Fußball-Deutschland freut sich auf die EM im eigenen Land. Dreimal holten die DFB-Kicker den Titel – aber es gab auch Niederlagen, die bis heute wehtun. Wir schauen zurück auf unvergessliche Momente.
Ach, was wäre der Fußball ohne diese herrlichen, von ihm selbst immer wieder produzierten Mythen! Die „Schmach von Tirana“, das „Wunder von Wembley“, das „Golden Goal“ von Oliver Bierhoff. Und natürlich: der verschossene Elfmeter von Uli Hoeneß, über den keiner, der diesen Sport liebt, jemals sprechen kann, ohne den „Nachthimmel von Belgrad“ zu erwähnen, in dem dereinst der Ball zum Entsetzen einer ganzen Fußball-Nation für immer verschwand. 1972, 1980 und 1996 holte die DFB-Auswahl den Titel, sechsmal stand sie im Finale – eine imposante Bilanz. Nur Spanien war mit ebenfalls drei Titeln ähnlich erfolgreich.
Nach Jahren voller Misserfolge und peinlicher Niederlagen sehnt sich die Fußball-Nation jetzt bei der Heim-EM danach, endlich wieder ein Erfolgserlebnis zu feiern – und vielleicht sogar ein zweites „Sommermärchen“ zu erleben. Doch Traum und Trauma liegen gerade bei Europameisterschaften eng beieinander. Das zeigt ein Blick zurück auf die höchst wechselvolle Geschichte deutscher Kicker bei den zurückliegenden Turnieren.
1968: Die „Schmach von Tirana“
Was für eine Blamage! Nach dem 0:0 gegen Fußballzwerg Albanien verlässt das deutsche Team mit den Mittelfeld-Stars Wolfgang Overath (rechts) und Günter Netzer (2. von rechts) das Stadion in Tirana.
Sonntag, der 17. Dezember 1967: Bis heute gilt dieser Tag als einer der schwärzesten in der deutschen Fußballgeschichte. Das DFB-Team muss in der Qualifikation für die EM 1968 beim allenfalls drittklassigen Fußballzwerg Albanien antreten. Ein einfacher, notfalls „dreckiger“ 1:0-Sieg würde reichen. Entsprechend lässig reist die deutsche Mannschaft, in der noch fünf Spieler aus dem WM-Finale von 1966 stehen, nach Tirana, in die Hauptstadt einer hermetisch abgeschotteten, stalinistischen Betondiktatur. Das Hinspiel acht Monate zuvor in Dortmund hatte Deutschland noch locker 6:0 gewonnen. Leistungsträger wie Franz Beckenbauer, Gerd Müller, Sepp Maier und Uwe Seeler lässt der DFB lieber zu Hause: Sie fühlen sich nicht fit genug für den Trip auf den Balkan. Den als nicht besonders anspruchsvoll eingeschätzten Job sollen andere erledigen. Das Spielfeld im Qemal-Stafa-Stadion ist kein Rasen im engeren Sinne, sondern eine brettharte Kraterlandschaft. Dort erlebt das deutsche Team, in dem immerhin Fußball-Größen wie Wolfgang Overath, Günter Netzer, Siegfried („Siggi“) Held und Willi Schulz stehen, ein Desaster.
Am Tag danach fordert die „Bild“-Zeitung einen neuen Bundestrainer: Max Merkel, der damals in der Bundesliga als „Meistermacher“ galt
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Wütend rennen die Deutschen gegen das albanische Abwehrbollwerk an, das von einer entfesselten Menschenmenge auf den Rängen angefeuert wird. Es bleibt bis zur letzten Minute beim 0:0, der Fußball-Riese Deutschland schafft die Qualifikation nicht: Da ist sie, die „Schmach von Tirana„. „Alles ist recht unglücklich gelaufen“, kommentiert der Bundestrainer Helmut Schön. Kann man wohl sagen.
Gleich am nächsten Tag ätzt die „Bild“-Zeitung mit einem Personalvorschlag gegen Schön, der erst seit drei Jahren im Amt ist und immerhin schon eine Vize-Weltmeisterschaft vorweisen kann: „Lasst doch mal den Merkel ran“. Gemeint: der damalige Star-Trainer Max Merkel, der im Jahr zuvor 1860 München zur deutschen Meisterschaft geführt hatte. Doch Helmut Schön kann sich trotz der Blamage von Tirana im Amt halten – was sich in den 1970er Jahren als glückliche Fügung erweisen wird. Für die Albaner ist die „Schmach von Tirana“ dagegen das „Wunder von Tirana“ – sie feiern den Tag bis heute als einen der größten Triumphe ihrer Sportgeschichte.
