In Deutschland ist die Zahl der Krankmeldungen zuletzt angestiegen. Ein Gesundheitsreport des BKK zeigt, welche Berufsgruppen und Regionen davon besonders betroffen sind.
Dass im Herbst und Winter die Zahl der Atemwegserkrankungen zunimmt, überrascht wohl niemanden mehr. Auch der hohe Krankenstand in den Corona-Jahren lässt sich leicht erklären. Doch dass die Zahl und Dauer der Ausfälle am Arbeitsplatz seit zwei Jahren kaum zurückzugehen scheint, macht so manche Führungskraft inzwischen skeptisch. Wird es den Beschäftigten womöglich zu leicht gemacht, sich krankzumelden? Mercedes-Chef Ola Källenius befürchtet sogar einen Nachteil für den Wirtschaftsstandort Deutschland, wenn sich deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer häufiger krankmelden als Beschäftigte im Ausland.
Dabei gibt es mehrere Erklärungen, warum die deutschen Krankenkassen seit der Corona-Pandemie einen fast durchgehend hohen Krankenstand verzeichnen. Und keiner dieser Gründe hat etwas mit einer mangelnden Einsatzbereitschaft der arbeitenden Bevölkerung zu tun. So wird die Statistik zum einen durch einen methodischen Effekt verzerrt: Seit 2022 werden die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nämlich digital erfasst und an die Krankenversicherung übermittelt. Dadurch liegen die aktuellen Zahlen schlichtweg näher an der Realität als früher.
Demografie zerrt am Krankenstand
Wahr ist aber auch: Die Alterung der deutschen Bevölkerung schreitet voran. Der demografische Wandel schlägt sich auch im Gesundheitszustand nieder. Je älter die Belegschaft, desto länger dauern Krankheitsausfälle im Schnitt an. Hinzu kommt eine Zunahme bestimmter langwieriger Erkrankungen. Vor allem die Bedeutung psychischer Störungen wächst und sorgt für immer längere Fehlzeiten unter Beschäftigten. Auch ein veränderter Umgang mit ansteckenden Infekten wird oft angeführt, um zu erklären, warum die Deutschen im Krankheitsfall öfter mal zu Hause bleiben.
Der Dachverband der Betriebskrankenkassen (BKK) analysiert jeden Monat im Detail, wie sich der Krankenstand seiner beschäftigten Mitglieder entwickelt. Die Ergebnisse werden unter anderem nach Geschlecht, Alter, Berufsgruppen, Krankheitsbild und Wohnort aufgeschlüsselt. Dadurch ergibt sich ein recht detailliertes Bild aktueller Trends und Schwerpunkte, die im Dezember zudem in einem großen Gesundheitsreport für das Jahr 2024 zusammengefasst wurden.
Die monatlichen Krankenstandquoten der BKK (siehe Grafik ganz oben) decken sich weitgehend mit den Angaben der gesetzlichen Krankenkassen. Demnach lag der Krankenstand in den Monaten des laufenden Jahres in etwa auf dem Niveau der Vorjahre. Der Unterschied im Vergleich zu den Jahren 2011 bis 2021 ist jedoch erheblich. Sichtbar sind außerdem die regelmäßigen Krankheitswellen in den Wintermonaten. Am höchsten ist der Krankenstand meist zu Beginn eines Jahres.
Zahl der Krankmeldungen steigt, aber die Dauer pro Fall sinkt
Im Schnitt belief sich der Krankenstand in diesem Jahr bislang auf 5,94 Prozent. Die Daten beziehen sich auf den Zeitraum von Januar bis November. Für wie lange die Arbeitnehmenden im Mittel ausfielen, geht aus den Monatsstatistiken leider nicht hervor. Für das Jahr 2023 hatte der BKK-Dachverband jedoch einen Mittelwert von 11,5 Tagen je Krankheitsfall ermittelt.
Das ist ein deutlicher Rückgang gegenüber den Corona-Jahren 2020 und 2021, in denen sich kranke Mitarbeitende im Schnitt für mehr als 15 Tage beim Chef oder der Chefin abgemeldet hatten. Deutlich zugenommen hat hingegen die Zahl der Fälle und die Zahl der Krankentage je Mitglied. Rein statistisch betrachtet schlugen die krankheitsbedingten Fehltage im Jahr 2023 mit mehr als drei Kalenderwochen (22,4 Tage) je Beschäftigtem zu Buche.
