Die EU sieht die geplanten Strafzölle auf China-Autos als ein Signal der Stärke an Peking. Doch unter Umständen schwächen diese die hiesige angeschlagene Industrie weiter.
Wenn es um die angekündigten Zölle der Europäischen Union (EU) für chinesische E-Autos geht, schlagen die chinesische Regierung und die deutsche Autoindustrie in diesen Tagen einen überraschend ähnlichen Ton an. Die Maßnahme sei Protektionismus, sagte am Mittwoch ein Sprecher des Pekinger Außenministeriums: schädlich für Marktwirtschaft und Handelsregeln. Fast genauso hatte sich unlängst Mercedes-Chef Ola Källenius eingelassen. „Letztendlich würde dies den eigenen Interessen der Europäischen Union schaden“, sagte der Pekinger Staatsdiener noch.
BMW-Chef Oliver Zipse fasste es am Mittwoch ähnlich: „Die EU Kommission schadet damit europäischen Unternehmen und europäischen Interessen.“ Und VW-Chinavorstand Ralf Brandstätter stand vor wenigen Wochen am Rande der Pekinger Automesse in einem Hotel und wehrte leutselig die Frage nach Chinas Unterstützung für die dortige Autoindustrie ab: er könne keinerlei spezielle Subventionen im Land für die chinesischen Autobauer erkennen. Exakt so argumentiert die Pekinger Regierung.
Die Frage der Subventionen ist entscheidend für die Zölle, die die EU-Kommission am Mittwoch verkündet hat. Ihre Position: China unterstütze einheimische Autohersteller ungebührlich, daher habe die EU nach internationalen Handelsregeln das Recht, ihre Einfuhrzölle für China-E-Autos zu erhöhen – von zehn Prozent auf Werte zwischen 27 und 48,1 Prozent. Damit will die EU die hiesige Autoindustrie von Dumping-Importen schützen.
Die Kommission setzt den Chinesen eine Frist für Verhandlungen bis zum 4. Juli. Ab dann können die Zölle zunächst vorläufig erhoben werden, im Herbst wird endgültig – für zunächst fünf Jahre – über die neuen Einfuhrbeschränkungen entschieden. Ob noch eine Einigung möglich ist, scheint fraglich. Im Verfahren habe die chinesische Regierung nicht nach besten Kräften mitgearbeitet, rügte ein Diplomat in Brüssel.
Deutsche Autobauer lehnen Strafzölle ab
Verblüffend aber ist, dass sich jene, welche die EU zu schützen vorgibt, gegen diesen Schutz mit Händen und Füßen stemmen. Jedenfalls soweit es die deutsche Autoindustrie betrifft. Die Furcht von VW, Mercedes, BMW & Co.: Mögliche Gegenmaßnahmen aus Peking würden ihnen viel mehr schaden, als die Zölle ihnen helfen. Denn die Deutschen haben Angst, dass mit den Zöllen ein wechselseitiges Hochschaukeln mit gegenseitigen Handelsbeschränkungen beginnt. Und zwar nicht nur im Autobau. BMW-Chef Zipse sprach von der „Gefahr, eine Spirale in Gang zu setzen“. Er prophezeite: „Zölle führen zu neuen Zöllen, zu Abschottung statt Miteinander.“
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Schon hat die chinesische Regierung ihrerseits hohe Zölle für teure Autos aus Europa ins Auge gefasst. Das würde vor allem Porsche und Mercedes schaden, die ihre großen Autos nicht oder nur teilweise im Land selbst fertigen und ohnehin Absatz- und Preisprobleme in China haben.
An der Seite der deutschen Autohersteller steht die Berliner Regierung, die sich aber in Brüssel nicht durchgesetzt hat. Sie dürfte – selbst mit Verbündeten wie Schweden und Ungarn, vielleicht auch Tschechien und der Slowakei – kaum Möglichkeiten haben, das Brüsseler Votum noch zu kippen. Zollbefürworter, zu denen die Regierungen von Frankreich und Spanien zählen, werfen den Deutschen vorauseilenden Gehorsam vor der anrollenden Exportmaschine aus China vor, die Europa „mit billigen Elektroautos überschwemmen“ werde, wie es Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte. Vorauseilender Gehorsam aus Abhängigkeit: Deutschlands Autobauer verkauften 2023 ein Drittel ihrer Autos in China, beim Gewinn hängen die Deutschen in noch höherem Maß am weltweit größten Automarkt.
E-Autos aus China in der EU kaum relevant
Tatsächlich spielen umgekehrt chinesische E-Autos – im Gegensatz zur Aussage von der Leyens – auf dem europäischen Markt bisher kaum eine Rolle. Europaweit lag der Anteil von Autos „Made in China“ am E-Automarkt 2023 bei 19 Prozent, in Deutschland bei 15. Es waren zudem überwiegend hochpreisige Autos. Mehr als die Hälfte kam zudem von westlichen Herstellern wie Tesla, BMW oder der Renault-Tochter Dacia, die Autos für Europa in China fertigen.
