Der gewaltsame Tod der neunjährigen Valeriia macht die Menschen im sächsischen Döbeln fassunglos. Die Polizei ist fest entschlossen, den Mörder zu fassen. Jetzt gibt es Berichte über erste heiße Spuren.
Am Tag danach liegt eine bleierne Schwere über Döbeln, der 25.000-Einwohner-Stadt im Hügelland zwischen Chemnitz, Dresden und Leipzig. Mit sichtlicher Betroffenheit war der Chemnitzer Polizeipräsident Carsten Kaempf am Mittwoch vor die Presse getreten, um das Unfassbare mitzuteilen: „Im Hinblick auf die gestern leblos aufgefundene Person haben wir in der zurückliegenden Nacht die traurige Gewissheit erlangt, dass es sich um die neunjährige Valeriia aus Döbeln handelt.“
Damit war klar: Alles Hoffen, alle Mühen waren vergebens. Valeriia ist tot. Gewaltsam aus dem Leben gerissen mit neun Jahren. „Den Verlust eine Kindes zu beklagen, zerreißt einem förmlich das Herz“, sagte der erfahrene Beamte mit brüchiger Stimme (lesen Sie hier der stern-Liveblog von der Pressekonferenz nach).
Mehr als eine Woche lang hatten Hunderte Polizisten und Freiwillige nach dem Mädchen gesucht. Es war am Montag vor einer Woche (3. Juni) zur Schule aufgebrochen, dort aber nie angekommen. Am vergangenen Dienstag dann entdeckte die Polizei den Leichnam des Kindes im Unterholz eines Waldstücks; keine fünf Kilometer von ihrem Zuhause entfernt.
Döbeln nach Tod von Valeriia „erschüttert“
Die Nachricht vom gewaltsamen Tod schockiert die Menschen in Döbeln. „Unsere Gedanken sind bei der Familie, die jetzt ganz viel Kraft braucht“, erklärt Oberbürgermeister Sven Liebhauser. „Döbeln ist erschüttert.“
Was es heißt, wenn eine ganze Stadt trauert, ist an diesem Donnerstag auf einem Bürgersteig in der Nähe des Wohnhauses von Valeriia zu besichtigen. Unzählige Blumen, Kerzen, Briefe und Kuscheltiere bedecken die Pflastersteine. „Warum hat man dir das angetan? Du hattest noch so viel vor dir“, steht auf einem weißen Blatt Papier in einer Klarsichthülle. „Wir hoffen, dass deine Seele Frieden finden kann.“
Frieden finden. Wie kann das gehen, wenn durch ein solches Verbrechen ein Kind stirbt, eine Familie der Trauer verfällt, eine ganze Stadt fassungslos ist? Die Menschen in Döbeln, sie rücken in diesen Tagen zusammen. Auf dem Obermarkt wollen sie am Freitag Valeriias gedenken, jede und jeder mit einer Kerze in der Hand. „Ich rufe alle Döbelnerinnen und Döbelner auf, daran teilzunehmen“, sagt der Bürgermeister. Auch einen gemeinsamen Gottesdienst soll es geben. Ein Spendenkonto der Stadtverwaltung für die Familie des Mädchens füllt sich. Das für das Wochenende geplante Stadtfest ist abgesagt. „Döbeln ist nicht zum Feiern zumute. Döbeln trauert.“
Es ist eine bittere Randnotiz: Valeriia und ihre Mutter waren 2022 vor Putins tödlichem Terror aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet, wähnten sich in Sicherheit. Nun muss die Mutter hier den schwersten Verlust erleiden, den man sich vorstellen kann. Der Vater des Mädchens blieb in der Ukraine. Auch er weiß inzwischen, dass seine Tochter nicht mehr lebt. „Wir alle sind in Gedanken bei der Familie und ihren Freunden“, erklärt Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer.
„Die Ermittlungen laufen“
Das Geschehene zu verstehen werde für die Mutter und Vater eine Weile dauern, meint Trauerbegleiterin Petra Meyer im stern-Interview. Der Weg zurück ins Leben für die Angehörigen sei schwer. „Eltern geben sich immer die Schuld. Egal wie das Kind gestorben ist. Man kann das einfach nicht akzeptieren. Das geht nicht. Man sucht eine Erklärung und fragt sich: Wie hätte ich es verhindern können? Was habe ich falsch gemacht?“
Es wird dafür keine Erklärung geben. Nach Antworten ringen sie auch an der Grund- und Oberschule in Döbeln, die Mitschülerinnen und Mitschüler Valeriias, ihre Lehrerinnen und Lehrer. Man wolle eine Trauerecke in der Schule einrichten, ist eine der Ideen, um das Andenken an die Neunjährige zu bewahren. Psychologinnen und Psychologen sind vor Ort.
Neben all der Trauer gibt es noch eine andere Seite dieses Falls. Denn der Mörder des Mädchens ist noch nicht gefasst. Bei der Kripo in Chemnitz arbeiten Mordermittler intensiv daran, das zu ändern. „Das sind wir Valeriia und ihrer Familie schuldig“, sagte Polizeipräsident Kaempf auf der Pressekonferenz. Oberstaatsanwältin Ingrid Burghart sprach bereits von „Thesen zum Motiv“, die es gebe. Die Ermittlungen konzentrierten sich zunächst auf den „sozialen Nahbereich“ von Valeriia und ihrer Mutter, also auf Bekannte, Freunde, Angehörige. Mehr wolle man vorerst nicht sagen, „aus ermittlungstaktischen Gründen“. Die Behörden wollen kein Täterwissen preisgeben, nur soviel: Es gebe keine Hinweise auf ein Sexualdelikt.
Nach dem gewaltsamen Tod der neunjährigen Valeriia haben Trauernde in Döbeln Kerzen entzündet sowie Blumen, Kuscheltiere und Briefe niedergelegt
An diesem Donnerstag meldet die „Bild“-Zeitung, dass es zwei Verdächtige gebe. Bei einem solle es sich um den Ex-Freund von Valeriias Mutter handeln. Er habe sich nach Tschechien abgesetzt. Auch ein weiterer Mann, der zuletzt in der Region Döbeln gelebt habe, sei ins Visier der Fahnder geraten, aber bisher nicht aufgespürt worden. Er soll die Mutter immer wieder gestalkt haben. Auf stern-Nachfrage gibt Oberstaatsanwältin Burghart zu Protokoll, dass man sich zu solchen Berichten und möglichen heißen Spuren überhaupt nicht äußern werde. „Die Ermittlungen laufen.“ Es werde alles unternommen, um das Verbrechen an Valeriia aufzuklären, versprach Polizeipräsident Kaempf. „Darauf liegt unser absoluter Fokus.“
Die Menschen in Döbeln, die Klassenkameradinnen und -kameraden, die Lehrerinnen und Lehrer und nicht zuletzt die Eltern Valeriias setzen auf die Beamten. Sie hoffen, so zumindest einige Antworten auf quälende Fragen zu bekommen.
Doch Valeriia wird fehlen, für immer. Mit Tränen in den Augen spricht eine Nachbarin zu RTL-Reportern: „Ich sehe sie eigentlich jeden Tag im Hof spielen. Jetzt ist alles leer.“
Quellen: Polizeidirektion Chemnitz, Staatsanwaltschaft Chemnitz, Stadtverwaltung Döbeln, Michael Kretschmer, „Bild“-Zeitung, RTL(der stern ist Teil von RTL Deutschland), Nachrichtenagentur DPA