1972: Das „Wunder von Wembley“
Höhepunkt neuer deutscher Leichtigkeit: Günter Netzer erzielt im Wembley-Stadion per Strafstoß das 2:1. Ein bisschen Glück war auch dabei: Englands Torhüter Gordon Banks war noch mit der Hand dran, der Ball sprang gegen den Pfosten – und von dort ins Tor.
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Hat unser Fußball jemals so schwerelos, so elegant, so dahingehaucht – mit anderen Worten: so herrlich undeutsch ausgesehen, wie an jenem Abend im April 1972 in London? Mit 3:1 besiegte die Elf von Helmut Schön die Engländer. Und das auf dem heiligen Rasen von Wembley, der erste deutsche Sieg überhaupt in dieser Kathedrale des Weltfußballs. Franz Beckenbauer tänzelte mit dem Ball übers Feld und schlug Außenrist-Pässe für die Ewigkeit, Günter Netzer kam mit wehendem blonden Haar „aus der Tiefe des Raumes“ und ganz vorne gab es ja auch immer noch den Strafraum-Pragmatiker Gerd Müller, der mit dem dritten Tor in diesem Viertelfinal-Hinspiel den Deckel draufmachte, wie man so schön sagt.
Feuilletonisten aller Art hat das in Auswärts-grün-weiß bedresste deutsche Team zu beachtlichen intellektuellen Höhenflügen angespornt. Tenor: Nein, das war keine „Mannschaft“ – das war ein Ensemble! Die Elf von Wembley gilt bis heute als Sinnbild für die neue deutsche Leichtigkeit, gar als Höhepunkt des sozialdemokratischen Reformzeitalters unter Willy Brandt, in dem Deutschland nicht nur die Gespenster seiner dunklen Vergangenheit loswurde, sondern auch sein miefiges Spießertum, all seine Verzopftheiten und Verdruckstheiten.
Große Ballkünstler unter sich: Franz Beckenbauer (links) und Günter Netzer 1972 in Brüssel mit dem soeben gewonnenen EM-Pokal
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Bisschen viel für ein Fußballspiel, das immerhin bis zur 85. Minute 1:1 stand und erst durch einen mehr als glücklich verwandelten Elfmeter von Günter Netzer (siehe Foto, der Ball sprang noch an den Pfosten!) den entscheidenden Dreh bekam. Trotzdem: Groß war es. Und jeder, der es gesehen hat, hat es nicht vergessen. Ein paar Wochen später holte das geniale Team in Brüssel mit einem 3:0 gegen die Sowjetunion zum ersten Mal den Europameister-Titel nach Deutschland. Mehr Glück war selten!
1976: Der „Schuss in den Nachthimmel von Belgrad“
EM-Finale 1976: Uli Hoeneß verfehlt beim Elfmeterschießen gegen die Tschechoslowakei das Tor – und besiegelt damit die deutsche Niederlage
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Eigentlich hat sich der Deutsche Fußball-Bund (DFB) die ganze Sache damals ja selbst eingebrockt. Tage vor dem Finale bei der EM 1976 gegen die Tschechoslowakei hatte Verbandschef Hermann Neuberger bei der UEFA nämlich darauf gedrungen, dass es im Falle eines Unentschiedens nach der Verlängerung nicht wie ursprünglich vorgesehen ein Wiederholungsspiel geben sollte – sondern ein Elfmeterschießen. Neuberger wollte am Ende einer langen Saison Schonung für die ausgelaugten Spieler. Die des FC Bayern hatten gerade zum dritten Mal in Folge den Europapokal der Landesmeister gewonnen.
So nahm das Unheil seinen Lauf und es kam nach einem 2:2 nach Verlängerung zum ersten Mal bei einem großen Turnier zum Elfmeterschießen. Alle trafen. Bis beim Stand von 4:3 für die CSSR zum vierten deutschen Schuss Uli Hoeneß zum Elfmeterpunkt schritt. Ein langer Anlauf, ein wuchtiger Schuss – und der Ball flog in weitem Bogen über das Tor in Richtung Zuschauer. Oder eben in den Belgrader „Nachthimmel“, wie Fußball-Poeten schnell zusammendichteten. Später hat Hoeneß erzählt, er sei nach dem nervenaufreibenden 120-Minuten-Spiel so kaputt gewesen, dass er es sich nicht mehr zutraute, den Ball präzise mit der Seite in eine Torecke zu schieben und daher lieber Zuflucht nahm zum wuchtigen Spannstoß, bei dem ihm auch noch das Leder seitlich über den Fuß rutschte.
