In Deutschland gibt es aus Sicht der Industrie einen großen Investitionsstau. Um diesen aufzulösen, kommt ein Vorstoß – mitten in schwierigen Verhandlungen.
Die deutsche Industrie schlägt milliardenschwere Sondervermögen vor, um den Standort Deutschland nachhaltig zu stärken. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hält einen zusätzlichen staatlichen Finanzierungsbedarf von bis zu 400 Milliarden Euro über zehn Jahre für notwendig.
Dabei geht es zum Beispiel um Investitionen in Verkehrswege, Kitas und Schulen, den Wohnungsbau und den Klimaschutz. Es gehe darum, den öffentlichen Investitionsstau aufzulösen, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm der Deutschen Presse-Agentur. „Wir wollen Bewegung in die Debatte bringen. Wir brauchen eine Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Kommunen über Parteigrenzen hinweg.“
Der BDI hoffe, dass die Vorschläge ein Anstoß sein könnten, dass die „Investitionsblockade“ durch präzise, zweckgebundene und zeitlich klar definierte Sondervermögen möglicherweise noch in dieser Legislaturperiode gelöst werden könne. Unter Unternehmen herrsche die große Sorge, dass notwendige Investitionen hinausgezögert würden. „Die Politik kommt nicht zu Lösungsvorschlägen. Die Unternehmen brauchen aber Planungssicherheit.“
Deutschland in der Wachstumsschwäche
In diesem Jahr wird nur ein Mini-Wachstum erwartet. Deutschland bleibe auch 2024 voraussichtlich eine der am langsamsten wachsenden Volkswirtschaften unter den Industrieländern, heißt es in einem BDI-Papier. Wirtschaftsverbände wie der BDI fordern seit langem strukturelle Reformen.
Dazu gehören weniger Bürokratie, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren und bessere steuerliche Rahmenbedingungen für mehr Investitionen. Ziel: die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland im internationalen Vergleich zu verbessern.
Milliardensummen notwendig
„Der Staat steht aktuell vor der Aufgabe, Investitionen in großer Höhe nachholen beziehungsweise anschieben zu müssen“, heißt es in einem BDI-Papier. Der höchste, nachzuholende öffentliche Investitionsbedarf bestehe bei der Infrastruktur – im Bildungswesen, beim Wohnungsbau, in der kommunalen Infrastruktur und der Verkehrsinfrastruktur.
Die Investitionen in Infrastruktur, Gebäude und Wohnen sollten über das nächste Jahrzehnt in der Größenordnung von rund 315 Milliarden Euro erhöht werden, heißt es im Papier. Rund die Hälfte des Bedarfs in Höhe von etwa 160 Milliarden Euro entfalle auf Verkehrsinfrastruktur, vor allem für Sanierung, Digitalisierung und Ausbau der Schiene, für den Erhalt und Ausbau von Straßen und den Ausbau des ÖPNV. Die Bildungsinfrastruktur erfordere Investitionen von 100 Milliarden Euro.
Der klimafreundliche Umbau der Wirtschaft solle mit weiteren 41 Milliarden Euro an Investitionsanreizen bis 2030 vorangetrieben werden. Genannt wird zum Beispiel die Dekarbonisierung der Industrie und eine Ladeinfrastruktur für E-Autos. Zusätzlich müsse eine angemessene Finanzierung des Umbaus des deutschen Stromnetzes und weiterer Infrastrukturen für Wasserstoff und CO2 geklärt werden, heißt es. Dazu fehlten aber noch Richtungsentscheidungen der Bundesregierung.
Weiter heißt es, um Resilienz-Ziele Deutschlands und der EU zu erfüllen, seien bis zu 40 Milliarden Euro notwendig. Dabei geht es um Anreize, um zum Beispiel bei Mikroelektronik und Batterietechnologien die Abhängigkeit von anderen Wirtschaftsregionen wie China zu verringern.
Industrie für Sondervermögen
Der BDI habe sich nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts intensiv damit befasst, was das für die Finanzplanung bedeute, sagte Russwurm. Das Urteil vom vergangenen November besagte, dass Gelder zur Bewältigung der Corona-Krise nicht in einen Klimafonds hätten fließen dürfen, es ging um Kreditermächtigungen auf Vorrat.
Russwurm sagte, zu den Aufgaben für den Standort gebe es eine ganze Reihe einzelner Studien, aber bisher noch keine Gesamtschau. Zunächst müsse die Bundesregierung durch Strukturreformen Wachstum ermöglichen, Effizienzpotentiale heben und den Mut zur Priorisierung von Maßnahmen beweisen, um den Haushalt zu konsolidieren. „Nur unter dieser Voraussetzung halten wir es für vertretbar, inhaltlich und zeitlich präzise definierte Sondervermögen einzurichten.“ Diese könnten insgesamt ein Volumen von 400 Milliarden Euro haben.
Für die Bundeswehr war nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ein schuldenfinanziertes Sondervermögen mit einem Umfang von 100 Milliarden Euro im Grundgesetz geschaffen worden, dafür war eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag notwendig. Von der Schuldenbremse sind diese Schulden ausgenommen.
BDI will nicht an Schuldenbremse heran
Eine Abschaffung oder Aufweichung der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse lehnt der BDI als nicht zielführend ab. Die Schuldenbremse habe insbesondere den Anstieg des Schuldenstandes des Bundes deutlich abgebremst. „Die Schuldenbremse zwingt politisch Verantwortliche gerade dazu, Ausgabenprioritäten zu setzen und die öffentlichen Finanzen effizient zu verwalten.“
Konkrete Form der Sondervermögen
Für verschiedene Aufgaben sollten unterschiedliche Sondervermögen aufgestellt werden, schlägt der BDI vor. Jedes Sondervermögen sollte durch ein eigenes Gesetz geschaffen werden, mit einer präzisen Regelung der Aufgaben und Finanzierungsmodalitäten. Sie müssten darüber hinaus mit Rückzahlungsmodalitäten verknüpft sein.
Konkret heißt es im BDI-Papier, Infrastruktur- sowie Resilienzbedarfe könnten über ein Sondervermögen mit einer Laufzeit von acht bis zwölf Jahren eingerichtet werden – Klima- und Transformationsbedarfe in zwei aufeinander folgende Sondervermögen mit einer Laufzeit von jeweils zwei Legislaturperioden bis 2041 ausgestaltet werden. Die in der mittleren Zukunft liegenden Bedarfe seien aus heutiger Sicht schwer einzuschätzen.
Die Finanzierung wäre am besten über die Ausgabe von zehnjährigen oder noch länger laufenden Bundesanleihen zu gestalten, so der BDI. Die Sondervermögen müsste mit einem Tilgungsplan versehen werden.
Regierung berät über Haushalt
Der Vorstoß kommt mitten in den angesichts von Sparzwängen schwierigen Verhandlungen der Bundesregierung über den Bundeshaushalt 2025. Die FDP pocht darauf, dass die Schuldenbremse eingehalten wird und sieht auch neue Sondervermögen kritisch. Anfang Juli soll das Kabinett den Haushalt beschließen.