Die Buchmacher führen England als EM-Favoriten. Doch in den vergangenen Jahren ging es immer irgendwie schief. Die aktuelle Konstellation verspricht trotz holpriger Vorbereitung allerdings Großes.
Die Liste des Scheiterns ist lang – und zieht sich inzwischen über mehrere Jahrzehnte. Im Wohnzimmer Wembley verloren die Three Lions vor drei Jahren das EM-Endspiel – natürlich im Elfmeterschießen. Und auch Gelsenkirchen, wo Harry Kane und Co. am Sonntag (21.00 Uhr/ZDF/MagentaTV) gegen Serbien ins Turnier starten, ist ein besonderer Ort für Englands Fußball: 2006 verlor das Nationalteam dort im Viertelfinale gegen Portugal – natürlich im Elfmeterschießen.
Bei dieser EM stellt England das wertvollste Team des Turniers, wenn man die Marktwerte der einzelnen Profis addiert. Die Buchmacher sehen in der Mannschaft von Cheftrainer Gareth Southgate den Topfavoriten. Doch endet die Titelflaute 58 Jahre nach dem ersten und bisher einzigen großen Triumph bei der Heim-WM 1966? Auf diese Säulen kommt es für den Vize-Europameister an:
Der 30 Jahre alte Bayern-Star hat seit Jahren das Kapitänsamt. Er gilt sportlich und charakterlich als Anführer, Ex-Nationalspieler Owen Hargreaves nannte ihn jüngst „einen Gentleman“. Kane gilt bisher als unvollendet, weil ihm sowohl im Verein als auch im Nationalteam noch ein Titel fehlt. Seinen Elfmeter-Fehlschuss im WM-Viertelfinale von Katar gegen Frankreich verübelte ihm keiner so wirklich. Doch in seiner Wahlheimat ist der vielseitige Weltklasse-Stürmer gefordert, das Team ist in großem Maße von Kane abhängig.
Als bester Spieler ist der Kapitän wahrscheinlich bereits abgelöst – und zwar von Champions-League-Sieger Bellingham. Der frühere Dortmunder hat in den vergangenen Jahren einen steilen Aufstieg hinter sich und könnte nach der Königsklassen-Krönung mit Real Madrid sogar ein Kandidat für den Weltfußballer des Jahres 2024 sein. „Er wird riesigen Einfluss auf unser Spiel haben“, sagte Southgate über den 20-Jährigen. Bellingham ist als Spielmacher im offensiven Mittelfeld gesetzt. In der abgelaufenen Liga-Saison in Spanien erzielte er so viele Tore wie Robert Lewandowski (19) – bei deutlich weniger Einsätzen.
Gareth Southgate
Titel oder höchstwahrscheinlich Abgang. Dies kündigte der ehemalige Fußballprofi zu seiner eigenen Zukunft vor der EM an. Nach der WM 2018 (Platz vier), der EM 2021 (Niederlage im Finale) und der WM 2022 (Viertelfinal-Aus) ist es bereits der vierte Anlauf bei einem großen Turnier unter Southgate. Das Spielermaterial ist ausgezeichnet, nur der Silberpokal zählt. Anders als in den vergangenen Turnieren nominierte der 53-Jährige diesmal mutig. Raheem Sterling und Marcus Rashford blieben außen vor, auch Routinier Jordan Henderson und der angeschlagene Harry Maguire sind nicht dabei. Henderson und Maguire galten als Lieblinge von Southgate und zählten noch in Katar zur Startelf.
Jungstars in der Offensive
Bukayo Saka (22), Cole Palmer (22) und Phil Foden (24) – kaum ein anderer EM-Teilnehmer verfügt über ähnlich großes Offensivpotenzial wie England. Die Stars der Premier League müssen aber um ihre Stammplätze kämpfen, weil Southgate sein Team traditionell eher defensiv auf- und einstellt. Declan Rice und Bellingham sind im Mittelfeld gesetzt, dazu spielt neben Rice normalerweise auch ein zweiter Sechser. Bleiben neben Kane in der Mitte für Saka, Palmer und Foden auf den Außenbahnen nur zwei Stammplätze in der ersten Elf übrig.