Er zeigt, wie es geht: Antonín Panenka foppt Deutschlands Torhüter Sepp Maier beim Elfmeterschießen mit einem Lupfer
Ganz anders machte es danach für die CSSR das Schlitzohr Antonín Panenka. Er lupfte den Ball sanft in die Mitte des deutschen Tores, während Torhüter Sepp Maier – ohnehin nicht gerade als Elfmeter-Killer bekannt – schon auf dem Weg in die Ecke war. Mit angehaltenem Atem verfolgte die Fußball-Welt dieses noch nie gesehene Kunststück. Damit war die deutsche Finalniederlage besiegelt. Das Drama des Uli Hoeneß bleibt unvergessenen, aber ebenso der fast schon frivole Chip-Ball des Antonín Panenka. In Berlin-Friedrichshain ist sogar eine Fußball-Kneipe nach dem großen Mann benannt, das „Panenka Trink-Lokal“. Man verneige sich tief vor ihm.
1980: Mit dem „Kopfball-Ungeheuer“ zum Titel
Entscheidung in vorletzter Minute: Horst Hrubesch trifft nach Flanke von Karl-Heinz Rummenigge zum 2:1-Siegtreffer im Finale gegen Belgien. Wie er das gemacht hat? Natürlich per Kopf!
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Horst Hrubesch, aktuell Trainer der deutschen Frauen-Fußballnationalmannschaft, verbreitete damals als klassischer Mittelstürmer in den Strafräumen europaweit Angst und Schrecken. Grund war nicht nur sein, nun ja: sehr rustikales Aussehen – sondern vor allem seine enorme Kopfballstärke, mit der er beim Hamburger SV die „Bananenflanken“ eines Manfred Kaltz konsequent in Tore umzusetzen pflegte. Das „Kopfball-Ungeheuer“ Hrubesch war auch im EM-Finale 1980 in Rom erfolgreich. In der 89. Minute erzielte Hrubesch den Siegtreffer zum 2:1. Die Flanke kam nicht von Kaltz, sondern von einem gewissen Karl-Heinz Rummenigge.
Der Sieg über die starken Belgier brachte Deutschland den zweiten EM-Titel. Bundestrainer Jupp Derwall hatte nach der Pleite bei der Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien ein auch spielerisch überzeugendes Ensemble zusammengestellt, das mit Rummenigge, Hansi Müller, Klaus Allofs und vor allem Bernd Schuster eine ganze Reihe feiner Fußballtechniker aufwies.
1988: Ronald Koeman und das Deutschland-Trikot
Eklat nach Schlusspfiff: „Oranje“ besiegt Deutschland im Halbfinale 2:1 – anschließend macht der Niederländer Ronald Koeman mit dem Deutschland-Trikot eine nicht ganz jugendfreie Geste
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Nie haben die Niederländer so ganz verstanden, warum sie 1974 im WM-Finale von München mit ihrem ach so genialen Oranje-Team um Johan Cruyff gegen die deutsche Elf quasi auf den letzten Metern den schon sicher geglaubten Titel doch noch verspielten. Über das nationale Trauma ist in unserem Nachbarland sogar ein Buch erschienen: „1974, wij waren de besten“ – „1974, wir waren die Besten“. Die Besten? Nun ja. Dagegen wäre einzuwenden, dass das deutsche Team die Niederländer in München so ungefähr von der 10. bis zur 45. Minute ziemlich an die Wand spielte und, dass Gerd Müller in der zweiten Halbzeit ein Abseits-Tor erzielte, das gar kein Abseits war, was man bei unseren lieben Nachbarn wohl verdrängt hat. Weiterhin wäre anzumerken, dass der Elfmeter zum 1:0 für die Niederländer gar kein Elfmeter war, weil das Foul von Hoeneß an Cruyff nicht innerhalb, sondern außerhalb des Strafraums… Aber lassen wir das.
Jedenfalls war dieses Spiel in München der Beginn einer jahrelang mit großer Hingabe auf beiden Seiten gepflegten Fußball-Feindschaft, die bei der EM 1988 in Deutschland ihren vorläufigen Höhepunkt fand. Im Halbfinale im Hamburger Volksparkstadion (Kenner wissen, dass diese Arena immer schon ein schlechtes Karma für deutsche Nationalteams bereit hielt, Stichwort: Sparwasser!) nahm das „Oranje“-Team Revanche – und besiegte Deutschland mit 2:1.
