Reden wir über Sex: Zur EM werden viele Fans an die Spielorte reisen. Auch mehr Zulauf für Sexarbeitende wird erwartet, zeigt eine dpa-Umfrage an Spielorten.
Erst ins Stadion, dann ins Bordell? Polizei, Stadtverwaltungen und die Sexarbeitenden rechnen mit einer höheren Nachfrage von Prostitution zur Fußball-Europameisterschaft.
Allerdings variieren die Einschätzungen, wie hoch diese ausfallen dürfte. Keinen „riesengroßen Ansturm“ der Freier, aber einen leichten Anstieg der Nachfrage erwartet Kolja-André Nolte vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen in Köln, nach eigenen Angaben mit fast 1000 Mitgliedern größter Verband seiner Art in Europa. „Wir verzeichnen bei unseren Mitgliedern keine Angst vor Überforderung, sondern eher eine Vorfreude auf ein paar mehr Kunden während der EM.“
Mehr Zulauf für Bordell– und Hotelprostitution
Dafür rechnet die Frankfurter Polizei mit einem signifikanten Anstieg der Zahl von Prostituierten in der Stadt. „Die Zunahme wird sich maßgeblich auf die Bordell- und insbesondere die Hotelprostitution auswirken“, sagte ein Sprecher.
„Die Straßenprostitution ist in Frankfurt seit jeher deutlich unterrepräsentiert.“ Zudem habe das Konzept Laufhaus grundsätzlich an Attraktivität für die Prostituierten verloren. Vielmehr bestehe weiterhin der pandemiebedingte Trend weg von organisierten Strukturen wie Bordelle oder Saunaclubs hin zu privateren Angeboten wie Escortservice, Hotels oder Terminwohnungen.
Die für die Prostitution, vornehmlich auf der Straße, zuständige Stadtpolizei – eine eigene Einheit neben der Frankfurter Polizei -, hat zwar keine Erkenntnisse, dass sich viele Prostituierte angekündigt hätten. „Es ist aber natürlich so, dass wir damit rechnen“, sagte Leiter Matthias Heinrich. Man kenne das von anderen großen Events oder großen Messen. „Das ist ganz klar, dass das solche Dinge nach sich zieht“.
Auch in Dortmund wird mit einer „hohen Auslastung der hier ansässigen Bordelle“ gerechnet, so Pressereferent Christian Stein. Und die Stadt Stuttgart geht davon aus, dass mehr Prostituierte ihre Dienste anbieten werden – um einer erhöhten Nachfrage gerecht zu werden.
Gemeldete Prostituierte dürfen in ganz Deutschland arbeiten
Präzise Prognosen etwa auf Basis der amtlichen Registrierungen von Sexarbeitenden können die Städte nicht abgeben – „da die Anmeldungen nichts über den tatsächlichen Arbeitsort der Prostituierten aussagen“, erklärt die Stadt Düsseldorf.
„Nach erfolgter Anmeldung ist eine Tätigkeit im ganzen Bundesgebiet möglich. Viele Prostituierte wechseln ständig zwischen mehreren Einsatzorten.“ Auch in der Stadtverwaltung der Nachbarstadt gehe man davon aus, „dass ein möglicherweise kurzfristig erhöhtes Angebot an sexuellen Dienstleistungen in Köln nicht anhand der Anmeldezahlen abzulesen sein wird“.
Eine Hausnummer nennt hingegen John Heer, Vorstandsvorsitzender des Verbandes deutscher Laufhäuser, für Stuttgart, wo er ein Laufhaus im Rotlichtviertel betreibt: Schätzungsweise 30 bis 40 Frauen arbeiten während des Turniers zusätzlich in der Stadt. „Aber wir bewegen uns dann natürlich wieder im Bereich der illegalen Prostitution“, so Heer. Zum Vergleich: Die Stadt schätzt, dass sich sonst täglich rund 400 Menschen als Prostituierte in Stuttgart betätigen, vor allem Frauen.
Die Sorge ist da, dass auch Zwangsprostitution in großer Zahl stattfindet. Es werde im Ausland in einschlägigen Artikeln dafür geworben, „wie einfach und legal es ist, in Deutschland Frauen zu kaufen“, sagte die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion und Gründerin des Parlamentskreises Prostitution und Pornografie, Leni Breymaier, kürzlich der „Rheinischen Post“. Und weiter: „Wir können davon ausgehen, dass die Nachfrage auch während der Europameisterschaft nicht durch Freiwillige gedeckt werden kann und es deshalb noch mehr Zwangsprostitution geben wird.“
Verband: Große Messen sind besser fürs Geschäft als Fußball
Wie schwer die Sexarbeit und die Zahl der darin freiwillig und vor allem unfreiwillig Tätigen zu greifen ist, zeigen auch Diskussionen, die nun zum Turnierbeginn 2024 hochkochen mit Verweis auf die Weltmeisterschaft in Deutschen im Jahr 2006: Eine mittlere fünfstellige Zahl Zwangsprostituierte soll damals in Deutschland tätig gewesen sein.
Der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen entgegnet allerdings: „Weder vor noch nach der Weltmeisterschaft 2006 fand eine nennenswerte Zunahme von Menschenhandel in Deutschland statt. Die „40.000 Opfer“ gab es schlicht nicht.“ Hinter den Falschmeldungen würden Befürworter eines grundsätzlichen Verbots der Prostitution stecken.
Verbandssprecher Nolte erläutert, dass große Messen sogar grundsätzlich besser für das Geschäft seien als Fußballspiele. Denn obwohl viele Fan-Gruppen aus Männern bestehen, seien sich diese untereinander meist nicht so vertraut, um sich zu entscheiden, kollektiv ein Bordell aufzusuchen. Messen seien mit vielen allein reisenden Männern und viel Zeit am Abend deutlich besser für das Gewerbe.
Auch bei der Beratungsstelle für Prostituierte in Stuttgart gehe man nicht davon aus, dass mehr Prostituierte zur EM in die Stadt kommen werden, sagte Sachgebietsleiterin Christine Winzer. Zwar gebe es kaum verlässliche Zahlen, doch: „Die Kolleginnen sagen: Fußball und Prostitution passt nicht zusammen.“ Die Männer kämen schlicht zum Fußball gucken.
Mehr Testmöglichkeiten und Aufklärung
Köln aber wird seine Streetworker vermehrt losschicken und unter anderem das Gesundheitsamt Düsseldorf wird seine Testangebote für sexuell übertragbare Infektionskrankheiten an Spieltagen deutlich erweitern. Die Frankfurter Stadtpolizei plant, mit Streifen gegen Straßenprostitution vorzugehen, die außerhalb der dafür vorgesehenen Toleranzzonen stattfindet.
Und aus Dortmund heißt es: „Um gerade auch die Frauen zu schützen, sind Veranstaltungen und Aufklärungskampagnen von ortsansässigen Organisationen sowie dem Gesundheitsamt geplant.“ Der Bundesverband Nordisches Modell, der sich unter andere für die Beseitigung der Benachteiligung von Frauen in der Prostitution einsetzt, hat eine Kampagne initiiert: „#RoteKartefürFreier – für eine EM ohne Sexkauf“. Sie appelliere an Männer und potenzielle Freier, „Fan zu sein, aber kein Freier zu werden“.