Auffällig sind zudem die großen regionalen Unterschiede. So fällt der Krankenstand in den neuen Bundesländern oft überdurchschnittlich hoch aus. Auch in diesem Jahr lag die monatliche Quote in Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise mit fast 7,56 Prozent deutlich über dem Jahresmittel in Bayern (5,25 Prozent), Baden-Württemberg (5,06 Prozent) oder Hamburg (5,17 Prozent). Sachsen-Anhalt ist mit einem mittleren Krankenstand von 7,7 Prozent der bisherige Spitzenreiter. Das Saarland ist das einzige West-Bundesland mit einem vergleichbar hohen Wert (7,4 Prozent).
Im Osten schlägt die Überalterung voll zu
Das passt zur Demografie der betroffenen Bundesländer: Die Überalterung der Bevölkerung ist in den ländlichen Regionen Ostdeutschlands besonders stark ausgeprägt. Auswertungen von Krankenkassendaten nach Altersgruppen belegen, dass sich jüngere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zwar häufiger krankmelden. Sie fehlen aber meist nur für wenige Tage am Arbeitsplatz. Mit steigendem Alter nehmen dafür die Fehlzeiten zu.
Für das Jahr 2023 liegen von der BKK sogar Daten zum Krankenstand auf Landkreisebene vor. Der Bundesdurchschnitt lag in diesem Jahr bei 6,1 Prozent der beschäftigten BKK-Mitglieder. In großen Teilen Bayerns und Baden-Württembergs wurde dieser Wert aber unterschritten, während Betriebe in anderen Landesteilen zum Teil mit deutlich mehr Krankheitsausfällen zu kämpfen hatten. Die Summe der Fehlzeiten schwankt dabei zwischen knapp 15 Tagen pro Jahr und Beschäftigtem in Stuttgart oder München und einem Spitzenwert von 34 Tagen im thüringischen Hildburghausen.
Gesundheitspolitik braucht auch Chancengleichheit
Dabei spielen sicherlich die gesundheitliche Versorgung und die soziodemografische Struktur einer Region eine große Rolle. Wissenschaftlich ist das längst erwiesen: Allgemeiner Wohlstand wirkt sich positiv auf den Gesundheitszustand einer Bevölkerung aus, Armut hingegen senkt die Lebenserwartung. Auch der BKK-Gesundheitsreport hebt hervor, dass nur „Frieden, Sicherheit, Bildung, Einkommen, eine gesunde Umwelt, soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit“ die Grundlage für eine erfolgreiche Gesundheitspolitik schaffen könne.
Die BKK wirft auch einen detaillierten Blick auf die unterschiedlichen Berufsgruppen ihrer Mitgliederbasis. Dabei zeigt sich unter anderem, dass unter allen vertretenen Wirtschaftszweigen die Abfallbeseitigung die höchsten Krankenstände aufweist. Die wenigsten Arbeitsausfälle gibt es hingegen in der Branche der Informationsdienstleistungen.
Eine Aufschlüsselung nach Berufsgruppen ergibt zudem, dass krankheitsbedingte Arbeitsausfälle vor allem in der Rohstoffverarbeitung, aber auch in der Transportbranche und bei Reinigungskräften ein großes Thema sind. Lehrkräfte hingegen zählen zu den Berufsgruppen mit einer vergleichsweise niedrigen Ausfallquote. Auch Angestellte, die im Büro oder in kreativen Bereichen arbeiten, melden sich offenbar seltener krank. Inwiefern diese Statistik jedoch repräsentativ für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland ist, lässt sich schwer sagen.
Krankmeldung und Krankschreibung, 21.00
Der BKK-Dachverband jedenfalls kommt zu dem Schluss, dass es in der gesundheitlichen Vorsorge keine Einheitslösung geben kann. Vielmehr müsse man „mit einer entsprechenden Vielfalt an Möglichkeiten zu gesundheitsförderlichen Verhaltens- und vor allem Verhältnisänderung“ reagieren, „die auf die berufsbezogenen und individuellen Bedürfnisse der Beschäftigten zugeschnitten sind“. Eine erfolgreiche Gesundheitspolitik dürfe sich dabei aber nicht allein auf Appelle an die einzelnen Betroffenen beschränken, sondern müsse auch die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Als Beispiel nennt der Krankenkassenverband die strengeren Gesetze zum Nichtraucherschutz, die nachweislich dazu beigetragen haben, dass der Griff zur Zigarette nicht nur seltener geworden ist – er richtet auch insgesamt weniger Schaden an.
Dieser Artikel erschien zuerst bei ntv.de