Das Wehrdienstmodell des Verteidigungsministers setzt auf Freiwilligkeit. Dabei wird es ohne eine Wehrpflicht nicht gehen. Wir leben nicht mehr im Lala-Land.
Als ich noch ein Kind war, beriet mein Vater – ein Pfarrer – Kriegsdienstverweigerer. Junge Leute, die nicht bereit zum Dienst an der Waffe waren.
Anders als später war es damals, in den siebziger Jahren, keineswegs eine Selbstverständlichkeit, dass sie stattdessen Zivildienst leisten durften. Vielmehr mussten sie sich einem quälenden Verhör unterziehen, in dem ihnen Fragen wie jene gestellt wurden: „Stell dir vor, du bist mit deiner Freundin im Wald unterwegs, ein Russe kommt daher und will sie vergewaltigen. Zufällig hast du eine Waffe in der Hand. Was tust du?“
FAQ Pistorius Wehrpflicht 16:23
Wer die Freundin mit der Waffe verteidigen wollte, hatte verloren
Manchmal erzählte mein Vater am Abendbrottisch davon, natürlich anonymisiert. Wer sagte, dass er natürlich seine Freundin, aber eben nicht sein Land mit der Waffe verteidigen würde, hatte sofort verloren. Der Ausgang der Verfahren war aber auch für meinen Vater stets ungewiss. Manche Verweigerer wurden trotz allen Widerstands „gezogen“ und sind schier am Wehrdienst zerbrochen.
Heute ist die Lage eine völlig andere. Zwar ist die Gefahr, dass Russland einen Nato-Staat oder sogar Deutschland angreifen könnte, wieder viel konkreter geworden.
Aber bis zur Aussetzung der Wehrpflicht war es längst Selbstverständlichkeit, dass jeder, der wollte, statt des Armeeeinsatzes problemlos Zivildienst leisten konnte.
Gedanklich sind wir freilich noch in den Friedenszeiten stecken geblieben. Wenn Boris Pistorius davon spricht, dass wir „kriegstüchtig“ werden müssen, dann geht ein Schauern durch dieses Land. Wie kann er nur das böse K-Wort in den Mund nehmen? Provoziert er damit nicht sogar Russland?
Stellte am Mittwoch sein neues Wehrdienst-Modell vor: Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD).
© F. Kern
Dieses Dilemma – die alte neue Bedrohungslage einerseits und die Beharrlichkeit der Deutschen, diese nicht wahrhaben zu wollen, andererseits – spiegelt sich auch im neuen Wehrdienstmodell von Pistorius wieder. Bei dessen Vorstellung am Mittwoch übte sich der Verteidigungsminister im verbalen Eiertanz. Sein neues Modell soll verpflichtend, aber auch freiwillig sein. Klingt verwirrend? Ist es auch.
Alle 18-jährigen Männer sollen künftig verpflichtet werden, einen Musterungsbogen auszufüllen. Für den Wehrdienst selbst sollen sie sich dann aber frei entscheiden können. Aber was, wenn die Zahl der Freiwilligen nicht reicht? Dann müsse man auch „über eine verpflichtende Option nachdenken“, sagte Pistorius bei der Vorstellung. Wie die aussehen soll und ob sie von Anfang in der neuen Regelung stehen soll, wollte er nicht ausführen.
Der frühere Kommunalpolitiker Pistorius ist dafür bekannt, dass er gern Klartext spricht. Dass er sich hier so windet, hat mit den Koalitionspartnern zu tun – und seiner Partei. Die FDP lehnt eine Wehrpflicht ab. Auch in den eigenen Reihen sind viele Genossen gegen eine Zwangsverpflichtung. Sogar der Kanzler hatte sich öffentlich dagegen ausgesprochen.
Dass er Pistorius jetzt gewähren lässt, liegt auch daran, dass dieser in den vergangenen Tagen überall Klinken putzte und für sein Modell warb. Die Betonung lag dabei auf Freiwilligkeit.
Doch das ist eine Mogelpackung. Mindestens 20.000 zusätzliche Soldatinnen und Soldaten will die Bundeswehr bis 2031 rekrutieren, um ein Minimum an Verteidigungsfähigkeit zu gewährleisten. Experten gehen davon aus, dass in Wirklichkeit noch viel mehr benötigt werden.
Die Freiwilligkeit der Wehrpflicht wird nicht funktionieren
Ein verpflichtender Musterungsbogen mag ein erster Schritt sein. Die Personallücke schließen und das Land verteidigungsfähig machen, kann er nicht. Dazu braucht es auch eine Reform der Bundeswehr, Entbürokratisierung, mehr Geschwindigkeit bei der Beschaffung.
Vor allem aber brauchen wir eine Pflicht, dass bei Bedarf so viele junge Männer gezogen werden können, wie es aus militärischer Perspektive notwendig ist. Und nicht nur Männer, sondern auch Frauen. Eine Grundgesetzänderung in diesem Punkt sollte so schnell wie möglich angegangen werden.
Der entscheidende Punkt ist aber nochmal ein anderer. Auch dafür lohnt es sich, nach Schweden zu schauen. Sieben Jahre lang hat man es dort mit einer Freiwilligen-Armee versucht. Es hat nicht gereicht. Dann hat man 2017 die Wehrpflicht wieder eingesetzt, für Männer und für Frauen. Mit einem starken Element der Freiwilligkeit, aber auch der Möglichkeit einer Zwangsrekrutierung – wenn die Zahl nicht ausreicht. Das war in diesem Jahr notwendig.
Vor allem aber gibt es in Schweden eine allgemeine Dienstpflicht. Diese „Allmän tjänsteplikt“ gilt nicht nur für alle Schweden zwischen 16 und 70, sondern auch für alle Ausländer, die länger in Schweden leben. Jeder muss verpflichtend an Übungen (von unterschiedlicher Dauer) teilnehmen, um im Ernstfall etwas zur Landesverteidigung beitragen zu können.
Und noch etwas macht Schweden vor: Für den Wehrdienst werden auch gezielt Einwanderer angesprochen. Und alles Material wird in mehrere Sprachen übersetzt.
Für den Frieden müssen wir den Krieg vorbereiten
„Si vis pacem para bellum – Wenn du Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor“, lautet ein altes lateinisches Sprichwort.
Die Wiedereinführung einer Wehrpflicht bedeutet nicht, dass alle Dienst an der Waffe leisten müssen. Aber die Deutschen müssen endlich aufwachen aus ihrem Traum von einem Lala-Land, das keinen Angriff auf sich oder einen seiner Nato-Partner fürchten muss und sich notfalls hinter der militärischen Macht des großen Bruders USA verstecken kann.
Wir müssen auf die Möglichkeit eines Krieges vorbereitet sein. Ohne Wehrpflicht wird das nicht gehen.