodus“, hatte Klopp unmittelbar vor dem Anpfiff bei Sky gesagt: „Die Menschen haben es „The last dance“ genannt – also lasst uns tanzen.“
Klopp über die Aufmerksamkeit: Schwierig, das zu verarbeiten
Doch die Menschen um ihn herum machten es ihm nicht unbedingt leicht, die Professionalität am letzten Spieltag der Premier League zu wahren. Auf der einen Tribünen-Seite wurde sein Vorname mit roten Bannern in großen Buchstaben präsentiert, auf der anderen war ein riesiges Herz in den Farben Schwarz-Rot-Gold zu sehen. Gesänge wie „I’m so glad that Jürgen is a Red“ hallten durch die Arena. Auch im offiziellen Stadionheft wird die Club-Ikone gewürdigt – und das auf der Titelseite sogar in deutscher Sprache: „Danke Jürgen.“
Familie, Freunde, Wegbegleiter – auch sie waren gekommen und wollten alle eine Umarmung mit Klopp. Dem war die ganze Aufmerksamkeit gar nicht recht. „Ich denke nicht, dass ich irgendjemanden diese Situation wünsche. Es ist sehr schwierig, das als Mensch zu verarbeiten. Jeder singt meinen Namen – ich bin nicht sicher, dass wir dafür gemacht sind“, sagte der 56-Jährige: „Ich versuche, so viel Distanz aufzubringen, wie ich kann.“ Doch das fiel ihm schwer. Als noch keine Zuschauer im Stadion waren, stand Klopp in einem fast schon spirituellen Moment ganz alleine am Mittelpunkt auf dem Rasen.
Kontakt zu den Reds Fans halten: „Wir sehen uns“
Einen Tag vor seinem Abschiedsspiel hatte sich Klopp bereits in den sozialen Medien mit emotionalen Worten an die Fans gerichtet. „Am 8. Oktober 2015 haben wir uns das erste Mal richtig getroffen. Ich würde es eine Liebesbeziehung nennen“, sagte der Coach in einem rund zweiminütigen Video auf seinem neuen Instagram-Account mit dem Namen „Kloppo“ – Jürgen Klopp, The Normal One. „Vom ersten Tag an war es eine absolut unglaubliche Zeit. Ich habe es so sehr genossen und ich möchte euch so sehr für all die Unterstützung und Kraft danken, die ihr uns über die Jahre gegeben habt.“
In dem Video, das zudem die emotionalsten Momente seiner über achteinhalb Jahre als Coach bei den Reds zeigt, sitzt Klopp in seinem Büro. Ein letztes Mal. Es falle ihm sehr schwer, diesen „unglaublichen Ort zu verlassen“, sagte er. Auch deswegen wolle er mit den Fans „in Kontakt bleiben. Und auch, wenn ich bin kein Social-Media-Typ bin, die Leute haben mir gesagt, dass Social Media dabei hilft. Also, auf geht’s. Wir sehen uns.“ Einen Tag später hatte das Video bereits mehr als 26 Millionen Likes, 1,6 Millionen Personen folgten schon dem Account von Klopp.
Klopp über die „beste Zeit“ beim „besten Club“
Aber nicht nur die Fans wollen Klopp nicht so schnell vergessen. „Wir werden für immer im Kontakt bleiben, ein Leben lang. Es ist nicht nur eine Arbeitsbeziehung“, sagte Liverpools Offensiv-Star Mohamed Salah bei Sky. „Wir haben uns gegenseitig sehr geholfen und wir haben alles für den Verein gegeben, um Trophäen zu gewinnen, das kann jeder sehen.“
Der frühere Mainzer und Dortmunder Bundesliga-Trainer führte Liverpool unter anderem zur Meisterschaft in England und zum Triumph in der Champions League. Doch zu seinem Wirken an der Anfield Road gehören auch dramatische Niederlagen. „Ich weiß, dass wir mehr hätten gewinnen können“, gab Klopp zu, „aber das ist okay für mich.“ Er habe seine „beste Zeit“ beim „besten Club, den ich mir hätte vorstellen können“, verbracht.