Marco van Basten trifft zum entscheidenden 2:1 für die Niederlande. Harald („Toni“) Schumacher und Jürgen Kohler (hinten), Jahre später von Fans in Dortmund zum „Fußballgott“ ernannt, sind machtlos
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Das Siegtor schoss einer der elegantesten Torjäger der Fußball-Geschichte: Marco van Basten. Weniger elegant war die obszöne Geste des niederländischen Liberos Ronald Koeman. Nach dem damals noch üblichen Trikottausch mit Olaf Thon wischte er sich mit dessen Deutschland-Dress demonstrativ das Gesäß ab. Unter den empörten Zuschauern kam es zu Tumulten. Aber Koeman zeigte sich relativ uneinsichtig – auch, nachdem die Niederländer Tage später gegen die Sowjetunion den EM-Titel geholt hatten: „Ich gebe es zu, ich darf sowas nicht anstellen. Aber jetzt zu sagen, dass ich es stark bedauern würden. Na ja, nein.“
1992: Der Schock gegen Dänemark
EM-Finale 1992: Der haushohe Favorit Deutschland wird von Dänemarks Spaßkickern zu Fall gebracht – so wie in dieser Szene Angreifer Karl-Heinz Riedle.
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Deutschland fühlte sich nach dem Gewinn des WM-Titels 1990 als Fußball-Großmacht. Was hatte der scheidende Teamchef Franz Beckenbauer der Nachwelt noch hinterlassen? Den wunderbaren Satz: „Auf Jahre hinaus wird unsere Nationalmannschaft unschlagbar sein.“ Dermaßen rhetorisch aufgepumpt ging die Truppe mit dem neuen Bundestrainer Berti Vogts und Stars wie Brehme, Effenberg, Sammer und Klinsmann ins Finale von Göteborg – und erlebte ein Desaster: 0:2 hieß es am Ende. Und das gegen eine dänische Mannschaft, die eigentlich gar nicht für das Turnier qualifiziert, sondern nur kurzfristig für das kriegsgeplagte Jugoslawien nachgerückt war.
Daraus wurde dann „Danish Dynamite“: ein Team, das alle deutschen Sekundärtugenden geradezu verhöhnte, sich fröhlich von Spiel zu Spiel improvisierte, dem Alkohol durchaus zugetan war und sich – so die Legende – während des Turniers vorwiegend von Cola und „Big Macs“ ernährte. Die deutsche Fußball-Nation verfiel in ihre erste große Identitätskrise, zentrale Frage: „Warum sind wir eigentlich nicht so locker?“
1996: Oliver Bierhoff und sein „Golden Goal“
Oliver Bierhoff schießt Deutschland gegen Tschechien zum Titel – per „Golden Goal“. Es gratulieren die Kollegen Jürgen Klinsmann (ganz links) und Thomas Häßler, genannt „Icke“.
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Ein Mann ist außer sich: Er rennt wie angestochen über den Rasen von Wembley, kriegt sich gar nicht mehr ein, reißt sich das Trikot vom Leib und macht mit nacktem Oberkörper vor seinen Mitspielern schließlich einen auf ganz dicke Hose: Oliver Bierhoff, nach seinem 2:1 gegen Tschechien im Finale von London. Den Jubel-Lauf des Torschützen hat keiner vergessen, der Treffer sicherte Deutschland schließlich den dritten EM-Titel. Denn damals sah das Regelwerk ein „Golden Goal“ vor: Bei einer Verlängerung gewinnt die Mannschaft, die als erste ein Tor erzielt – keine Chance zum Gegenschlag mehr, das Spiel ist sofort beendet. Von dieser etwas seltsamen Idee haben sich die Fußballverbände dieser Welt längst wieder verabschiedet. Aber das „Golden Goal“ von Oliver Bierhoff bleibt – vielleicht gerade deswegen – ein Tor für die Ewigkeit. Herr Bierhoff ist darauf übrigens auch heute noch mächtig stolz.
2000: Der Tiefpunkt: „Rumpelfussball“ made in Germany
Nach einem 0:3 gegen Portugals B-Elf ist bei der EM 2000 für die DFB-Elf schon in der Vorrunde Schluss. Kollektive Depression bei Thomas Linke, Marko Rehmer, Lothar Matthäus und Jens Nowotny (von links)
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Um die Jahrtausendwende, das war eine dunkle Zeit im deutschen Fußball. Biedere Grätschen-Handwerker bestimmten das Geschehen, Kunst am Ball galt als verdächtig und taktisch hinkte man Jahre hinter der internationalen Entwicklung her. Die Quittung kam bei der EM 2000, die in Belgien und den Niederlanden ausgetragen wurde. Deutschland brauchte nach schwachen Spielen gegen Rumänien (1:1) und England (0:1) einen Sieg gegen Portugal, das bereits für die nächste Runde qualifiziert war und deshalb nur mit einem B-Team antrat. Die Portugiesen fegten das DFB-Team mit 3:0 vom Platz.