Bislang kommen Chinas Autobauer im Export langsamer voran als gedacht, räumte der dortige Branchenverband CPCA Anfang der Woche ein. Im Mai etwa sank die Ausfuhr gegenüber den Vorjahreszahlen laut den Daten des Verbands sogar. „Die Exportdaten haben unsere Erwartungen nicht erfüllt“, sagte Generalsekretär Cui Dongshu. Die große Exportwelle, glauben Branchenexperten, werde erst 2026 anlaufen. Die EU argumentiert, man müsse sich jetzt schon dafür rüsten. Zollskeptiker fürchten hingegen, dass die in China erfolgreichen europäischen Hersteller teuer für die Maßnahme zahlen müssen.
Je nach Hersteller und Kooperationsbereitschaft in dem EU-Verfahren sollen nun ab 4. Juli unterschiedliche Zölle fällig werden, zusätzlich zu den bisher geltenden zehn Prozent: Den günstigsten Satz von 17 Prozent erhält der chinesische Automarktführer BYD. Der Hersteller habe „sehr gut kooperiert“ und laut der EU-Untersuchung weniger Subventionen bekommen als andere. Die Geely-Gruppe muss 20 Prozent Extrazoll zahlen. Der Schanghaier Staatskonzern SAIC, der in Europa mit der Marke MG halbwegs Erfolg hat, wird mit zusätzlich 38,1 Prozent belegt. SAIC habe ebenso wenig kooperiert wie die Regierung, hieß es in der EU-Kommission.
21 Prozent Zusatzzoll, also insgesamt 31 Prozent, soll vorläufig auch für Tesla anfallen. Tesla produziert das Model 3 für Europa in seinem Werk in Schanghai. Allerdings könnte der Zollsatz für den US-Hersteller noch sinken, Tesla hat laut EU-Kommission als bisher einziger Autobauer eine Anpassung seines Zollsatzes beantragt.
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Zu den westlichen Herstellern, die von den Zöllen betroffen sind, gehört auch Volvo. Der schwedische Autobauer lässt den Kompakt-SUV EX30 in China fertigen, ein Auto, das sich in Europa ausgesprochen gut verkauft. Vom kommenden Jahr an will Volvo das Auto in seinem belgischen Werk in Gent bauen, das war aber bereits vor der aktuellen Zolldiskussion geplant. Es gebe keine Möglichkeiten, jetzt den Start der Europa-Produktion zu beschleunigen, sagte Volvo-Vizechef Björn Annwall zu Capital: „Man kann das nicht über Nacht machen“, bedauerte er. Volvo gehört seit 2010 zum chinesischen Autokonglomerat Geely – die Verbindung dürfte ein Grund sein, warum auch die schwedische Regierung gegen die Zölle ist. Volvos Importe werden nun mit dem für Geely geltenden Zollsatz von 30 Prozent belegt.
Strafzölle: Harsch oder maßvoll?
Mit den Zollsätzen hat sich die EU für recht harsche Maßnahmen entschieden. Die Branche hatte eher moderate Zölle zwischen 25 und 30 Prozent erwartet, nun liegen sie deutlich darüber. Dennoch nehmen Kommissionsvertreter für sich in Anspruch, dass es sich um „eine maßvolle Maßnahme“ handele. Sie verweisen auf die Einfuhrzölle anderer großer Märkte wie Indien, Brasilien und der Türkei, aber natürlich besonders auf die USA. US-Präsident Joe Biden hatte vor wenigen Wochen Zölle von über 100 Prozent auf China-Autos verkündet. Anders als Biden handele man streng im Einklang mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO, so EU-Vertreter. Zu der Angst vor Gegenmaßnahmen hieß es: „Mögliche Gegenmaßnahmen haben in unserer Untersuchung keine Rolle gespielt.“ Sie wären aus EU-Sicht „vollkommen unakzeptabel“.
Von den US-Zöllen sind auch andere Waren aus China betroffen. Im Westen gibt es seit einiger Zeit eine Diskussion, wie man mit möglichen chinesischen Dumping-Importen umgehen soll. China hat – gefördert etwa durch billige Kredite staatlicher Banken – eine mächtige Industrie in vielen Branchen aufgebaut, was nun mehr und mehr zu Überkapazitäten führt. Das liegt auch daran, dass der Binnenmarkt nicht mehr im gleichen Tempo wächst wie in den Jahren vor der Corona-Pandemie und unmittelbar danach. Die Alternative aus Sicht der Chinesen ist der Export – wenn Amerika die Pforten schließt, umso stärker nach Europa. Viele in Europa sehen darin einen gezielten Angriff auf die hiesige Industrie. Aus China kommt dagegen das Argument, dass die gereifte chinesische Industrie nun ihre Exportchancen nutze, so wie es die westliche Industrie schon Jahrzehnte in China tue.
In Branche und Politik in Europa gibt es trotz der harschen Maßnahmen die vage Hoffnung, dass der Zollstreit zwischen der EU und China glimpflicher verläuft, als der beginnende Handelskrieg zwischen den USA und China. Peking könnte mit begrenzten Gegenmaßnahmen reagieren, die sich hauptsächlich gegen Luxusgüter aus Frankreich und Italien richten könnten, mutmaßten in den vergangenen Wochen Beteiligte. Dann würde die Gegenwehr hauptsächlich die Länder treffen, die sich am meisten für die Zölle starkgemacht hätten. Die chinesische Regierung habe bereits zu Gesprächen geldaden, heißt es in der EU-Kommission. Doch öffentlich gibt es bislang keine Signale aus China, dass dort die Zeichen auf Deeskalation stehen.