Nach dem Desaster etablierte sich für das bemitleidenswert hilflos wirkende deutsche Kollektiv der hübsche Begriff der „Rumpelfußballer“ – und Bundestrainer Erich Ribbeck hatte seinen Titel für die Geschichtsbücher weg: „Totengräber des deutschen Fußballs“. Der arme Mann musste seinen Stuhl sofort räumen. Rudi Völler (thekenfreundlicher Zweitname: „Tante Käthe“) übernahm. Und wurde – ja, so ist Fußball! – schon zwei Jahre später mit Teilen der Rumpel-Truppe bei der WM in Japan und Südkorea immerhin Vizeweltmeister.
2012: Mario Balotelli zeigt Deutschland die Muckis
Noch Fragen? Mario Balotelli hat soeben im Halbfinale 2012 den Ball brutalstmöglich zum 2:0 ins deutsche Tor gehämmert – und zeigt sich danach vor der ganzen Fußballwelt in Gladiator-Pose
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Bis heute hält sich in Fußball-Deutschland die Meinung, dieses Spiel hätte nicht verloren gehen müssen, vielmehr habe es Bundestrainer Joachim Löw „vercoacht“, also durch ein falsches taktisches Konzept in den Sand gesetzt. Warum nur musste er ausgerechnet seinen wertvollen Mittelfeld-Filigrantechniker Toni Kroos verschwenden, indem er ihn direkt auf den stets melancholisch dreinblickenden italienischen Oberstrategen Andrea Pirlo ansetzte? Fragen über Fragen, die wohl nie mehr beantwortet werden können.
Unvergessen bleiben dagegen die zwei Tore des italienischen Skandal-Stürmers Mario Balotelli, vor allem das zweite: ein Schuss von ungemeiner Brutalität in den oberen rechten Winkel des deutschen Tores – und damit direkt ins deutsche Fußball-Herz. Torwart Manuel Neuer zuckte bei dem Geschoss mit der Hand zurück, es sah fast aus, als habe er Angst vor einem Trümmerbruch. Balotelli präsentierte sich danach der Fußball-Welt in einem herrlich unzeitgemäßen Gestus unverstellter Männlichkeit (siehe Foto). Wie stark Löws Truppe indes schon damals wirklich war, wurde zwei Jahre später deutlich: Als er mit seinem inzwischen gereiften Team in Brasilien Deutschlands dritten WM-Titel holte.
2021: Das Ende der Ära Löw
Trauriger Abgang eines einstigen Erfolgstrainers: Joachim Löw verlässt bei der EM 2021 nach der 0:2-Niederlage gegen England das Londoner Wembley-Stadion
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Der geliebte Espresso, die diskret immer mal wieder zwischendurch gerauchte Zigarette und die schöne Dialektfärbung („högschtes Tempo“): All das waren Markenzeichen des Bundestrainers Joachim Löw. Dass er das DFB-Team 2014 in der Nacht von Rio zum Weltmeistertitel führte, sichert ihm auf ewig einen Platz in der Ruhmeshalle des deutschen Fußballsports. Bei der EM 2021 aber hatte er sich erkennbar verbraucht. Auch mit seiner Spielidee – Ballbesitz um fast jeden Preis, striktes Verbot von hohen Bällen, dafür endlose Flachpass-Stafetten, Verzicht auf einen klassischen Mittelstürmer – schien er, nun ja: nicht mehr so richtig auf Ballhöhe. Der Niedergang hatte sich schon bei der WM 2018 in Russland angedeutet, als Deutschland zum ersten Mal überhaupt bereits in der Vorrunde ausschied, und das auch noch mit einer Niederlage gegen Fußballzwerg Südkorea. Bei der EM war dann im Achtelfinale nach einem 0:2 gegen Gastgeber England Schluß.
Blankes Entsetzen: Thomas Müller nach seiner vergebenen Großchance kurz vor Schluss. Mit einem Tor hätte er das Spiel nochmal drehen können.
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Dabei hätte es auch ganz anders kommen können: In der 81. Spielminute lief Thomas Müller beim Spielstand von 0:1 ganz allein mit dem Ball auf Englands Torwart Jordan Pickford zu – und schoß unfassbar knapp am linken Pfosten vorbei. Kein neues „Wunder von Wembley“ also – stattdessen allgemeine Depression. Joachim Löw verließ für immer die Bühne der Nationalmannschaft. Man sieht ihn jetzt öfter mal in der Altstadt im heimischen Freiburg im Breisgau. Dort sitzt er gern im Straßencafé – vor sich ein Tässchen Espresso.